Corona-Krise in Chile: Schwere Zusammenstöße bei Hungerprotesten

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Eine der Losungen der Proteste: "Piñera, mach dich auf was gefasst, denn jetzt sind wir nicht nur wütend, sondern auch hungrig"
Eine der Losungen der Proteste: "Piñera, mach dich auf was gefasst, denn jetzt sind wir nicht nur wütend, sondern auch hungrig"

Santiago. In Chile breiten sich Proteste wegen der Folgen der Corona-Ausgangssperren immer weiter aus. Angefangen hatten sie in den Gemeinden El Bosque und Villa Francia in der chilenischen Hauptstadtregion. Dort lieferten sich am vergangenen Montag Anwohner Straßenschlachten mit der Polizei, nachdem diese mit Gewalt auf die Proteste reagiert hatte.

Auslöser der Demonstrationen sei, dass viele Bewohner dieser Gemeinden mit einer sowieso schon prekär lebenden Bevölkerung wegen der infolge der Corona-Pandemie verhängten Maßnahmen nichts zu essen hätten. El Bosque ist seit Mitte April unter Quarantäne. Dort setzte die Polizei Tränengasgranaten und neu aus der Türkei gekaufte Wasserwerfer ein. Die Protestierenden bauten Barrikaden und warfen Steine. Auf sozialen Medien berichten Anwohner ebenfalls von Protesten und Straßensperren in den Gemeinden La Victoria, Maipú, San Felipe und vielen anderen Orten.

"Sie reden von totaler Quarantäne. Heute gibt es Leute, die kein Dach über dem Kopf haben, um in Quarantäne zu gehen, und die heute Hunger haben. Die Leute haben nichts zu essen. Was sollen wir essen? Sollen wir in Quarantäne Wasser trinken?", erklärte ein Anwohner von El Bosque gegenüber Radio Bio Bio. In Villa Francia demonstrierten die Anwohner unter dem improvisierten Motto: "Es geht ums Essen, nicht um die Quarantäne". Sie fordern, dass der Staat ihnen hilft, da sie wegen der Ausgangssperre kein Einkommen mehr haben.

In Chile sind Schätzungen zufolge rund 30 Prozent der Beschäftigten im informellen Sektor tätig. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie treffen sie besonders hart.

Der Bürgermeister von El Bosque, Sadi Melo, sagte gegenüber 24horas: "Wenn Menschen nicht das Minimum zum Leben haben, um in ihrem Haus bleiben zu können, hat sich die Situation offensichtlich verschlechtert." Gleichzeitig forderte er die Regierung dazu auf, Präsenz zu zeigen und Lebensmittel zu verteilen.

Die Regierung des konservativen Präsidenten Sebastián Piñera hatte am Sonntagabend angekündigt, 2,5 Millionen Lebensmittel-Pakete an Haushalte zu verteilen, die wegen Quarantänemaßnahmen nicht arbeiten können. Dies wird allerdings als völlig unzureichend kritisiert: "Die Familien sollten ein garantiertes Einkommen haben, dessen Höhe nicht abnehmen sollte", erklärte der ehemalige Minister für Soziale Entwicklung, Marcos Barraza.

Wegen der stark steigenden Corona-Fallzahlen war am vergangenen Freitag die gesamte Hauptstadtregion unter Quarantäne gestellt worden. Bis Dienstag waren mehr als 50.000 bestätigte Infektionen gemeldet worden.

Nach den Ausschreitungen in El Bosque wurde Anklage gegen 15 Personen erhoben. Dabei kam auch das neu wegen der seit dem vergangenen Oktober anhaltenden Sozialproteste eingeführte "Anti-Barrikaden-Gesetz" zur Anwendung (amerika21 berichtete).