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Oberste Justiz in Brasilien ermittelt gegen Präsident Jair Bolsonaro

Militärs der Reserve "warnen" vor einem "Bürgerkrieg". Linke Parteien und gesellschaftliche Organisationen beantragen Bolsonaros Amtsenthebung

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Umringt von Militärs fühlt sich Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro noch immer am wohlsten
Umringt von Militärs fühlt sich Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro noch immer am wohlsten

Brasília. In Brasilien ist ein offener Machtkampf zwischen der Regierung von Jair Bolsonaro und Richtern des Obersten Bundesgerichtes (STF) ausgebrochen, in dem auch die Militärs intervenieren.

Die Justiz verstärkte diese Woche ihre Ermittlungen zur Rolle von Mitgliedern der Regierung und der Familie Bolsonaro bei der Verbreitung von Fake-News, bei Drohungen gegen den Gerichtshof und bei der Unterstützung rechter Aktivisten, die zum Militärputsch aufriefen. In diesem Zusammenhang lud Bundesrichter Alexandre de Moraes am Mittwoch den Bildungsminister Abraham Weintraub zur Vernehmung vor, dem die Behörden Beleidigung, Diffamierung sowie Verbrechen gegen die nationale Sicherheit und die politische Ordnung des Landes vorwerfen. Da die Regierung nicht kooperieren will, fürchtet Bolsonaro die Beugehaft seines Ministers, weshalb der neue Justizminister André Mendonça gestern für den Fall der Inhaftierung die Freilassung beantragte.

Weintraub hatte sich bei einer nichtöffentlichen Kabinettssitzung am 22. April offen feindselig gegenüber den Ermittlungsbehörden geäußert, die die Präsidentensöhne Carlos und Eduardo Bolsonaro als mutmaßliche Köpfe hinter der Verbreitung von Fake-News ausgemacht hatten. "Ich würde all diese Kriminellen ins Gefängnis stecken und beim STF anfangen", so der Bildungsminister damals. Gleichzeitig unterstützte er Bolsonaro, der vom zuständigen Justiz- und Sicherheitsminister Sergio Moro Informationen über die laufenden Ermittlungen verlangte und den Chef der Bundespolizei auswechseln wollte. In der Folge trat Moro zurück und beschuldigte den Präsidenten unter anderem des Amtsmissbrauchs und der Urkundenfälschung.

Aufbauend auf Moros Anschuldigungen und dem geleakten Videomittschnitt der betreffenden Kabinettssitzung leitete der Präsident des Bundesgerichtes, Celso de Mello, Ermittlungen gegen Bolsonaro ein. Dies könnte zu einer Amtsenthebung führen. Als das STF Mitte Mai das Handy des Staatschefs verlangte, um dessen Rolle bei der Neubesetzung des Bundespolizeichefs zu untersuchen, drohte der Leiter des nationalen Sicherheitsrates, General Augusto Heleno, dem Gerichtshof mit "unvorhersehbaren Konsequenzen". Politiker unterschiedlicher Lager zeigten sich irritiert.

Daraufhin erklärten am 22. Mai Militärs der Reserve ihre "totale und uneingeschränkte Solidarität" mit dem General und Bolsonaro und warnten vor einem "Bürgerkrieg". In einem offenen Brief bezeichnen sie die Ermittlungen des Obersten Gerichtshofs als "unangemessene, illegale, ungerechte, willkürliche und gewalttätige Einmischungen" gegen den Präsidenten. Die Offiziere behaupten zudem, dass die Richter das Land auf diese Weise der Instabilität aussetzten und "im schlimmsten Fall einen Bürgerkrieg provozierten", so die Heleno-Anhänger.

Parallel dazu läuft Bolsonaro Gefahr, dass das Bundeswahlgericht (Tribunal Superior Eleitoral, TSE) seinen Wahlsieg nachträglich aberkennt. Am Dienstag erklärte der neue Präsident des TSE, Luís Roberto Barroso, dass er in den kommenden drei Wochen über mehrere Anträge zur Annullierung der Wahlliste von Bolsonaro und seinem Vize, General Hamilton Mourão, verhandeln wird. Dem Gericht liegen derzeit 15 Anträge verschiedener linker und grüner Politiker vor. Sie werfen Bolsonaro illegale Wahlkampffinanzierung, gezielte Desinformation und den Missbrauch sozialer Medien zur massenhaften Verbreitung von Fake-News im Wahlkampf vor. Der Richterkollege Alexandre de Moraes hob zeitgleich das Bankgeheimnis namhafter Unternehmer auf, die Bolsonaros Wahlkampf finanziell unterstützt hatten. Die Behörden werfen ihnen vor, Fake-News-Kampagnen mitfinanziert zu haben.

Gleichzeitig beantragten vergangene Woche sieben linke Parteien (PT, PCdoB, PSOL, PCB, PCO, PSTU und UP) zusammen mit mehr als 400 gesellschaftlichen Organisationen sowie renommierten Anwälten und Forschern die Amtsenthebung des Präsidenten. Auf 105 Seiten beschuldigen sie Bolsonaro, die antidemokratischen Proteste der vergangenen Monate unterstützt zu haben, die zum Sturz des Parlaments aufriefen. Des Weiteren soll er sich zu seinem persönlichen Nutzen in die Arbeit der Bundespolizei eingemischt sowie gegen Gesundheitsrichtlinien zur Bekämpfung des neuen Coronavirus verstoßen und damit Leben gefährdet haben. Als Zeugen listen sie den ehemaligen Justizminister Moro auf. Dem zuständigen Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Rodrigo Maia (DEM), liegen damit 35 Anträge auf Amtsenthebung gegen Bolsonaro vor.

Aktuell bestehen für ein Impeachment aber wenig Aussichten auf Erfolg. Denn Anfang Mai sicherte sich der Präsident mit den Abgeordneten der großen Zentrumsparteien im Gegenzug für Posten im Staatsapparat die breite parlamentarische Unterstützung. Allein mit ihren 171 Stimmen kann sich Bolsonaro einem Drittel der Kammer sicher sein, um die anstehenden Amtsenthebungsverfahren oder Ermittlungsverfahren der Justiz abzuwehren, die zwei Drittel der 513 Stimmen brauchen. Maia teilte mit, sich mit der Bewertung der Anträge vorerst Zeit zu lassen. Damit behält er ein Druckmittel gegen Bolsonaro in der Hand.

An Rückhalt in der Bevölkerung scheint Bolsonaro infolge der Verschärfung der Corona-Pandemie sowie seines desaströsen Umgangs mit der Krise zu verlieren. Angesichts von über 26.000 Corona-Toten mit stark steigender Tendenz haben sich Teile der politischen Rechten vom Regierungschef abgewandt. In einem Manifest fordern 35 evangelikale Organisationen, Bolsonaros wichtigste Anhängerschaft, das Oberste Wahlgericht auf, ihn seines Amtes zu entheben. Das Verhalten des Präsidenten in der Corona-Krise beweise, "dass er nicht auf der Höhe seines Amtes ist". Seine Politik sei unethisch und gegen das Leben, so die Vertreter der Freikirchen.

Doch noch immer hält ein nicht zu unterschätzender Teil der Bevölkerung zum Präsidenten. Viele von Bolsonaros Anhängern halten die negativen Nachrichten für falsch und unterstellen den Medien, eine Kampagne gegen ihn zu führen.

Nun haben vier der größten Medienhäuser Brasiliens bekannt gegeben, die Berichterstattung vom Präsidentenpalast einzustellen. Die Nachrichtenhäuser Folha de São Paulo, UOL sowie Globo und Band begründeten ihre Initiative damit, immer wieder von Beschimpfungen und Übergriffen von Anhängern Bolsonaros betroffen zu sein und in ihrer Arbeit behindert zu werden.