Etatkürzungen wegen Corona-Krise in Mexiko gefährden Menschenrechtsarbeit

Präsident erlässt wegen Pandemie Sparerlass. Nationale Kommission für Opferfürsorge muss wegen Mittelstreichungen wichtige Aktivitäten einstellen

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Die Arbeit der Nationalen Kommission für Opferfürsorge in Mexiko ist durch Haushaltskürzungen gefährdet
Die Arbeit der Nationalen Kommission für Opferfürsorge in Mexiko ist durch Haushaltskürzungen gefährdet

Mexiko-Stadt. In Mexiko haben Menschenrechtsgruppen vor negativen Auswirkungen auf ihre Arbeit durch geplante Etatkürzungen der Regierung von Präsident Andrés Manuel López Obrador gewarnt. Am 24. April hatte López Obrador einen "Austeritätserlass" unterschrieben, der bei öffentlichen Institutionen aufgrund der Coronakrise Haushaltskürzungen von bis zu 75 Prozent vorsieht.

Die Nationale Kommission für Opferfürsorge (CEAV) erklärte nun in einer Pressemitteilung, dass sie mit den verbliebenen Geldern noch nicht einmal mehr Miete, Wasser oder Strom für die Zentrale und die 32 Außenstellen in den Bundesstaaten zahlen könne. Wegen der Personalkürzungen müssten die wesentlichen Aktivitäten eingestellt werden.

Die CEAV erfüllt nach dem Nationalen Opfergesetz eine wichtige Funktion: Sie unterstützt direkt Betroffene und Angehörige von gewaltsamem Verschwindenlassen, Feminizid, Menschenhandel und anderen Menschenrechtsverletzungen. So werden die Suchkollektive, meist Angehörige der mehr als 60.000 Verschwundenen im Land, die täglich nach geheimen Massengräbern suchen, mit Geld unterstützt. Großmütter, die ihre Enkel in Obhut genommen haben, nachdem ihre Kinder verschwunden sind oder nachweislich ermordet wurden, erhalten Lebensmittel.

Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, die innerhalb des Landes flüchten und bei null anfangen müssen, erhalten in ihrem Verfahren einen Anwalt gestellt. Die CEAV übernimmt Arztkosten und Therapie, zahlt zu Beginn eine Wohnung und ist, soweit keine Schuldigen ermittelt wurden, auch verpflichtet, den Betroffenen eine Entschädigung für den Verlust ihres Eigentums zu zahlen.

Diese Unterstützung und Begleitung für mehr als 5.000 Menschen im Monat werde künftig nicht mehr möglich sein, so die staatliche Behörde. Auch die Fortführung des nach dem Gesetz vorgesehenen Opferregisters mit mehr als 34.000 registrierten Personen sei unmöglich, weil Server, Computer und Drucker nicht mehr bezahlt werden könnten.

Menschenrechtsorganisationen reagierten entsetzt: "Die CEAV war schon in der Vergangenheit eine schwache und überlastete Institution“, erklärte Alberto Xicotencatl Carrasco, Vorsitzender des Beirats für den nationalen Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger und Journalist. „Doch die Konsequenz daraus sollte sein, die Institution zu stärken, und nicht, sie eingehen zu lassen."

Die von den Kürzungen am meisten Betroffenen seien erneut Frauen und Journalistinnen. Die Suchkollektive bestehen in ihrer Mehrheit aus Müttern. Journalistinnen fliehen wegen Delikten gegen die Pressefreiheit ‒ ein Bundesverbrechen –, und damit ist die zentrale Opferkommission für sie zuständig.

Auf der lokalen Ebene, etwa bei Feminiziden, arbeiten hingegen noch die Länderkommissionen, die bisher keine Kürzungen gemeldet haben. Allerdings seien diese auch vorher schon nicht gut ausgestattet worden, meinte Marcela Flores Dionicio von der Organisation Serapaz, die in Veracruz vor allem Suchkollektive unterstützt. Sie wies darauf hin, dass das Austeritätsdekret ausdrücklich eine Ausnahme für Menschenrechtsarbeit macht. Die Erklärungen des Präsidenten seien daher widersprüchlich.

Ähnlich äußerte sich Imelda Marrufo Nava vom Netzwerk Frauentische in Ciudad Juárez. "Ich glaube, wir leben in zwei verschiedenen Ländern. Von wem spricht der Präsident, wenn er 'Die Opfer zuerst' sagt und dann ihre Grundversorgung kürzt?" Die Politik von López Obrador sei eine "schreckliche Enttäuschung".

"Wir verstehen ja, dass Geld für die Maßnahmen gegen das Coronavirus nötig ist", erklärte Carrasco. "Aber die Gewalt im Land ist eine Pandemie, unter der wir seit Jahren leiden, und der viel mehr Menschen zum Opfer gefallen sind als Covid-19."

Nicht nur die CEAV ist vom Spar-Erlass betroffen. Auch die Mittel für die Naturschutzbehörde und das Nationale Institut für indigene Völker (INPI) wurden um 75 Prozent gekürzt ‒ und damit auch die Förderung für bundesweit 35 indigene Frauenhäuser. Das Innenministerium erklärte, man werde bei der Europäischen Union anfragen, ob diese Finanzmittel bereitstellen könnte. Die Angestellten der Frauenhäuser haben seit mehr als fünf Monaten keinen Lohn erhalten.

Kurz nach der CEAV meldete sich auch das für Menschenrechte zuständige Innenministerium zu Wort. Die integrale Unterstützung für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen werde keinesfalls eingestellt. Finanzminister Arturo Herrera erklärte über Twitter, Kultur und Menschenrechte seien zentral für die Entwicklung des Landes. Die Menschenrechte seien ausgenommen vom Austeritätserlass. Abgesehen von der allgemeinen Erklärung machte er aber keine Angaben darüber, wie viel Prozent des ursprünglich vorgesehenen Etats die CEAV nun erhalten soll.