WHO besorgt: 1,5 Million Corona-Infektionen in Lateinamerika

Weiter extremer Anstieg der Neuinfektionen. Bereits über 70.000 Tote. Einige Länder verändern veröffentlichte Statistiken. Hohe Übersterblichkeit

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Bislang gelang es in Lateinamerika nicht, das Virus einzudämmen
Bislang gelang es in Lateinamerika nicht, das Virus einzudämmen

Brasília/Lima et al. Bereits seit einigen Wochen ist Lateinamerika das neue Epizentrum der Covid-19-Pandemie. Und noch immer steigen die Zahlen weiter stark an: Brasilien meldet bis zum Mittwoch 770.000 Fälle, Peru 210.000, Chile 150.000 und Mexiko 125.000 – und das bei meist unzureichender Testung. Insgesamt belaufen sich die bestätigten Erkrankungen in ganz Lateinamerika laut Johns-Hopkins-University auf fast 1,5 Millionen. Rund 75.000 Menschen sind in der Region nach offiziellen Angaben an oder mit dem Virus verstorben.

Zahlen zur sogenannten "Übersterblichkeit" zeigen noch erschreckendere Ergebnisse: Im April und der ersten Mai-Hälfte sollen in Peru 9.000 Menschen mehr gestorben sein als während derselben Zeitspanne im vergangenen Jahr, obwohl in den anderthalb Monaten nur 2.500 Covid-19-Tote erfasst worden waren. In Ecuador wurden allein in der stark betroffenen Provinz Guayas seit März 10.000 mehr Verstorbene gezählt als im Vorjahreszeitraum.

Die WHO zeigt sich alarmiert: "Um Zentral- und Südamerika machen wir uns derzeit besonders viele Sorgen, da die Länder dort eine beschleunigte Epidemie erleben“, äußerte ihr Generaldirektor, Tedros Adhanom Ghebreyesus. Mike Ryan, WHO-Experte für Covid-19, forderte dementsprechend am Montag verstärkte internationale Hilfe für die Region. "Ich denke, es ist ein Moment höchster Besorgnis", erklärte er.

Ein bisschen Erleichterung gab es zuletzt in Peru, wo die Zahl der Neuinfektionen seit einer Woche zurückgehen. Doch das könnte auch an weniger registrierten Tests und einer neuen Zählweise liegen: Tests, die der Privatsektor durchführt, sollen nicht mehr mitgezählt werden. Das Gesundheitsministerium begründet diese Entscheidung damit, dass es, wenn die Unternehmen testen, nicht darum ging, Fallzahlen zu erfassen. Vielmehr sollten damit Sicherheitsprotokolle für die Wiederöffnung der Wirtschaft erfüllt werden. So fiel die Zahl der offiziell registrierten täglichen Proben von knapp 50.000 auf weniger als 20.000, obwohl faktisch weiterhin gleich viel getestet wird.

In Brasilien sorgte Präsident Jair Bolsonaro unlängst mit ähnlichen Modifikationen der Statistik für Empörung in der Bevölkerung. Vergangenen Freitag wurde die offizielle Seite des Gesundheitsministeriums zur Corona-Pandemie offline gestellt und am Sonntag schließlich mit veralteten Daten wieder hochgeladen. Dieser politische Schritt stellt sich in eine Reihe von Versuchen des Staatsoberhaupts, die Krankheit herunterzuspielen. Der Richter des Obersten Gerichtshofs, Gilmar Mendes, nannte den Schritt der Regierung eine "Manipulierung, wie sie in totalitären Regimes vorkommt". Und: "Dieser Trick wird die Regierung nicht vom kommenden Genozid freisprechen." Berater aus Bolsonaros Kreisen begründeten die Neuerung mit einer angeblich zu umfangreichen Zählung durch das alte Modell. Doch noch am Dienstag zwang das Oberste Gericht die Regierung schließlich, wieder alle Zahlen zu veröffentlichen.

Auch Chile änderte seine statistische Methode – in diesem Fall allerdings so, dass nun auch Verdachtsfälle gemeldet werden. Wenn Patienten vor dem Eintreffen ihrer Testergebnisse versterben, werden sie ab sofort in die offiziellen Verzeichnisse aufgenommen. Das Gesundheitsministerium fügte dementsprechend am Montag seiner Statistik 653 Todesfälle mehr hinzu. Dies geschah auf Anraten der WHO, die Staaten dazu mahnt, möglichst viele Fälle mitzuzählen, um die Verbreitung des Virus besser verfolgen zu können.

In Mexiko, eines der Länder mit der geringsten Testrate in der Region, stieg die Zahl der Corona-Toten am Mittwoch auf knapp 15.000. Damit ist es nach Brasilien die Nummer zwei, was die Sterberate angeht. Dennoch soll nun unter strengen Sicherheitsauflagen der Tourismus anlaufen. Schon bald kann so zumindest im Ferienort Cancún an der mexikanischen Karibik-Küste wieder Urlaub gemacht werden.