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Chile: Regierung verschärft Repression bei Verstößen gegen Corona-Maßnahmen

Wer sich nicht an die Ausgangssperre hält, riskiert Gefängnis. In vielen Haushalten muss mindestens eine Person zum Arbeiten aus dem Haus gehen

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Präsident Piñera bei der Verkündung des neuen Gesetz
Unterwegs zur Pressekonferenz: Präsident Piñera kündigte zusammen mit den Innen- und Verteidigungsministern am 18. Juni das neue Gesetz an

Santiago. Die Regierung von Präsident Sebastían Piñera hat ein Gesetz zur Erhöhung der Strafen bei Verstößen gegen Quarantänemaßnahmen beschlossen. Ab jetzt können Personen, die sich zum Beispiel nicht an Ausgangssperren und Versammlungsverbote halten, mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Unabhängige Forschungsinstitute kritisieren die Form der Pandemiebekämpfung und das repressive Vorgehen der Regierung: "Die Menschen halten sich nicht an die Quarantäne, weil sie arbeiten müssen", erklärt etwa Pia Mundaca, Direktorin von Espacio Público.

Chile hat am 23. Juni mit über 250.000 angesteckten Personen die Fallzahlen von Spanien und Italien mit einer gleichzeitig deutlich geringeren Bevölkerung überschritten. Derzeit verbreitet sich das Coronavirus vor allem in der Hauptstadt Santiago, jüngste Zahlen melden allerdings auch einen Anstieg in anderen Regionen, die bis dato wenig betroffen waren.

Auf die katastrophale Situation reagierte die Regierung jüngst mit der Entlassung des Gesundheitsministers Jaime Mañalich, nachdem das Corona-Krisenmanagement in der Bevölkerung heftig kritisiert worden war. Gleichzeitig wird die Schuld an der starken Verbreitung bei der Bevölkerung gesucht: "Es gibt sehr viele verantwortungslose Menschen", so Piñera bei der Verabschiedung des Gesetzes.

Seit dem 19. März sind nach Angaben des Innenministeriums und der Militärpolizei knapp 100.000 Personen wegen "Straftaten gegen die öffentliche Gesundheit" zumindest kurzzeitig festgenommen worden, die Hälfte von ihnen im Alter von 18 bis 30 Jahren. In den meisten Fällen hatten sie sich nicht an die Ausgangssperre gehalten. Ob darunter auch Teilnehmende an den Hungerprotesten waren, geht aus den Informationen nicht hervor. Am 18. März hatte Piñera den "Katastrophenfall" ausgerufen.

Die Direktorin des Forschungsinstituts Espacio Público, Pia Mundaca, sagte dazu: "Das Problem liegt im Design des Lockdowns". Viel zu viele Menschen müssten alltäglich für die Arbeit das Haus verlassen. Laut einer Studie des Instituts muss in knapp 60 Prozent aller Haushalte mindestens eine Person zum Arbeiten aus dem Haus gehen. So sei es auch kein Wunder, dass in den ärmsten Bevölkerungsschichten die Mobilität nur um knapp 30 Prozent abgenommen habe. Mundaca forderte deshalb, die Nothilfeprogramme – wie die Lebensmittelpakete und den Notfalllohn, der etwa ein Drittel des Mindestlohns beträgt – aufrecht zu erhalten und auszuweiten.

Die Argumente Mundacas wurden am Montag von einer Recherche der Journalistin Alejandra Matus ergänzt. Sie stellte fest, dass manche Unternehmen vorgeblich ihre Geschäftstätigkeiten wechselten, um eine Sonderbewilligung zum Verlassen des Hauses für ihre Angestellten zu erhalten. So sei die Bekleidungskette Fashion‘s Park als Sicherheitsunternehmen aufgetreten und habe 70 Sonderbewilligungen erhalten. Andere Firmen hätten sich als Apotheken oder Supermärkte ausgegeben. Zudem würden viele Angestellte dazu gezwungen, Ausgangsbewilligungen mit der falschen Angabe von Arztbesuchen oder Lebensmitteleinkäufen zu erhalten, so die Journalistin. Als Reaktion auf ihren Bericht ordnete der neue Gesundheitsminister Enrique Paris eine bessere Kontrolle von Unternehmen an. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die sieben von Matus genannten Firmen Ermittlungen eingeleitet.

Indes geriet der Präsident selber in die Kritik: Zu der Beerdigung seines Onkels, des am Coronavirus verstorbenen Priesters Bernardino Piñera, waren Musiker eingeladen und es kamen weit mehr als die 20 zugelassenen Personen. Der Präsident selber veranlasste, den Sarg zu öffnen. In Chile müssen an Covid-19 verstorbene Personen in einen Leichensack eingehüllt und mit versiegeltem Sarg beerdigt werden.

Mehrere Minister, unter anderem Paris, verteidigten das Verhalten Piñeras und sahen keinen Verstoß der Regelungen. Doch selbst der Präsident der rechten Regierungspartei Renovación Nacional, Mario Desbordes, kritisierte das Verhalten: "Ich verstehe nicht, wie es jemanden in den Kopf kommt, Musiker zu engagieren."

Die Abgeordnete der Kommunistischen Partei Chiles, Camila Vallejo, schlussfolgerte in ihrem Twitteraccount: "Ein weiteres Mal wird das Signal gegeben: Für die Armen Gefängnis, für sie selber Straflosigkeit. Wie kann die Regierung etwas einfordern, was sie selbst nicht befolgt?"