Anhaltende Gewalt: Erste massive Proteste in Kolumbien seit Beginn der Coronakrise

Militär im Fokus der Kritik. 31 Soldaten wegen Vorwurf sexuellen Missbrauchs suspendiert. Protestmarsch gegen Vertreibung und Gewalt in Richtung Bogotá

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Tausende Frauen protestieren gegen systematische Gewalt und Übergriffe seitens staatlicher Kräfte
Tausende Frauen protestieren gegen systematische Gewalt und Übergriffe seitens staatlicher Kräfte

Bogotá. Ausgelöst von der Vergewaltigung eines jungen indigenen Mädchens durch Soldaten sieht sich Kolumbien mit massiven Protesten konfrontiert. Die Demonstrationen am Wochenende waren die bisher größten seit Beginn der Quarantäne aufgrund der Corona-Pandemie am 20. März. Die Protestierenden machen vor allem den kolumbianischen Staat für die systematische Vernachlässigung indigener Territorien, für Menschenrechtsverletzungen, die Militarisierung des Landes und die Ermordung von Aktivisten und Ex-Kombattanten der Farc-EP verantwortlich.

Kolumbiens Streitkräfte gaben am Freitag bekannt, 31 Soldaten, die wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen beschuldigt sind, suspendiert zu haben. Zuvor hatte der Befehlshaber der Armee, General Eduardo Zapateiro, eingestanden, dass aktuell gegen 118 Soldaten strafrechtliche und disziplinarische Untersuchungen wegen sexueller Gewalt gegen Minderjährige durchgeführt werden. Die 240.000 Mann starke Armee blickt auf eine lange Liste von Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen zurück.

Die Indigenen und Frauenrechtsorganisationen fordern allerdings mehr als nur die Bestrafung der Täter: Um weitere Fälle zu verhindern müsse das Land entmilitarisiert sowie die Militär- und Polizeidoktrin überarbeitet werden.

In vielen Städten des Landes gingen am Wochenende tausende Menschen – vor allem Frauenorganisationen – auf die Straße. Sie zogen vor Kasernen und wiesen mit Sprechchören auf die Übergriffe gegen Frauen und Mädchen seitens der Soldaten hin. Zudem kritisieren sie, dass die Militarisierung der indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinden die Verletzung der Menschenrechte erhöhe.

Zu den Protestierenden gesellten sich tausende LGBTI, die ihre Trauer über den Tod der Transsexuellen Alejandra Monocuco in Bogotá zum Ausdruck brachten. Die Teilnehmenden machten vor allem auf die Gewalt seitens der Polizei gegen Frauen und Transpersonen im städtischen Raum aufmerksam. "Alejandra starb nicht, Alejandra wurde getötet", skandierten sie. In diesem Jahr wurden in Kolumbien bereits 16 Transgender-Frauen ermordet. Auf Transparenten wurden die Botschaften #TransLivesMatter und #PoliceKillsUs gezeigt. Monocuco war eine schwarze, transsexuelle Sexarbeiterin und HIV-positiv. Sie starb im Krankenhaus, nachdem sie von Polizeibeamten mit Gummigeschossen verletzt worden war. Acht Motorradbeamte und drei Streifenwagen waren an der Operation beteiligt.

Auch in Kolumbiens zweitgrößter Stadt Medellín hat der Mord an einer Transperson tausende Menschen auf die Straße gebracht.

Aus dem ländlichen Kolumbien wird ebenfalls laufend von der Verletzung der Menschenrechte von Bauern durch den Staat berichtet. Seit Tagen zieht aus diesem Grund eine Karavane unter dem Motto Marcha por la Dignindad vom südlichen Department Cauca in Richtung der Hauptstadt Bogotá. Der "Marsch für die Würde" wird von Dutzenden Personen aus verschiedenen Gemeinden im Südwesten des Landes angeführt.

Mit der Initiative wollen die Organisatoren auf die Ermordung von Aktivisten sozialer Bewegungen und von ehemaligen Guerilleros aufmerksam machen und fordern den Staat auf, endlich Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Ein weiterer Grund für die Mobilisierung ist die durch verschiedene bewaffnete Gruppen ausgelöste neue Gewaltkrise, die das südamerikanische Land zuletzt erfasst hat. Besonders die Koka-Bauern sind betroffen und werden vermehrt Opfer der Streitkräfte.

Laut Jimmy Moreno, Sprecher der landesweiten Organisation Congreso de los Pueblos, ist ein wichtiges Ziel die Sensibilisierung der Bevölkerung für die Krise. Die gravierende Menschenrechtssituation sei "ein Produkt der Militarisierung und der Vertiefung des neoliberalen Modells". Der Aktivist José Milciades erklärte, dass die Regierung von Iván Duque den Ausnahmezustand und die obligatorische Quarantäne aufgrund der Pandemie ausnutze, um "per Dekret zu regieren" und Entscheidungen auch gegen das Parlament durchzusetzen.