Corona-Pandemie: Über 8.000 Tote und Quarantäne-Chaos in Kolumbien

Lockerung der Isolierungsmaßnahmen auf Druck der Wirtschaft. Verunsicherung durch ständig geänderte und teils widersprüchliche Regeln

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Strikte Quarantäne-Maßnahmen: Bogotás Bürgermeisterin lässt rotierend ganze Viertel der Hauptstadt sperren (Screenshot)
Strikte Quarantäne-Maßnahmen: Bogotás Bürgermeisterin lässt rotierend ganze Viertel der Hauptstadt sperren (Screenshot)

Cali et al. Trotz massiver Einschränkungen und bereits viereinhalb Monaten Ausgangssperre breitet sich das Coronavirus in Kolumbien stetig weiter aus. In dem südamerikanischen Land gibt es inzwischen 240.795 bestätigte Infektionen, 8.269 Menschen sind an den Folgen gestorben (Stand: 26. Juli).

Das Gesundheitsministerium meldete am vergangenen Wochenende 237 bestätigte Todesfälle und 7.033 Neuinfektionen in nur 24 Stunden. Kolumbien steht damit an fünfter Stelle der von der Pandemie betroffenen Länder Lateinamerikas. Experten sagen eine massive Ansteckungswelle für Juli und August voraus.

Die Regierung von Präsident Iván Duque hat am 19. März den Ausnahmezustand verhängt, die Menschen dürfen nur zu absolut notwendigen Besorgungen das Haus verlassen. Zu Beginn der Ausganssperre gab es zwei bestätigte Fälle.

Nach mehreren Wochen der strengen Quarantäne und unter dem Druck der Wirtschaft wurden die Isolierungsmaßnahmen allerdings schrittweise gelockert. So dürfen unter anderem Baufirmen wieder arbeiten und Shopping-Center wieder öffnen – mit fragwürdigen Sicherheitsbestimmungen. Zudem werden die Ausnahmen für das Verlassen des Hauses ständig verändert und sind teils widersprüchlich, was zu starker Verunsicherung führt.

Während die Mehrheit der Bevölkerung unter der Isolierung leidet, psychische Reaktionen auf die Maßnahmen und familiäre Gewalt dramatisch zunehmen, verfügte Duque eine erneute Verlängerung der Quarantäne bis zum 1. August – allerdings mit Ausnahmen für die Wirtschaft. Zahllose kleine Unternehmen wie Gastronomie und Einzelhandel sind bereits ruiniert, in vielen Städten stehen massenhaft Ladenlokale leer.

Während die Wirtschaft angestoßen werden soll, scheint das Wohl der Menschen den Präsidenten wenig zu kümmern: Weder Sport im Freien, noch Besuche in Parks werden ermöglicht. Die Einkaufsregeln nach Ausweisnummer erschweren zudem die Organisation des Alltags. Viele empfinden die Maßnahme als Willkür und Schikane. Statt nach geeigneten Mitteln der Prävention zu suchen, erklärte Duque, die Pandemie werde "mindestens ein weiteres Jahr" andauern und das Land lahmlegen.

Über 32 Prozent der Infektionen und ein Fünftel aller Todesfälle ereigneten sich in Bogotá, der Hauptstadt mit einer Bevölkerung von acht Millionen. Die Stadt verfügt über 1.161 Intensivbetten und die Auslastung liegt bereits bei 89,9 Prozent. Angesichts dessen verhängte Bürgermeisterin Claudia López rotierende Sperrungen ganzer Viertel der Hauptstadt jeweils für zwei Wochen. Zuerst werden nun acht Viertel mit insgesamt 2,3 Millionen Menschen unter Quarantäne gestellt. In den betroffenen Gebieten darf nur eine Person pro Haushalt einmal täglich einkaufen gehen. Der Verkauf von Alkohol ist verboten. Von 20 Uhr bis 5.00 Uhr gilt eine totale Ausgangssperre.

In der zweitgrößten Stadt des Landes, Medellín, gelten vier Tage Ausgangssperre, danach wird für drei Tage der Handel wiederaufgenommen und Bürger können Besorgungen machen. Dies bestätigte der BürgermeisterDaniel Quintero. Die guten Ergebnisse der Quarantäne werden als Grund angeführt, die kommenden drei weiteren Wochenenden ausnahmslose Ausgangssperren zu verhängen. Laut offiziellen Berichten gab es am Wochenende 156 illegale Feiern und 2.897 Personen wurden mit Strafzahlungen belegt, neun verhaftet.

In der tropischen Metropole Cali gilt ebenfalls seit Wochen das "Ley seca", das den Verkauf von Alkohol und Treffen von mehr als drei Personen verbietet. Trotz der Ausgangssperre, so berichtete Carlos Rojas, der Sicherheitsbeauftragte der Stadt, fanden allein am Wochenende 150 Partys statt, die von der Polizei aufgelöst wurden. In einigen Vierteln sei Alarmstufe Rot ausgerufen. Rojas fügte hinzu, dass etwa 650 Geldstrafen für die Nichteinhaltung der verfügten Maßnahmen verhängt wurden. Er forderte die Bürger auf, größere Menschenansammlungen zu vermeiden, nicht nur auf öffentlichen Plätzen, sondern auch bei Familientreffen.

Am 20. Juli waren in Cali 13.677 Fälle von Covid-19 und 453 Todesfälle bestätigt. Laut Jorge Ivan Ospina, Bürgermeister von Cali, waren am selben Tag bereits 89 Prozent der Intensivbetten belegt. Bis zum 31. Juli darf in Cali nur eine Person pro Haushalt entsprechend der letzten Ziffer ihres Ausweises das Haus verlassen.

Seitens der Wirtschaft wird gewarnt, die Quarantäne würde das Kapital lähmen und weitere Arbeitsplatzverluste und Konkurse verursachen. Davon seien vor allem kleine und mittelständische Unternehmen betroffen. Während der Handel die Maßnahmen kritisiert, fordern Ärzte und medizinisches Personal eine weitaus strengere Ausgangssperre. In einem offenen Brief an Claudia López und Iván Duque fordern sie, die gesamte Hauptstadt erneut für zwei Wochen zu sperren.

Der kolumbianische Ärzteverband (FMC) hat Duque zudem dringend aufgefordert, ein Grundeinkommen für die Armen und Schutzbedürftigen sowie für die im informellen Sektor Tätigen einzuführen, um so die Nahrungsmittelversorgung und den Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen zu gewährleisten. Nach Ansicht der FMC würde eine erneute Ausgangssperre die Erholung des Gesundheitssystems von Bogotá ermöglichen und den Behörden der Hauptstadt die nötige Zeit geben, die Krankenhauskapazität zu erweitern.