Regierung verhängt erneut Ausnahmezustand im Nordosten von Guatemala

Militär und Polizei im Einsatz. Kritik von sozialen Bewegungen und Gemeinden: Protest gegen Umweltzerstörung soll unterbunden werden

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Bauernorganisationen und Bewohner wehren sich gegen den Ausnahmezustand
Bauernorganisationen und Bewohner wehren sich gegen den Ausnahmezustand

Guatemala-Stadt. Der Präsident von Guatemala, Alejandro Giammattei, hat auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie am 19. Juli 2020 für 30 Tage den Ausnahmezustand in fünf Landkreisen im Nordosten des Landes verhängt. Betroffen sind El Estor, Livingston und Morales in Izabal sowie Santa Catalina La Tinta und Panzos in Alta Verapaz. Vor rund einem Jahr hatte die Vorgängerregierung unter Jimmy Morales diese Maßnahme schon einmal ergriffen.

Neben den Einschränkungen, die wegen der Pandemie seit Mitte März erlassen sind – zehnstündige Ausgangssperre, Beschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit, Fahrverbote –, gilt nun ein totales Verbot von Demonstrationen und öffentlichen Versammlungen.

Außerdem sind Hausdurchsuchungen und Festnahmen ohne richterliche Anordnung möglich und werden sowohl von der Polizei als auch vom Militär durchgeführt. Das 1996 zwischen Guerilla und Regierung geschlossene Friedensabkommen sieht eigentlich eine strikte Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben vor.

Das kommunale Radio Victoria, das in der Region aktiv ist, veröffentlichte bereits am 19. Juli, wenige Stunden nach Verhängung des Ausnahmezustandes, Fotos von langen Militärkolonnen auf dem Weg in die betroffenen Gebiete.

In der Region rund um den Izabal-See betreibt die Compania Guatemalteca de Niquel (CGN-PRONICO) eine Nickelmine. Das Unternehmen ist eine Tochterfirma der Solway Investment Group mit Sitz in Zug in der Schweiz, die sich selbst als größte Nickelproduzentin der Welt bezeichnet. Sie erwarb die Mine Fenix im Herbst 2011 für 170 Millionen US-Dollar und hat nach eigenen Angaben nochmal rund 620 Millionen investiert. Die Nickellagerstätten im Izabal-See zählen zu den zehn größten und reinsten der Welt.

Laut Finanzbericht der Solway Investment Group erreichte die Mine in Guatemala 2019 die Rekordfördermenge von 20.223 Tonnen Nickel, obwohl schon Mitte 2019 das Verfassungsgericht in einem provisorischen Beschluss einen vorläufigen Lizenzentzug und die Suspendierung der Arbeiten angeordnet hatte.

Der Betrieb der Mine und die damit verbundenen Umweltschäden führen seit Jahren zu Konflikten mit den Anwohnern, die überwiegend als Kleinbauern oder vom Fischfang leben.

Mitte Juni erreichte der Widerstand gegen die Mine einen Etappensieg, als das Verfassungsgericht entschied, die Abbaulizenz vorläufig aufzuheben. Zur Begründung hieß es: Laut dem 1996 auch von Guatemala ratifizierten Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation müssen indigene Völker vorab über Projekte befragt werden, die ihr Leben und Land unmittelbar betreffen. Da eine solche Befragung nie stattfand, sei der Betrieb bis zu einer entsprechenden Abstimmung einzustellen. Trotzdem läuft die Arbeit offensichtlich weiter.

Die Union der Bauernorganisationen von Verapaz (Unión Verapacense Organizaciones Campesinas) erklärt daher: "Der Ausnahmezustand garantiert, dass es keine Demonstrationen gegen die Unternehmen geben kann, die unsere Mutter Erde zerstören, unter ihnen das Palmöl-Unternehmen Naturaceite, die Minen CGN-PRONICO und Fenix; dass sie weiterarbeiten können und den Fluss Polochic und den Izabal-See weiter kontaminieren."

Die Landarbeiterorganisation Komitee für bäuerliche Entwicklung (Comité de Desarrollo Campesino, Codeca) hielt am 20. Juli eine digitale Pressekonferenz ab. Vertreter verschiedener betroffener Gemeinden berichteten auf Spanisch und in verschiedenen Maya-Sprachen über die aktuelle Situation.

Estuardo Chock aus dem Landkreis El Estor kritisierte eine zunehmende Militarisierung in ihren Gemeinden sowie die Behinderung der Pressearbeit, beispielsweise von Radio Victoria. "Das Minenunternehmen eignet sich große Teile des Landes an und erklärt es zu Privateigentum, uns Kleinbauern bleibt nichts", so Chock. Er verwies ebenso wie andere Sprecher auf Massaker, die das Militär zwischen 1980 und 1982 während des Bürgerkrieges in der Region verübte und dass die heutige Militärpräsenz bei vielen Anwohnern alte Ängste aufkommen ließen.

Codeca ist, wie andere soziale Bewegungen in Guatemala, auch 24 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges regelmäßg mit Gewalt, Repression und Kriminalisierung gegen ihre Mitglieder konfrontiert. Erst am 23. Juni wurde ihr Mitglied und Gemeindevorsteher Fidel López von einem Unbekannten getötet. Der Mord geschah in der Gemeinde San Vicente de Paul im Landkreis Morales in Izabal, in einem der Landkreise, in denen jetzt der Ausnahmezustand verhängt wurde. Dies war der 17. Mord an einem Codeca-Mitglied in den vergangenen zwei Jahren. Keiner wurde aufgeklärt.