Generalstreik in Bolivien: Putschregierung zum "Dialog" bereit

Áñez fordert Dialog unter Aufsicht der katholischen Kirche. Proteste nach erneuter Wahlverschiebung und drohendem Ausschluss der Opposition halten an

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Circa 60 Fernstraßen werden derzeit in Bolivien blockiert. Die Demonstranten fordern faire und zeitnahe Wahlen
Circa 60 Fernstraßen werden derzeit in Bolivien blockiert. Die Demonstranten fordern faire und zeitnahe Wahlen

La Paz. Der am 3. August als Reaktion auf die erneute Verschiebung der Neuwahlen ausgerufene Generalstreik und die damit verbundenen Straßenblockaden in Bolivien halten an. Während von Seiten der De-facto-Regierung mittlerweile zaghafte Dialogbemühungen kommen, fordern Vertreter der Protestierenden konkrete Garantien.

Am Samstag hatte De-facto-Präsidentin Jeanine Áñez die am Streik beteiligten Sozialverbände, die Wahlbehörde (TSE), Vertreter der beiden legislativen Kammern sowie alle Präsidentschaftskandidaten zu Gesprächen eingeladen, "um den Wahltermin zu bestätigen". Diese kamen dem Angebot nicht nach mit der Begründung, dass Versprechen seitens der Machthaber bislang wiederholt gebrochen worden waren. Ein vorläufiger Dialog zwischen TSE und Vertretern des streikenden Gewerkschaftsverbands Bolivianisches Arbeiterzentrum (COB) am selben Tag war bereits ergebnislos geblieben.

Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wurden zuletzt auf den 18. Oktober angesetzt, nachdem sie wegen der Corona-Pandemie bereits vom 3. Mai dann auf den 6. September verschoben worden war. Einzelne Vertreter der TSE stellen nun auch den Oktober-Termin in Frage. Das COB sowie andere Organisationen forderten, dass der alte Wahltermin im September eingehalten werden solle.

Am Mittwoch erklärte sich nun COB-Generalsekretär Juan Carlos Huarachi kompromissbereit: Er werde eine Wahl am 11. Oktober – eine Woche früher – akzeptieren. "Das Parlament steht nun in der Verantwortung, den Wahltermin gesetzlich festzulegen", so der Arbeitnehmervertreter. Huarachi kündigte darüber hinaus an, die Blockaden unverzüglich zu beenden, sollte die Wahlbehörde auf sein Angebot eingehen. "Die geplanten Wahlen sollten sauber und transparent ablaufen – egal wer am Ende gewinnt", betonte er in einer Pressekonferenz am Mittwoch.

Präsidentschaftskandidat der Ex-Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS), Luis Arce, sagte, er würde einen neuen Wahltermin ebenfalls nur unter der Bedingung annehmen, dass dieser gesetzlich garantiert und von der internationalen Gemeinschaft abgesichert werde.

Am Dienstag dieser Woche wurden nach Angaben der bolivianischen Autobahnverwaltung mehr als sechzig Blockaden von Straßen registriert, die für die Versorgung der Städte wichtig sind. Die Protestteilnehmer stellen sich entschieden gegen die erneute Verschiebung der Wahlen und fordern nun auch den Rücktritt von Áñez.

Soziale Verbände positionieren sich auf beiden Seiten des Konfliktes: Der Nationale Verband der bolivianischen Genossenschaften forderte das COB auf, die Blockaden binnen 48 Stunden aufzuheben. Andererseits stellte der Verband der Bergbaugenossenschaften des Departamentos La Paz der De-facto-Führung, der Wahlbehörde und dem Parlament ein 72-Stunden-Ultimatum für eine Lösung des Konflikts. Der Verband der Nachbarschaftsräte der Stadt El Alto, die an den Regierungssitz La Paz angrenzt, will sich ab Donnerstag den Protesten anschließen.

Die De-facto-Regierung macht für die Blockaden Evo Morales verantwortlich, der aus dem argentinischen Exil den Wahlkampf der MAS leitet. Sie bat in einem offenen Brief unter anderem an die Vereinten Nationen und die Europäische Union um Hilfe gegen die Proteste, ohne die Art dieser erbetenen Unterstützung konkret zu definieren. EU-Botschafter León de la Torre Krais akzeptierte die Bitte und erklärte sich bereit, eine schlichtende Rolle zu übernehmen. Auch die katholische Kirche solle nach dem Willen der Putschregierung als Vermittlerin agieren.

Die Lage habe ein "unhaltbares Niveau" erreicht und sich "drastisch verschlechtert", so die Politikerin Karen Longaric, die das Außenministerium kontrolliert. Nach Berichten bolivianischer Medien sind die Städte des Landes von der Versorgung wichtiger Güter abgeschnitten.

Der Konflikt ist inzwischen zu einer Propagandaschlacht ausgeartet. Die De-facto-Regierung versuche, medizinische Hilfsgüter wie Sauerstoffflaschen für Covid-19-Patienten mit Absicht über blockierte Straßen nach Santa Cruz und La Paz zu bringen, obwohl andere Routen passierbar gewesen wären, schrieb Morales auf Twitter. Dies sei "eine Provokation, die auf Gewalt abzielt".

Die politische Führung um Áñez wirft der MAS-Opposition vor, Leben zu gefährden. De-facto-Innenminister Arturo Murillo sagte im Interview mit CNN, "das politisch Korrekte wäre, den Demonstranten eine Kugel zu verpassen".