Cepal prognostiziert Wirtschaftsrückgang und steigende Armut für Lateinamerika

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Cepal-Prognose: Die wirtschaftliche Entwicklung in der Region könnte um bis zu zehn Jahre zurückgeworfen werden
Cepal-Prognose: Die wirtschaftliche Entwicklung in der Region könnte um bis zu zehn Jahre zurückgeworfen werden

Santiago de Chile. Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) hat für die Region einen harten wirtschaftlichen Rückschlag prognostiziert. Nach ersten Datenauswertungen bis Juni 2020 könnte die wirtschaftliche Entwicklung um bis zu zehn Jahre zurückgeworfen werden.

Auf Grundlage von Daten der Weltbank kommt das Dokument zu dem Schluss: "Die Weltwirtschaft wird den größten Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg erleben und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf wird in 90 Prozent der Länder in einem beispiellosen Prozess gleichzeitig sinken." Für die gesamte Region werde das BIP im Jahr 2020 um durchschnittlich 9,1 Prozent zurückgehen. Laut der Prognose werden Brasilien mit einem Rückgang von 9,2, Argentinien mit einem Rückgang von 10,5, Peru mit 13 und Venezuela mit bis zu 26 Prozent am stärksten betroffen sein. Bei den Zahlen Venezuelas spielen jedoch über die lokalen Probleme hinaus US-Sanktionen und -Blockade eine große Rolle.

Infolge dieser Entwicklung seien viele Haushalte von Armut bedroht. Der Bericht rechnet mit einer Zunahme der in Armut lebenden Menschen von derzeit 185,5 Millionen auf bis zu 230,9 Millionen im Jahr 2020. Die größten Anstiege der Armutsrate (um mindestens sieben Prozentpunkte) würden in Argentinien, Brasilien, Ecuador, Mexiko und Peru auftreten.

Die Cepal-Vorsitzende Alicia Bárcena lobte die teilweise ergriffenen Maßnahmen der Zentralbanken, wies jedoch auf die verschiedenen Vorschläge der Wirtschaftskommission hin, um die Not betroffener Bevölkerungsteile zu lindern. Dazu gehörten ein temporäres Grundeinkommen, Lebensmittelgutscheine gegen Hunger in Höhe von 70 Prozent der Armutsgrenze (deren Kosten auf 27,1 Milliarden US-Dollar geschätzt werden) sowie viele Vorschläge zur Unterstützung von gefährdeten Firmen und Arbeitern.

Zur Finanzierung schlug Bárcena eine Stärkung der Rolle internationaler Finanzinstitutionen vor.

Vor dem Hintergrund der jüngeren Wirtschaftsgeschichte Lateinamerikas sehen kritische Stimmen hierin einen gefährlichen Haken. Die Schuldenkrise in den 1980ern, Strukturanpassungsprogramme und die unrühmliche Rolle des Internationalen Währungsfonds etwa im Falle der Staatsschulden Argentiniens lassen eine solche Neuverschuldung als Rückschritt in Fragen der wirtschaftlichen und politischen Souveränität erscheinen. Ob die Länder Lateinamerikas gemeinsam andere Wege und Strategien zur Krisenbewältigung jenseits dieser Modelle gehen können, erscheint bei den derzeitigen politischen Konstellationen und Verwerfungen wenig wahrscheinlich.