Venezuela / Politik

Opposition in Venezuela uneinig über Teilnahme an Parlamentswahlen

Streit in der Opposition über Wahlboykott. Regierung lädt UNO und EU zu Wahlbeobachtung ein. Begnadigung von 110 Oppositionellen

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Henrique Capriles Radonski, eine Stimme in der venezolanischen Opposition mit Gewicht
Henrique Capriles Radonski, eine Stimme in der venezolanischen Opposition mit Gewicht

Caracas. Venezuelas Opposition ist in der Frage einer Teilnahme an den Parlamentswahlen vom 6. Dezember 2020 zunehmend gespalten. Am Mittwoch rief der ehemalige oppositionelle Präsidentschaftskandidat von 2012 und 2013, Henrique Capriles, die Oppositionsparteien auf, ihre Boykotthaltung aufzugeben. "Dieser Plan hat keine Ergebnisse gebracht, man muss einen neuen Weg auftun", sagte Capriles. Gleichzeitig kritisierte der Politiker die "Internetregierung" des ehemaligen Parlamentspräsidenten Juan Guaidó, der sich Anfang 2019 selber zum "Interimspräsidenten" ausrief und von den USA, den meisten EU-Mitgliedern und weiteren Staaten diplomatisch anerkannt wird.

"Es fehlt die Verbindung zwischen der politischen Klasse und dem Volk auf der Straße", kritisierte Capriles. "Die Leute reden nicht nur schlecht vom Regime, sondern auch von uns in der Opposition." Die Oppositionsparteien müssten die Wahlen als Gelegenheit nutzen und echte Alternativen zu Präsident Nicolás Maduro präsentieren. Sie dürften die Nationalversammlung "nicht an Maduro verschenken". Damit distanzierte sich Capriles eindeutig von einem Aufruf von 27 Oppositionsgruppen, die Anfang August einen Boykott der Parlamentswahlen angekündigt haben.

Capriles' Ankündigung rief eine Welle von negativen Reaktionen vonseiten radikaler Oppositioneller hervor. Der ehemalige Bürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, der sich in Spanien vor der venezolanischen Justiz versteckt, beschuldigte Capriles, "sich dem Tyrannen zu ergeben". María Corina Machado, die regelmäßig zum gewaltsamen Sturz Maduros aufruft, rügte Capriles und forderte "eine nationale und internationale Operation", um "schnellstmöglich Maduro und sein Regime loszuwerden". Auch Guaidó lehnte in einer Stellungnahme eine Teilnahme an den Wahlen weiterhin ab und bezeichnete sie als "Betrug".

Zuvor hatte Maduro überraschend 110 Oppositionelle begnadigt. Die meisten davon sind Oppositionspolitiker oder Personen mit Verbindungen zu Oppositionsparteien, die im Zusammenhang mit der massiven Gewalt bei Protesten und Umsturzversuchen in den Jahren 2014 und 2017 oder wegen "Anstiftung zum Hass" inhaftiert wurden oder untergetaucht waren. Unter den Begnadigten befinden sich etwa die Politiker Freddy Guevara und Gilber Caro (von Guaidós Partei Volkswille) sowie Miguel Pizarro, Tomás Guanipa und Jorge Millán (von Capriles' Formation Gerechtigkeit Zuerst). Auch der Gewerkschafter Rubén González und der ehemalige Unterstützer der Regierung Nicmer Evans wurden begnadigt. Maduro bezeichnete die Begnadigung als Geste, "um die nationale Versöhnung und den Frieden zu fördern". Bereits in der Vorwoche war der Abgeordnete von Gerechtigkeit Zuerst, Juan Requesens, nach zwei Jahren Haft in Hausarrest entlassen worden. Requesens wurde im August 2018 unter der Beschuldigung verhaftet, an einem Attentat auf Präsident Maduro in Caracas beteiligt gewesen zu sein.

Venezuelas Regierung hat indes offiziell die Vereinten Nationen und die Europäische Union eingeladen, Beobachter zu den kommenden Parlamentswahlen zu entsenden. In der Vergangenheit hatte die nationale Wahlbehörde jeweils internationale "Wahlbegleiter" eingeladen, um die verschiedenen Urnengänge in Venezuela zu beobachten, darunter den Rat der Wahlexperten Lateinamerikas (Consejo de Expertos Electorales de América Latina, Ceela), der dem Wahlprozess ein gutes Zeugnis ausstellte. Bei den Präsidentschaftswahlen 2018 hatte die EU die Entsendung von Wahlbeobachtern nach Venezuela abgelehnt, gleichzeitig aber beklagt, die Wahl erfülle nicht "die minimalen internationalen Standards für einen glaubwürdigen Prozess".