Bolivien / Politik

Wie schon 2019? Wahlergebnisse in Bolivien könnten keine Akzeptanz finden

OAS mit gleichem Personal vor Ort. Neues Zählsystem wohl weniger transparent. Rechte würde Sieg der MAS laut Umfragen nicht akzeptieren

oas_bolivia.jpeg

Die OAS und Vertreter des Obersten Wahlgerichts von Bolivien bei der Übereinkunft, "genauso wie im vergangenen Jahr" vorzugehen
Die OAS und Vertreter des Obersten Wahlgerichts von Bolivien bei der Übereinkunft, "genauso wie im vergangenen Jahr" vorzugehen

La Paz. In der Woche vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag in Bolivien mehren sich Stimmen in beiden Lagern wie auch bei unabhängigen Organisationen, die einen erneuten Wahlbetrug bzw. eine Fortsetzung des Putsches vom vergangenen Jahr befürchten. Einige Umstände sprechen dafür, dass sich die Geschichte vom vergangenen Jahr wiederholen könnte.

Die in den letzten Umfragen weit vorne liegende Bewegung zum Sozialismus (MAS) sieht insbesondere in der erneuten Anwesenheit der Wahlbeobachtermission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unter der gleichen personellen Führung wie im vergangenen Jahr ein gravierendes Problem. Die OAS hat 40 Personen aus 12 Ländern geschickt, angeführt wird die Mission wie im vergangenen Jahr von Manuel González aus Costa Rica. Er wird allerdings wegen der Covid-19-Pandemie nur virtuell anwesend sein, vor Ort ist Francisco Guerrero für die OAS federführend. Dass González wieder hauptverantwortlich sein wird, bezeichnete die Sprecherin der MAS, Marianela Paco, als einen "Affront gegen das bolivianische Volk".

Die OAS hatte mit ihrem Vorwurf von festgestellten Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen vom 20. Oktober 2019 zum Sturz des gewählten Präsidenten Evo Morales und der darauffolgenden Entwicklung mit der Verfolgung von MAS-Politikern sowie Massakern gegen deren Anhänger maßgeblich beigetragen. Am Dienstag erst hatte die OAS nochmals einen Prüfbericht vorgelegt, der "böswillige Manipulation" und "schwerwiegende Unregelmäßigkeiten" bei der Übermittlung der Ergebnisse der Wahlen vom vergangenen Jahr festgestellt habe.

Diese Ansicht wurde allerdings bereits mehrfach entkräftet und widerlegt, wie Studien und Analysen der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Center for Economic and Policy Research (CEPR) oder der US-Tageszeitung New York Times belegten.

Trotzdem sorgte OAS-Generalsekretär Luis Almagro vor etwa zwei Wochen schon einmal vor, indem er einen im Bereich des Möglichen liegenden Wahlsieg des MAS-Kandidaten Luis Arce bereits in der ersten Wahlrunde am Sonntag erneut als möglichen Wahlbetrug deklarierte (amerika21 berichtete).

Der Leiter der OAS-Mission in Bolivien rief zwar am Dienstag "alle politischen Kräfte des Landes" dazu auf, die Ergebnisse in jedem Fall zu akzeptieren. Jedoch ist vor allem bei der extremen Rechten wie auch bei der OAS in Person von Almagro zu befürchten, das sie dies ebenso wie im vergangenen Jahr nicht tun werden.

Die MAS sieht nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres die Gefahr, dass die Geschichte sich wiederholen könnte und ein Sieg in der ersten Runde von den politischen Konkurrenten nicht akzeptiert würde. Die MAS-Sprecherin Paco sprach Anfang der Woche davon, dass ein "zweiter Schlag gegen die Demokratie" im Gange sei, da das vom Obersten Wahlgericht (TSE) neu entwickelte Auszählungssystem, das am Sonntag zum ersten Mal zum Einsatz kommen wird, "völlig intransparent" sei.

Zuvor hatte der Präsident des TSE, Salvador Romero, erklärt, dass es in diesem Jahr keine Fotos der Wahlprotokolle geben werde. Damit können weder Medien noch die Bevölkerung die Zählung überprüfen. Das Zählsystem sei zudem bis heute nicht international anerkannt, so Paco.

Die gleichen Bedenken äußerte gestern das CEPR. Es bezog sich in einer Presseerklärung auf eine auf Twitter veröffentlichte Antwort des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, wonach man auch dort davon ausgeht, "dass es keine seperate Downloadmöglichkeit der Ergebnisse im Excel-Format" geben werde. Das war bei den Wahlen im vergangenen Jahr noch der Fall gewesen. Dies hatte es ermöglicht, den Vorwurf der OAS, es habe Unregelmäßigkeiten in einem Umfang gegeben, dass die Wahl entscheidend zu Gunsten der MAS manipuliert war, zu widerlegen.

Auch in der Bevölkerung gibt es Skepsis, dass die Wahlen ohne Manipulation ablaufen werden. Dies geht aus einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung hervor, über die die bolivianische Tageszeitung La Razón berichtete. Zwar glauben demnach immerhin 67,6 Prozent der Befragten, dass das Oberste Wahlgericht (TSE) "saubere und transparente" Wahlen garantieren könne, 38 Prozent hätten aber kein "Vertrauen“ in die OAS als Beobachter freier Wahlen.

Auf die Frage, wer einen Sieg der MAS akzeptieren würde, glaubten die Befragten, dass dies Anhänger der noch amtierenden, aber wegen Chancenlosigkeit nicht am Sonntag antretenden De-facto-Präsidentin, Jeanine Áñez, zu 44 Prozent nicht tun werden. Anhänger des ultrarechten Kandidaten Fernando Camacho würden nach Einschätzung der Befragten sogar zu 83 Prozent einen MAS-Sieg nicht anerkennen.

75 Prozent der Befragten waren allerdings der Meinung, dass der gemäßigtere Kandidat und größte Konkurrent von Arce, Carlos Mesa, das Wahlergebnis anerkennen wird. Sollte die MAS verlieren, glauben indes 54 Prozent der Befragten, dass Arce, die MAS und deren Anhänger das Ergebnis nicht akzeptieren werden.

Dass es für die Rechten und Ultrarechten einzig um die Verhinderung der Rückkehr der MAS an die Macht zu gehen scheint, machten nicht nur verstörende Aussagen des de-facto-Innenministers, Arturo Murillo, deutlich. Er hatte am Samstag gegenüber Polizisten geäußert, sie hätten die "Pflicht, die Rückkehr der Linken zu verhindern".

Auch Ernesto Suárez, der Vize-Präsident der Partido Democrático, die keinen eigenen Kandidaten stellt, schwor die Anhänger seiner Partei darauf ein, in der ersten Runde lieber für Mesa als für den ultra-rechten Camacho zu stimmen. "Leider werden wir für Mesa stimmen müssen", bedauerte Suárez.