Kolumbien: Protestbewegung im Visier des neuen Anti-Terror-Dekrets?

Sozialaktive Jugend als Zielgruppe der Anordnung. Koordination von allen geheimdienstlichen Stellen wird direkt der Regierungsspitze unterstellt

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"Wer schützt uns vor der Polizei?" Das Dekret kriminalisiert die protestierende Jugend
"Wer schützt uns vor der Polizei?" Das Dekret kriminalisiert die protestierende Jugend

Bogotá. Kolumbiens Präsident Iván Duque ist dabei, ein Dekret zur "Vorbeugung gegen Terrorismus" zu erlassen. Zu den Zielen des Regelwerks gehört, "Radikalisierung im Vorfeld zu verhindern" sowie "Hass und Gewaltanwendung" entgegenzuwirken. Skeptiker:innen sehen die Anordnung als Gefahr für oppositionelle Mobilisierungen. Duques Kabinett stellt Proteste regelmäßig als Werk der ELN-Guerilla und von Farc-Dissident:innen dar, die sie als Terrororganisationen einstuft.

Es sei nicht klar, was die Regierung mit Begriffen wie "Radikalisierung", "Aufwiegelung zum Hass", "terroristische Absichten" oder "gewaltsamer Extremismus" im Dekret meine, klagen Stimmen in Medien, Politik und Rechtswissenschaften. "Hat etwa Isis eine Terror-Zelle in Kolumbien eingerichtet?", fragt die Rechtsexpertin Catalina Botero. Für sie sei eindeutig, dass die Anti-Terror-Strategie von Duque gegen die Jugendlichen adressiert ist, die regierungskritische Proteste organisieren.

Bei der Erklärung der "Vorbeugung gegen Radikalisierung", was das sogenannte dritte Instrument der Terrorprävention darstellt, nennt das Dekret explizit "die neuen Generationen" und insbesondere "die junge Bevölkerung in Schulen und Universitäten". Auf sie will die Regierung "ein besonderes Augenmerk" legen und "Sensibilisierungsaktionen" durchführen. Es gehe dabei darum, die jungen Leute über die "Unzulässigkeit von Gewalt" aufzuklären, heißt es im Dokument.

Seit dem Amtsantritt Duques haben sich die Protestaktionen im Vergleich zur Regierungsperiode 2014 bis 2018 verdoppelt. Die Studentenbewegung ist ein wichtiger Motor der Mobilisierung in den Städten. Aber auch die Jugend der armen Viertel, die nicht im Schul- oder Hochschulsystem ist, haben machtvolle Proteste gegen die Polizeigewalt durchgeführt, wie im September, als 14 Jungen und Mädchen von der Polizei erschossen wurden.

Die Regierung kriminalisiere diese Jugend, sagt der Friedensforscher Guillermo Segovia. Das Dekret stelle Jugendliche als potenzielle Terrorist:innen unter Verdacht. Eine Pauschalisierung von Bevölkerungsgruppen als Risiko für den Rest der Gesellschaft sei jedoch typisch für Faschismus. Überhaupt erneuere das Regelwerk die Idee des "inneren Feindes", die in den Siebzigern als Kern der kolumbianischen Sicherheitsdoktrin eingeführt wurde.

Diese "antidemokratische Sicht" leite auch das Verhalten von vielen Angehörigen der Staatsanwaltschaft, Armee und Polizei. Segovia verweist auf das Beispiel der Anklageschrift gegen eine Studentin, worin die Staatsanwaltschaft ihre Zugehörigkeit zur Nationalen Universität als belastenden Hinweis präsentierte.

Laut einer Studie der Hochschule Politécnico Grancolombiano hat die Staatsanwaltschaft über 10.000 junge Menschen zwischen 2000 und 2018 wegen Terror und Rebellion verdächtigt. Die meisten von ihnen waren Studierende während der Regierung von Duques Mentor, dem Ex-Präsidenten Álvaro Uribe (2002-2010). In 95 Prozent der Fälle reichten allerdings die Beweise nicht für eine Anklage.

Die weiteren zwei "Instrumente" seien eine neue geheimdienstliche Koordinationsstelle gegen Terror, die CI3T, und eine Koordinationsstelle zur Ermittlung illegaler Geldflüsse. In der CI3T werden der stellvertretende Verteidigungsminister, der Präsidentenberater für Sicherheitspolitik, alle Leiter der Geheimdienste der Streitkräfte und der Polizei oder ihre Delegierten zusammenarbeiten. "Permanente Gäste" sind der Oberstaatsanwalt und der Direktor der Strafvollzugbehörde Inpec oder ihre Delegierten. Die CI3T untersteht dem Präsidenten, dem die interinstitutionelle Stelle monatlich Berichte vorlegen muss.

Nach Ansicht des Polizeigenerals und früherem Leiters des Nationalen Nachrichtendienstes (DNI), Juan Carlos Buitrago, ist die CI3T ein neuer Versuch unter vielen in den letzten Jahren, die Geheimdienste unter die Kontrolle des Präsidenten zu bringen. Auf diese Weise werde der Geheimdienst zum Machtinstrument der Regierungsspitze, klagt Buitrago. Darüber hinaus sei die neue Koordinationsstelle nicht nötig, denn es gäbe bereits eine, aber ohne die Aufsicht des Regierungschefs.

Duque hatte den 24. Dezember als Deadline gesetzt, um Kommentare zu dem Entwurf des Dekrets zu sammeln, bevor er es verabschiedet.