Umweltschützer:innen in Chile gewinnen: Fluss Renaico bleibt ohne Wasserkraftwerk

Gericht erklärt Projekt für beendet. Anwohner:innen hatten sich seit 2012 gegen den Bau gewehrt. Urteilsspruch voller Erfolg für die Umweltbewegung

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Demonstration gegen das Wasserkraftwerksprojekt am 19. August 2019 in Collipulli. Ibar Leiva ganz rechts im Bild
Demonstration gegen das Wasserkraftwerksprojekt am 19. August 2019 in Collipulli. Ibar Leiva ganz rechts im Bild

Santiago. Das Umweltgericht von Santiago hat das Projekt zum Bau eines Laufwasserkraftwerks am Fluss Renaico für beendet erklärt. Die Betreiberfirma habe auf eine Fortführung verzichtet, weshalb ihr alle bestehenden Rechte zum Bau entzogen werden. Der Fluss liegt im Süden Chiles innerhalb des indigenen Gebiets der Mapuche. Das Bauvorhaben führte zu heftigem Widerstand vor Ort.

Ibar Leiva zeigt sich gegenüber Amerika21 glücklich über den Erfolg, der das endgültige Ende des Konflikts besiegelt. "Ich war immer überzeugt davon, dass das Projekt nicht durchgeführt werden würde, der Urteilsspruch bestätigt mich in meiner Annahme". Leiva ist Bewohner der angrenzenden Gemeinde Collipulli, etwa 100 Kilometer nördlich der Regionalhauptstadt Temuco. Er war Gemeinderat, als 2012 das Unternehmen Aguas Vivas die Anträge zur Bewilligung des Bau eines Laufkraftwerks am Fluss Renaico einreichte. "Für mich war das ein großer Schock, der Fluss Renaico ist wegen seines klaren Wassers bekannt. Für die Mapuche ist es ein Fluss mit Heilkräften“, berichtet er.

Der Renaico ist ein kleiner Fluss, der von den Anden bis ins Meer fließt. Sein oberer Lauf ist ein durch die Unesco anerkanntes Biosphärenreservat. Genau hier hätte das Kraftwerk gebaut werden sollen. Dieses besteht, anders als bei Staudämmen, nicht aus einem großen See, sondern kappt an einem oberen Flussteil Wasser ab, lässt es durch eine Turbine gehen und gibt es wieder in den Fluss zurück.

Die Anwohner:innen befürchteten die Zerstörung der Umwelt durch die Bauten und eine Erhöhung der Wassertemperatur durch das Kraftwerk. Zusätzlich zu dem Kraftwerk hätten mehrere Kilometer Hochspannungsleitungen gebaut werden müssen, die durch indigene Gebiete geführt worden wären.

Trotz einer ersten Bewilligung durch die Umweltbehörden klagten die Aktivist:innen gegen das Projekt. Beim Bewilligungsprozess wurde die obligatorische Befragung der angrenzenden indigenen Gemeinden nicht durchgeführt. Dies stellte einen Rechtsbruch dar. Leiva ergänzt: "Die Angaben zum Flusslauf und zur Wassermenge, die das Unternehmen machte, waren total veraltet. Durch den Klimawandel führte der Fluss schon lange nicht mehr die angegebenen Mengen."

Zusätzlich zur Klage wurden verschiedene Demonstrationen in den angrenzenden Dörfern und der Regionalhauptstadt Temuco durchgeführt. "Es ist eine richtige Bewegung entstanden, die sich gegen den Eingriff in den Fluss wehrte", erinnert sich Leiva.

Als Reaktion auf den Widerstand verkleinerte das Unternehmen das Projekt und heuerte Unterstützer:innen an, die vor Ort positiv auf die Bevölkerung einwirken sollten. Leiva überraschte die Verkleinerung des Projekts, da es ab diesem Moment als nicht mehr wirtschaftlich tragbar schien.

Im Jahr 2019 wurde schließlich bekannt, dass die bestehenden Wassernutzungsrechte versteigert werden. Das Unternehmen hatte über Jahre keine entsprechenden Gebühren gezahlt. Dies rief ein weiteres Mal die Umweltschützer:innen auf dern Plan. Sie reichten eine Klage gegen das Unternehmen ein und gingen erneut auf die Straße. Am 6. Oktober 2019 kamen mehr als 1.000 Menschen in der Kleinstadt Renaico zusammen.

Der Urteilsspruch gibt den Umweltschützer:innen Recht. Das Unternehmen hat aufgrund seines Handelns auf den Bau verzichtet und muss die Wassernutzungsrechte an den Staat zurückgegeben. Dadurch konnte der Verkauf der Rechte und die Übernahme des Projektes durch ein neues Unternehmen verhindert werden.

Das Resultat stellt Leiva zufrieden, doch ihm geht es um mehr: "Wir müssen endlich erreichen, dass der Staat wieder die vollständige Kontrolle über das Wasser zurückgewinnt, dafür muss das Recht auf Wasser als öffentliches Gut in der Verfassung verankert werden", betont er.

Am kommenden 15. und 16. Mai wählt die chilenische Bevölkerung die Mitglieder für eine Versammlung, die eine neue Verfassung ausarbeiten soll. Diese soll nach Meinung linker Aktivist:innen das neoliberale Erbe der Diktatur unter Augusto Pinochet hinter sich lassen.

Chile ist derzeit das einzige Land, in dem der Zugang zu Wasser und Wassernutzungsrechte komplett privatisiert sind. Wer einmal ein Recht auf Wassernutzung hat, kann dieses ungehindert ausbeuten oder weiterverkaufen. Im Süden des Landes gibt es eine Vielzahl von Konflikten mit Unternehmen, die versuchen, die bestehenden Gewässer zur Gewinnung von Energie zu nutzen.