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Regierung von Mexiko pusht Infrastrukturprojekte

Genehmigungen "strategischer Projekte für die Entwicklung des Landes" sollen beschleunigt werden. Scharfe Kritik von Oppositionsparteien, Anwälten, NGOs und Indigenenververbänden

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Fridays for Future-Demonstration in Mexiko-Stadt: "Ich will keine Raffinerie, Tren Maya, ich will einen Planeten, auf dem ich leben kann"
Fridays for Future-Demonstration in Mexiko-Stadt: "Ich will keine Raffinerie, Tren Maya, ich will einen Planeten, auf dem ich leben kann"

Mexiko-Stadt. Als Verstoß gegen die Verfassung haben die Anwaltskammer von Mexiko, Parteien der Opposition und Nichtregierungsorganisationen eine Regierungsverfügung kritisiert, die große Infrastrukturprojekte zum Gegenstand des "öffentlichen Interesses und der nationalen Sicherheit" erklärt und ihre Durchführung erleichtern soll. Auch die "Versammlung der Verteidiger des Maya-Territoriums Múuch' Xíinbal" kritisiert das Vorhaben scharf und wirft der Regierung Rassismus und einen Angriff auf indigene Rechte vor.

Parteien und Anwälte argumentieren, die Anweisung verstoße gegen Artikel 134 der Verfassung, "in dem die Verpflichtung zur transparenten Verwaltung der öffentlichen Mittel festgeschrieben ist". Der Präsident habe zudem nicht die Befugnis zu bestimmen, dass öffentliche Arbeiten von "nationalem Interesse" seien.

Das im Amtsblatt der Föderation veröffentlichte Dokument, das vom Präsidenten und allen Kabinettsmitgliedern unterzeichnet ist, beinhaltet eine Anweisung an die Behörden des Bundes, die Verfahren im Zusammenhang mit Infrastrukturarbeiten zu beschleunigen. Dabei geht es um Staatsprojekte in den Bereichen Kommunikation, Grenze, Wasser, Umwelt, Tourismus, Gesundheit, Eisenbahn, Energie, Häfen, Flughäfen etc., "die für die nationale Entwicklung von Bedeutung sind". Die Regierung will damit nach eigenen Angaben den "Weg der Förderung und Konsolidierung von Projekten fortsetzen, die uns als Nation zu wirtschaftlichem Wachstum und damit zu sozialem Wohlstand führen werden".

Die Genehmigungsverfahren sollen gestrafft, Bürokratie vermieden und verhindert werden, "dass Interessengruppen versuchen, die Arbeiten zum Scheitern zu bringen", erklärte Präsident Andrés Manuel López Obrador (Amlo). Unter anderem geht es um Projekte wie den Flughafen Felipe Ángeles, den "Tren Maya", die Raffinerie Dos Bocas und den "Corredor Interoceánico", eine Zugverbindung, über die internationale Frachtgüter vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean transportiert werden sollen.

Die zuständigen Behörden müssen zwar weiterhin die vorgeschriebenen Prüfverfahren (etwa zu Umweltfolgen) und Machbarkeitsstudien durchführen, können sie aber zurückstellen, "um bürokratische Hindernisse zu beseitigen, die für die wirtschaftliche Wiederbelebung, die nationale Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Umweltschutz unerlässlich sind", so die Regierung. Die vorläufige Zulassung soll innerhalb von höchstens fünf Arbeitstagen nach dem Antrag erteilt, die endgültige Genehmigung gemäß den geltenden Bestimmungen innerhalb eines Jahres eingeholt werden.

Dies betrifft auch den umstrittenen "Tren Maya". Dabei sollen über 900 Kilometer bestehender Zugstrecke für den Personenverkehr reaktiviert, rund 600 Kilometer neu gebaut und die Bundesstaaten Tabasco, Campeche, Yucatán und Quintana Roo mit ihren archäologischen Stätten miteinander verbunden werden. Ziel ist laut Regierung das Vorantreiben einer nachhaltigen Entwicklung im Südosten Mexikos.

Kritiker sehen dagegen massive Umweltschäden und die Gefahr von Vertreibungen indigener Gemeinden. Teile der lokalen Bevölkerung und Umweltorganisationen haben nach Beschwerden an vier Stellen die Aussetzung des Projekts erreicht. Ob dies Bestand hat und ob Gerichtsbeschlüsse in Zukunft Baumaßnahmen stoppen können, ist nach der neuen Verfügung unklar.

López Obrador verteidigt das Großprojekt immer wieder mit der "großen Zustimmung" in der Bevölkerung, die es erfahre. Es seien Konsultationen durchgeführt worden, "und Sie können eine Umfrage entlang der gesamten Strecke machen, und ich versichere Ihnen, dass 90 Prozent der Menschen das Projekt gutheißen, wenn nicht mehr", sagte er am Dienstag gegenüber der Presse. Er sei überrascht, "dass Politiker, Fachleute für Ökologie und für Menschenrechte, Forscher, Intellektuelle, Journalisten keinen Respekt vor dem Volk haben oder denken, dass das Volk dumm ist, dass es nicht weiß, wie es entscheiden soll, was für es von Vorteil ist und was nicht", so Amlo weiter.

Tatsächlich stimmte in einer Befragung im Dezember 2019 ein Großteil der Bewohner der Halbinsel Yucatán dem Zugprojekt zu. Ebenso in den Gemeinden Tenabo, Campeche und Palenque im Bundesstaat Chiapas. Einige indigene Gruppierungen und die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) kritisierten jedoch die "improvisierte Konsultation”, welche die von Mexiko ratifizierte ILO-Konvention 169 über indigene Rechte verletze. Sie verurteilten die Befragung als "Simulation", die sich über die Versprechen von Regierungsprogrammen im Schnellverfahren die Zustimmung der Gemeindevertreter erkauft habe (amerika21 berichtete).

Die "Múuch' Xíinbal" erklärte nun, die neue Regierungsanweisung sei der Versuch, "einen Ausnahmezustand gegen unsere indigenen Rechte" einzuführen. Sie warf den Regierungsmitgliedern vor, "Rassisten und Förderer von Gewalt gegen die indigene Bevölkerung" zu sein. Die Verfügung müsse aufgehoben werden, sie sei eine Bedrohung für die indigenen Völker, da ihnen das Recht auf Konsultation und auf eine gesunde Umwelt verweigert werde.

Auch einige Nichtregierungsorganisationen und weitere Indigenenverbände haben sich ablehnend geäußert. In einem gemeinsamen Kommuniqué heißt es, die Regierung verstoße "gegen das Recht auf Land und Territorium der Völker und das Recht auf Eigentum an Agrarparzellen (…), Rechte, die durch die Verfassung und internationale Verträge, zu denen sich der mexikanische Staat verpflichtet hat, geschützt und garantiert sind".

Ein weiterer Kritikpunkt ‒ neben mangelnder Transparenz ‒ ist, dass die Regierung Auflagen abschaffe, zu denen sich der Staat verpflichtet habe, bevor er eine Genehmigung für Megaprojekte erteilt, wie etwa "die Durchführung von Verfahren zur freien, vorherigen und informierten Konsultation und Zustimmung oder die Durchführung vorheriger Sozial-, Umwelt- und Rechtsfolgenabschätzungen". Die Unterzeichner fordern die Nationale Menschenrechtskommission und das Parlament auf, rechtlich gegen das Abkommen vorzugehen.

Unterdessen hat das Nationale Institut für Transparenz, Zugang zu Informationen und Schutz personenbezogener Daten (INAI) erklärt, dass es die Regierungsanweisung untersucht und, falls nötig, "rechtliche Möglichkeiten" dagegen prüfen werde.