Präsident von Kolumbien präsentiert sich als Muster-Verbündeter der Nato

Iván Duque trifft auf Europareise Generalsekretär der Nato. In Kolumbien Kritik an "selbstzerstörerischer" Gefolgschaft für US-Interessen

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Völliges Einverständnis: Duque und Stoltenberg im Nato-Hauptquartier in Brüssel
Völliges Einverständnis: Duque und Stoltenberg im Nato-Hauptquartier in Brüssel

Brüssel/Bogotá. Während einer mehrtägigen Europareise ist Kolumbiens Präsident Iván Duque mit dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zusammengetroffen. Ein Schwerpunkt der Gespräche galt dem zunehmenden Einfluss Russlands und Chinas in Lateinamerika.

"Wir haben uns über die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Russland und China ausgetauscht, einschließlich ihrer Unterstützung für das repressive Regime in Venezuela", sagte der Norweger Stoltenberg in einer Erklärung an die Medien nach dem Treffen, das am Sitz des Militärbündnisses in Brüssel stattfand. Er hob auch die Expertise Kolumbiens bei der Drogen- und der Aufstandsbekämpfung hervor.

Duque nahm die Gelegenheit wahr, seine völlige Übereinstimmung mit der Haltung der Nato in der Ukraine-Krise zu betonen. "Alle Länder der Welt müssen ihre Souveränität frei ausüben und frei entscheiden können, ob sie der Nato beitreten wollen", erklärte der Präsident von Kolumbien, das als einziges Land Lateinamerikas "globaler Partner" der Nato ist.

Bei der Aufnahme Kolumbiens betonte Stoltenberg seinerzeit, man teile gemeinsame Werte und Interessen. Die Zusammenarbeit mit dem südamerikanischen Land habe bereits "echte Vorteile" für beide Seiten gebracht, etwa durch seine Beteiligung an der Nato-Operation Ocean Shield am Horn von Afrika. Kolumbiens "Erfahrung in der Konfliktlösung" könne dem Bündnis "im Hinblick auf den Friedens- und Versöhnungsprozess in Afghanistan zugute kommen", so die Ansicht im Jahr 2018.

Der kolumbianische Staatschef führte nach dem aktuellen Besuch weiter aus, dass er "nachdrücklich“ die Integrität des ukrainischen Territoriums unterstütze und seine Regierung sich bei Sanktionen "der internationalen Gemeinschaft anschließen“ werde, "wenn es irgendeine Art von Maßnahmen gegen diese territoriale Integrität gibt".

An anderer Stelle seines Arbeitsprogramms in Europa hob Duque einen weiteren Aspekt der Ukraine-Krise hervor. "Nach den Spannungen in der Ukraine haben wir Aussagen von Leuten gehört, die sagten, dass sie mehr Militär [nach Venezuela] schicken würden, wenn die Spannungen zunehmen. Und wir haben den russischen Botschafter gefragt, worum es hier geht. Wir wollen nicht in eine geopolitische Schlacht verwickelt werden", betonte Duque im Widerspruch zu seinem Auftritt bei Stoltenberg, bei dem er sich aktiv in der "geopolitischen Schlacht" positionierte.

Hier setzt heftige Kritik aus Kolumbien selbst an den Äußerungen Duques bei der Nato an. Für den Anwalt Alberto Ortiz will der Staatschef "einen Konflikt schüren, von dem er nicht die geringste Ahnung hat".

"Was eine selbstzerstörerische Regierung alles anrichten kann", bemerkte der Akademiker Gonzalo Sánchez, emeritierter Professor an der Nationalen Universität von Kolumbien, in Bezug auf die Äußerungen Duques zur Krise in Europa. Der kolumbianische Präsident werde "bis zur letzten Minute damit fortfahren, Feinde auf der internationalen Bühne zu erfinden und die Anliegen des Landes mit unsicheren Verbündeten verknüpfen", so der Träger des Nationalen Friedenspreises 2016 in Anspielung auf das US-Desaster in Afghanistan.

Francisco Javier Toloza, Professor an der Nationalen Universität, bezeichnete es als besorgniserregend, dass der Präsident "angesichts der von der Nato in der Ukraine erzeugten Spannungen weiterhin dieses Kriegsspiel spielt".

Das Informationsportal Colombia Informa titelte: "Duque bestätigt Kolumbien als Instrument Washingtons für imperiale Offensive". Die Vereinbarungen in Brüssel zwischen Kolumbien und der Nato würden das Land für US-Interessen instrumentalisieren.

Das Portal erinnerte an den kürzlichen Besuch der US-Unterstaatssekretärin für politische Angelegenheiten, Victoria Nuland, im Rahmen hochrangiger strategischer Sicherheitsgespräche zwischen den USA und Kolumbien in Bogotá. Nuland – "die Lobbyistin der wichtigsten Rüstungsunternehmen ihres Landes ist" – habe in Kolumbien "eine Medienblase" erzeugt, um Angst und Unsicherheit hervorzurufen. Demnach sei Kolumbien "Bedrohungen von externen Akteuren" ausgesetzt, insbesondere "im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen".

Die US-Diplomatin habe auch - ohne Beweise vorzulegen – erklärt, dass "Venezuela mit Unterstützung und technischer Hilfe Russlands und des Irans Truppen an der Grenze zu Kolumbien mobilisiert". Die Nato und die USA würden durch Nuland "anti-russische Pläne in unserem Amerika schüren, durch Kriege, von denen die im Kalten Krieg verankerten Waffenhersteller weiterhin profitieren“, heißt es in dem Beitrag weiter.

Bei einem nach dem Stoltenberg-Treffen anberaumten Auftritt vor dem Europaparlament schlug Duque weitere Kritik entgegen: Europaabgeordnete protestieren während seiner Rede. Parlamentarier trugen T-Shirts mit Aufschriften "Stoppt das Töten in Kolumbien", "Wer hat den Befehl gegeben" oder "Respekt für die Friedensvereinbarungen". Vor der Rede des Präsidenten erinnerten Abgeordnete bereits an die Verantwortung seiner Regierung für die Welle der Gewalt im Land, die im Jahr 2021 mehr als 145 und im Jahr 2022 bisher 24 Morde an führenden sozialen und politischen Persönlichkeiten zur Folge hatte.

Kolumbien hat die schlechteste Menschenrechtsbilanz in ganz Lateinamerika. Ein kaum umgesetztes Friedensabkommen, das den jahrzehntelangen internen bewaffneten Konflikt um Landkonzentration und soziale Fragen beilegen sollte, Paramilitärs, Gewalt von Militär und Polizei gegen soziale Proteste und die mächtige Drogenwirtschaft, die mit staatlichen Kräften verbündet ist, hinterlassen wöchentlich Tote und inzwischen wieder eine Zunahme von Hunger.

Die kommenden Wahlen, bei denen der Regierung nach Umfragen eine Niederlage gegen den linken Kandidaten Gustavo Petro bevorsteht, gelten bereits als bedroht durch die Eskalation der Gewalt im Land.