Konzerne erhalten Zugriff auf indigenes Land in Brasilien

Neues Gesetz erlaubt Bergbau und Wasserkraft in indigenen Territorien. Ukraine-Krieg als Vorwand für beschleunigtes Verfahren. Massive Proteste gegen Raub indigenen Landes und drohende Umweltzerstörung

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Protestkundgebung vor dem Kongress während der Debatte
Protestkundgebung vor dem Kongress während der Debatte

Brasília. Die Abgeordnetenkammer in Brasilien hat trotz massiver Proteste die dringliche Behandlung des umstrittenen Gesetzentwurfs PL 191/2020 gebilligt, der den Bergbau auf indigenem Land erlauben soll.

Mit dem Gesetz sollen Teile der Verfassung neu geregelt werden, um die Bedingungen für die Erforschung und Ausbeutung von Erdöl-, Gas- und Kohlenvorkommen sowie für die Nutzung von Wasserressourcen zur Stromerzeugung auf indigenem Land festzulegen.

Der von Präsident Jair Bolsonaros Regierungspartei eingebrachte Antrag wurde mit 279 Ja- gegen 190 Nein-Stimmen angenommen.

Die "Dringlichkeitsregelung" ermöglicht es, dass der Text ohne die üblichen Bearbeitungsphasen binnen 30 Tagen vom Plenum direkt beschlossen werden kann.

Gegen das Gesetz gibt es massive Proteste. Im Plenum prangerten oppositionelle Abgeordnete die gravierenden Auswirkungen des Vorhabens an. Auch kritisierten sie, wie es durchgepeitscht wird, ohne die Ausschüsse zu passieren und noch bevor die Arbeitsgruppen den Vorschlag analysiert hätten.

Im Juni 2021 hatte sogar das Bundesministerium für öffentliche Angelegenheiten das PL 191 als verfassungswidrig bezeichnet.

Vor dem Kongressgebäude in Brasília fand während der Debatte eine große Demonstration statt. Indigene Gemeinschaften, soziale Bewegungen und Gewerkschaften sowie Künstler:innen versammelten sich zu Tausenden zum "Akt für die Erde", um gegen die verschiedenen Gesetzesprojekte zu protestieren, die derzeit im Parlament diskutiert werden.

Sie übergaben Senatspräsident Rodrigo Pacheco ein Manifest, in dem sie die Abschaffung des "Zerstörungspakets" fordern, das die Umwelt und das Überleben der indigenen Völker, der Quilombolas und der Flussbewohner:innen bedrohe.

Dieses Gesetzespaket umfasst neben dem PL 191 weitere Normen, um die Regeln für Umweltlizenzen zu lockern. Zwei weitere Gesetze sollen die Aneignung von öffentlichem Land erleichtern. Das PL 490 soll festlegen, dass eine Demarkierung nur noch erlaubt ist, wenn indigene Gemeinschaften nachweisen können, dass sie das Land bereits zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Bundesverfassung 1988 bewohnten. Hinzu kommt PL 6.299, um das geltende Pestizidgesetz aufzuheben.

PL 191/20 gehört zu den Prioritäten der Regierung, die 2022 im Kongress verabschiedet werden sollen. Das Gesetz gibt alle Arten der Ausbeutung auf indigenem Land sowie den Bau von Staudämmen, Landwirtschaft und Viehzucht und Tourismus frei.

Das Vorhaben verstößt laut Kritiker:innen gegen die Verfassung und die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz Indigener Völker, die Brasilien unterzeichnet hat.

In dem Manifest heißt es, dass Indigene und ihr Land seit 522 Jahren vergewaltigt werden, um Erze, Diamanten, Gold und jetzt Kalium zu plündern. Aktuell geschehe dies mit der Ausrede, dass wegen des Ukraine-Kriegs kein Dünger für die Agrarindustrie mehr geliefert werden könne.

Sonia Guajarara von der Vereinigung der indigenen Völker Brasiliens sagte bei der Übergabe des Manifests, die Indigenen wüssten, dass es im Süden und Südosten des Landes Kali gebe, aber der Bergbau solle legalisiert werden, damit im Amazonasgebiet "weiteres indigenes Land geraubt und Blut vergossen werden kann".

Aufgrund der Sanktionen, die gegen die Russische Föderation verhängt wurden, hat Brasilien derzeit Schwierigkeiten beim Import landwirtschaftlicher Betriebsmittel wie Mineraldünger. Bolsonaro nutze nun den Ukraine-Krieg als Vorwand, um die Dringlichkeit von PL 191 im Parlament durchzusetzen und rasch den Bergbau in indigenen Gebieten zu autorisieren, so das Manifest.

Der Staatschef erklärte, das Gesetz solle Brasiliens Abhängigkeit von Düngemittelimporten aus Ländern wie Russland und Weißrussland beenden, da große Kalivorkommen auf einheimischem Boden vorhanden seien. Er bezeichnete es als "guten Ausweg" aus der Beschaffungskrise, indem indigenes Land "entsprechend den Interessen der einheimischen Bevölkerung" genutzt werden dürfe, um Erze abzubauen, Staudämme und Wasserkraftwerke zu bauen.

Kritiker:innen weisen jedoch darauf hin, dass der Bergbau auf indigenem Land schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit und das Überleben der Gemeinschaften hätte und die Umwelt zerstöre. Die Gemeinden hätten nicht einmal das Recht, gegen Bergbauaktivitäten und den Bau von Wasserkraftwerken Einspruch zu erheben.

Eine von der Bundesuniversität von Minas Gerais durchgeführte Untersuchung belegt zudem, dass die meisten Kalivorkommen außerhalb der indigenen Territorien liegen, im Amazonasbecken finden sich nur elf Prozent der Gesamtmenge. Brasiliens Kaliumchlorid-Vorkommen würden bis zum Jahr 2100 reichen, ohne dass ein Antasten indigener Ländereien notwendig sei, so die Forscher.

Indigene und Umweltorganisationen werfen der Regierung daher vor, die Folgen des Ukraine-Kriegs zu missbrauchen, um ihren Krieg gegen indigene Völker voranzutreiben. Sie prangern auch die Interessen der Bergbaufirmen und der Agrarindustrie an, die noch weiter auf indigenes Land vordringen wollen.

Für die indigene Kunã Yporã (Raquel Tremembé), Mitglied des Nationalen Exekutivkomitees der CSP-Conlutas und der Nationalen Vereinigung der indigenen Kriegerinnen der Vorfahren, ist die Verabschiedung des Dringlichkeitsprozederes für PL 191 ein Affront: Kritik, Unzufriedenheit und demokratische Proteste gegen diesen einschneidenden und verfassungswidrigen Vorschlag würden ignoriert. Mit einem "Camp zur Befreiung der Erde" vom 4. bis 8. April werde man jedoch weiterhin mobilisiert und organisiert gegen jede Art von Rückschlag bei indigenen Rechten vorgehen.