Kolumbien / Politik

Kolumbien könnte bald die erste schwarze Vizepräsidentin seiner Geschichte haben

Beifall, aber auch rassistische Reaktionen nach Nominierung von Francia Márquez. Allianz des Pacto Histórico mit Liberaler Partei auf Eis

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Gustavo Petro über Francia Márquez: Sie sei "die beste Kandidatin, die wir in den letzten Zeiten in Kolumbien überhaupt gehabt haben"
Gustavo Petro über Francia Márquez: Sie sei "die beste Kandidatin, die wir in den letzten Zeiten in Kolumbien überhaupt gehabt haben"

Bogotá. Die progressive Bewegung Pacto Histórico hat die afrokolumbianische Aktivistin Francia Márquez als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft ausgewählt. Sie war nach Gustavo Petro die Präsidentschaftsanwärterin mit den meisten Stimmen bei den Vorwahlen des Pacto Histórico am 13. März. Außerdem war sie die Drittmeistgewählte von allen Vorkandidat:innen der drei Wahlkoalitionen. Márquez übertraf somit alle Vorwahlteilnehmer:innen der neoliberalen mitte-konservativen Koalition "Centro Esperanza" sowie vier der fünf Vorkandidat:innen der Koalition "Team für Kolumbien", die einen großen Teil der Wahlmaschinerie des Landes kontrollieren.

Bei der offiziellen Verkündung der Vizepräsidentschaftskandidatur von Márquez sagte Petro, die Entscheidung sei kollektiv getroffen worden. Sie sei "die beste Kandidatin, die wir in den letzten Zeiten in Kolumbien überhaupt gehabt haben", versicherte der aktuell aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat. Er selbst und Márquez seien nicht als die Nummer eins und die Nummer zwei, sondern als Team "des Einen mit der Einen" zu verstehen.

Márquez soll nicht nur als Vizepräsidentin agieren, sondern als Leiterin des Ministeriums der Gleichheit, das Petro schaffen will, wenn er Präsident wird. "Es ist ein Ministerium für die Frauen, die diversen Personen, die ausgeschlossenen Völker und die kolumbianische Jugend", sagte Márquez.

Bei der Ankündigung ihrer Kandidatur bedankte sich die 36-jährige Aktivistin bei den sozialen Bewegungen der Frauen, Afrokolumbianer:innen, Indigenen und Kleinbäuer:innen, die "im Widerstand für das Leben, den Frieden und die soziale Gerechtigkeit geblieben sind". Sie begrüßte die Arbeiter:innen, die Mittelschicht, die LGTBIQ+-Gemeinschaft, die Umweltaktivist:innen und die Jugendlichen, die sich "im letzten Jahr erhoben haben".

Die Neuigkeit hat in Kolumbien hohe Wellen geschlagen. Neben Gratulationen aus verschiedenen Kreisen des linken, progressiven und liberalen politischen Spektrums zirkulierten in den Leitmedien und in den sozialen Netzwerken abfällige Bemerkungen über Márquez, die von Rassismus und Klassismus zeugen.

Zum Beispiel sagte eine Journalistin des Radiosenders Blue Radio, Petro habe Márquez ausgewählt, weil jede andere Frau im Vergleich zu ihr "zu schön, zu umwerfend und der Schicht sechs zugehörig" aussehen würde. Die Schicht sechs (estrato seis) ist in Kolumbien das Synonym für die sehr Reichen. Zur Schicht eins gehören die ärmsten Teile der Bevölkerung. Die Journalistin hat sich im Nachhinein entschuldigt. In den sozialen Medien tauchten Kommentare auf wie: "Das Gute ist: Wenn Petro gewinnt, hat er schon seine Köchin", oder "Francia Márquez finde ich gut, damit sie mir eine Ethno-Tasche verkauft, aber nicht damit sie über mich regiert". Inzwischen hat Márquez Todesdrohungen von den sogenannten "Schwarzen Adlern" (Águilas Negras) bekommen.

Für Wirbel hat auch eine Aussage von Márquez über den Ex-Präsidenten und Vorsitzenden der Liberalen Partei (PL) César Gaviria gesorgt. Sie hatte eine politische Allianz des Pacto Histórico mit Gaviria abgelehnt, obwohl Petro sich dafür aussprach und Gespräche mit ihm gestartet hatte. Bei der Verkündung ihrer Vizepräsidentschaftskandidatur bekräftigte Márquez ihre Haltung gegenüber Gaviria. Sie habe nichts gegen eine Zusammenarbeit mit der PL, sowieso seien schon Teile der Partei im Pacto Histórico enthalten. Sie lehne aber nach wie vor die Figur von Gaviria ab, weil er ein Neoliberaler und die Kontinuität des Establishments sei.

Kurz danach teilte Gaviria mit, er breche jegliche Gespräche mit dem Pacto Histórico wegen der "unhöflichen, falschen und böswilligen Äußerungen von Frau Francia Márquez" ab. Daraufhin antwortete Márquez: "Ich habe nichts gesagt, das nicht wahr ist." Sollte er jedoch nicht die Fortsetzung des aktuellen Stands der Dinge wollen, könne er es gerne beweisen. Sie sei offen für den Dialog, glaube aber, seine Entscheidung, sich nicht mit dem "Pacto" zu verbünden, stand bereits vorher fest. Gaviria habe ihre Aussage nur als Vorwand benutzt, so Márquez.

Nach dem großen Erfolg bei den Kongresswahlen am 13. März hatte Petro eine breitere Allianz mit "allen demokratischen Kräften" der Gesellschaft angekündigt. Obwohl er Favorit ist und laut den Umfragen einen großen Vorsprung vor seinen Konkurrenten hat, würde er nicht direkt beim ersten Wahlgang am 29. Mai gewinnen.

Der Pacto Histórico hegt großes Misstrauen gegenüber dem Wahlverfahren. In Kolumbien haben Kaufstimmen sowie Korruption an den Wahltischen und in der Wahlbehörde lange Tradition. Das progressive Bündnis hat deshalb ein Netzwerk von über 50.000 Wahlbeobachter:innnen und ein Überprüfungssystem entwickelt, dank dem es circa 500.000 Stimmen in der Woche nach den Kongresswahlen zurückgewonnen hat. Somit erhalten die Progressiven drei weitere Sitzplätze im Senat und wurden zur stärksten Kraft im Kongress.