Washington/Port-au-Prince. Der Vorstoß der USA, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution zur Entsendung einer "Schnellen Eingreiftruppe" nach Haiti durchzusetzen, ist zurückgewiesen worden. Unterdessen hat sich der Anführer der bewaffneten Organisation "Revolutionäre Kräfte der G9-Familie und ihrer Verbündeten" (G9), Jimmy Cherizier, zu Wort gemeldet und vor einer ausländischen Intervention gewarnt.
Bei der Debatte im Sicherheitsrat betonten Vertreter mehrerer Mitgliedstaaten, jede Lösung für die Krise in Haiti könne nur im Land selbst gefunden werden.
So sagte etwa der Gesandte Chinas, Geng Shuang, die internationale Gemeinschaft solle "das haitianische Volk bei der Suche nach einer umfassenden, selbstbestimmten Lösung unterstützen". Zugleich mahnte er, dass ein militärisches Eingreifen in einer Situation, in der es der dortigen Regierung an Legitimität mangele und sie nicht in der Lage sei zu regieren, "auf Widerstand stoßen oder sogar eine gewaltsame Konfrontation mit der Bevölkerung auslösen" könne. Er verwies auf die jüngsten massiven Proteste in Haiti gegen jegliche Intervention von außen, bei denen auch erneut der Rücktritt des amtierenden, nicht gewählten Premierministers Ariel Henry gefordert wurde.
Der Vertreter der Russischen Föderation, Dmitry Polyanskiy, erklärte, das vorgeschlagene Vorgehen des USA sei eine Einmischung von außen in den politischen Prozess in Haiti. "Haitis Interesse den Interessen bekannter regionaler Akteure unterzuordnen, die den amerikanischen Kontinent als ihren Hinterhof betrachten, ist inakzeptabel". Er merkte zudem an, dass "viele Oppositionsgruppen dazu aufrufen, eine ausländische Intervention nicht zuzulassen, und sie verweisen zu Recht auf – um es milde auszudrücken – nicht sehr erfolgreiche Erfahrungen mit der Einmischung von außen in die Angelegenheiten des Landes".
Einigkeit bestand darin, Haiti bei der Bewältigung der Krise zu unterstützen.
Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, verkündete am Ende der Debatte, ihre Regierung werde gemeinsam mit Mexiko zwei neue Resolutionen erarbeiten und dem Sicherheitsrat vorlegen. Die eine solle Sanktionen insbesondere gegen Cherizier beinhalten. Er sei direkt verantwortlich für die Treibstoffknappheit, die das Land lahmlege. Mit der Verabschiedung dieser Resolution würden er "und viele andere gewalttätige Kriminelle" zur Rechenschaft gezogen.
Die zweite Resolution solle eine "internationale Hilfsmission" zur Verbesserung der Sicherheit in Haiti genehmigen, "damit die dringende humanitäre Hilfe für Millionen von Bedürftigen geleistet werden kann". Es solle keine UN-Mission sein, betonte Thomas-Greenfield. Zudem werde sie zeitlich und vom Umfang her begrenzt und "von einem verbündeten Land" geleitet. Die Mission soll ein Mandat für den Einsatz militärischer Gewalt haben, "falls dies erforderlich ist".
Details nannte sie nicht, auch von mexikanischer Seite gab es bislang keine weiteren Erläuterungen.
Unterdessen hat Jimmy "Barbecue" Cherizier im Gespräch mit der haitianischen Zeitung Haiti Liberté betont, die Organisation werde den blockierten Treibstoff erst freigeben, wenn Premier Henry die Preiserhöhung zurücknimmt: "Solange er den Preis auf der vom Internationalen Währungsfonds verlangten Höhe lässt, wird der Treibstoff nicht rausgehen.“
Henry hatte die Preise für Benzin und Diesel am 11. September um 100 Prozent erhöht. Unruhen im ganzen Land noch am selben Tag waren die Folge, am 12. begann die G9 mit der Blockade des Lagers, in dem sich 70 Prozent der Treibstoffe Haitis befinden. Infolgedessen können Krankenhäuser nur eingeschränkt arbeiten, Schulen sind geschlossen. Es herrscht Mangel an Gütern und Ressourcen, etwa Trinkwasser.
Cherizier, ein ehemaliger Polizist, der im Juni vergangenen Jahres inmitten der zugespitzten politischen und sozialen Krise zur "Revolution gegen das verrottete, korrupte System" in Haiti aufgerufen hatte, wies zugleich jede Verantwortung seiner Organisation für Verbrechen gegen die Bevölkerung und die Blockaden ganzer Stadtviertel zurück. Diese gingen auf einen Zusammenschluss bewaffneter Gruppen namens G-Pèp zurück. Sie seien mit ökonomischen und Regierungsstrukturen verbunden. Kürzlich hatte er auch die Zusammenarbeit der Nationalen Polizei mit bewaffneten G-Pèp-Männern angeprangert.
Für die USA aber sei die G9 "die Bestie, die geschlachtet werden soll, weil wir, wie die Volksmassen, echten Wandel fordern, damit sich die Lebensbedingungen der Menschen in den Arbeitervierteln verbessern". Laut Chérizier habe die Gruppe "die Interessen der Oligarchen, der Geschäftemacher, die unsere Industrien zerstört haben, bedroht". Diesen warf er vor, die Bevölkerung im Elend zu halten.
Im Fall einer Intervention würden "die Fremden" nicht nur auf die G9 treffen "sondern auf all die wütenden Menschen in den Ghettos, die in ihren Arbeitervierteln brodeln, die nichts zu verlieren haben und bereit sind, für ihr Land zu kämpfen und zu sterben."
Laut Medienberichten hat Cherizier vergangene Woche in einem auf Facebook veröffentlichten Video einen "Übergangsplan zur Wiederherstellung der Ordnung in Haiti" vorgestellt. Dazu gehört unter anderem, dass ein "Rat der Weisen" eingerichtet wird, dem ein Vertreter aus jedem der zehn Départements Haitis angehört und der mit einem Interimspräsidenten regiert, bis im Februar 2024 Präsidentschaftswahlen abgehalten werden können. Die Polizei soll umstrukturiert und die Armee gestärkt werden.
Er forderte die Regierung zudem auf, ihn und die G9-Mitglieder zu amnestieren und alle Haftbefehle aufzuheben.
Die Massenproteste gegen eine mögliche Intervention in Haiti reißen indes nicht ab. Anlässlich des Gedenkens an die Ermordung von Jean-Jacques Dessalines im Jahr 1806, dem ersten Generalgouverneur der unabhängigen Republik Haiti, demonstrierten Tausende in mehreren Städten. Sie forderten den Rücktritt von Henry, lehnten jegliche Intervention von außen ab und prangerten die hohen Lebenshaltungskosten an. Laut Beobachtern waren Flaggen der Russischen Föderation und der Volksrepublik China auf allen Straßen präsent.