Venezuela / USA / Politik

Der "Interimspräsident" von Venezuela und seine letzte Rolle

Opposition will sich auf die Präsidentschaftwahlen 2024 orientieren. Guaidó bleibt die Rechtsfigur für die Beschlagnahme und Blockierung venezolanischer Vermögenswerte durch die USA und Großbritannien

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Das war es: Bisherige Unterstützer entziehen Juan Guaidó das Vertrauen
Das war es: Bisherige Unterstützer entziehen Juan Guaidó das Vertrauen

Atlanta/Caracas. Die US-Regierung will im Januar nächsten Jahres dem venezolanischen Oppositionspolitiker Juan Guaidó die Anerkennung als "Interimspräsident" des südamerikanischen Landes entziehen. Mit einer entsprechenden Meldung beruft CNN Español sich auf eine diplomatische Quelle, die der Opposition in Venezuela nahesteht sowie auf eine weitere Quelle aus der Opposition selbst.

Über das baldige Ende des "Interims", mit dem seit Anfang 2019 die USA und weitere internationale Akteure den Sturz von Präsident Nicolás Maduro befördern wollten, "wird schon seit einiger Zeit verhandelt", zitiert CNN eine seiner Quellen.

Ein "hochrangiger Vertreter der US-Regierung" soll auf Anfrage gegenüber CNN entsprechende Entscheidungen der venezolanischen Opposition überlassen haben. Es bleibt im Ungewissen, ob der bisherige Oppositionsführer für sein Bündnis oder für seinen auswärtigen Patron zur Disposition steht.

Laut Medienberichten erwägt die Opposition derzeit die Auflösung der von den USA gestützten Übergangsregierung. Demnach befürworten drei der vier größten Parteien des Bündnisses "Einheitliche Plattform" (Plataforma Unitaria) diesen Schritt und haben genügend Stimmen, um ihn durchzusetzen. Die zehn wichtigsten Oppositionsparteien haben sich darauf geeinigt, im Juni 2023 Vorwahlen abzuhalten, um einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen im Jahr 2024 zu bestimmen.

Guaidó und die parallelen Institutionen seiner "Übergangsregierung" haben nie reale politische Macht im Land ausgeübt. Viele der internationalen Unterstützer, zu denen auch die Europäische Union, deren Einzelregierungen und rechtsorientierte Regierungen in Lateinamerika gehörten, haben die Anerkennung der "legitimen Präsidentschaft" des Oppositionspolitikers offiziell oder stillschweigend eingestellt. In Venezuela selbst ist die politische Bedeutung von Guaidó seit Längerem stark zurückgegangen.

Guaidó musste zuletzt in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine heftige Niederlage einstecken, als 19 Länder dafür stimmten, seine Vertretung bei der OAS nicht länger zuzulassen (amerika21 berichtete). Nur Kanada, die USA, Guatemala und Paraguay standen ihm weiter zur Seite, die übrigen neun Mitgliedsländer enthielten sich.

Aber auch für die US-Politik ist ein Festhalten an Guaidó immer fragwürdiger. Seit dem Krieg in der Ukraine und den folgenden westlichen Wirtschafts- und Handelssanktionen gegen Russland ist für die USA der Anreiz, mit Venezuela als dem Land mit den weltweit größten Erdölreserven wieder ins Geschäft zu kommen, stark gewachsen.

Indes bleibt die rechtliche Figur des "Interimspräsidenten" und seiner Parallelinstitutionen für die Abwicklung von riesigen venezolanischen Vermögenswerten, die die USA beschlagnahmt haben, bedeutsam.

Aktuell hat ein Bezirksgericht in Delaware einen Zeitplan und Richtlinien für ein "wettbewerbsfähiges und robustes Bieterverfahren" für die Aktien der PDV Holding festgelegt, wie aus den von Venezuelanalysis, dem Partnerportal von amerika21 eingesehenen Dokumenten hervorgeht. PDV Holding ist die Muttergesellschaft von Citgo in den USA und gehört der staatlichen venezolanischen Erdölgesellschaft PDVSA.

Citgo besitzt drei Raffinerien und ein Netz von über 4.000 Tankstellen in den USA. Die Führung von Citgo hat die US-Regierung 2019 der venezolanischen Opposition um Guaidó übertragen. Die Anerkennung des selbsternannten "Interimspräsidenten" als rechtmäßiger Führer des Landes durch die USA ermöglichte es somit dem damaligen Parlamentschef, die Kontrolle über das venezolanische Staatsvermögen in den USA zu übernehmen. Citgo wird auf rund 8 Milliarden Dollar geschätzt.

Die US-Regierung beförderte mit der Beschlagnahme Entschädigungsansprüche internationaler Konzerne, namentlich des kanadischen Bergbauunternehmens Crystallex, für Enteignungen ihrer Anlagen in Venezuela unter dem früheren Präsidenten Hugo Chávez. Gleichzeitig konnten die USA aus diesen Werten die venezolanische Opposition finanzieren.

Zum Ansehensverlust der "Interimsregierung" in Venezuela hat beigetragen, dass sie wichtigste staatliche Vermögenswerte im Ausland gefährdet hat. Guaidó und seinen Mitarbeitern werden Nachlässigkeit in Gerichtsverfahren, nicht transparente Geschäfte mit Gläubigern und Interessenkonflikte vorgeworfen.

Auch die Blockierung venezolanischer Goldreserven im Wert von etwa 1,7 Milliarden US-Dollar in England hängt an der Anerkennung Guaidós als "legitimem Präsidenten".

Erst im August entschied das Oberste Gericht Großbritanniens im Rechtsstreit um das in der Bank von England eingelagerte Gold zu Gunsten des "Interimspräsidenten" und wies den Versuch der venezolanischen Zentralbank (BCV) zurück, die Kontrolle über die Reserven wiederzuerlangen (amerika21 berichtete).