Argentinien / Politik

Argentinien: Ermittlungen wegen Anschlag auf Cristina Kirchner weiter umstritten

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Die Aufnahme vom versuchten Anschlag auf das Leben von Cristina Kirchner
Die Aufnahme vom versuchten Anschlag auf das Leben von Cristina Kirchner

Buenos Aires. Die Anwälte von Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner haben schwerste Vorwürfe gegen Richterin Maria Eugenia Capuchetti und die Richter der 1. Bundeskammer, Leopoldo Bruglia, Pablo Bertuzzi und Mariano Llorens erhoben. Justizminister Martín Soria ging noch weiter und warf der Richterin vor, Vertuschung zu betreiben.

Die Anwälte, die Kirchner als Nebenklägerin in der Untersuchung des versuchten Anschlags vom 1. September vertreten, hatten vorletzte Woche einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin gestellt, der jedoch zurückgewiesen wurde. Capuchetti leitet die Untersuchung gegen die drei Hauptverdächtigen, Fernando Sabag Montiel, Brenda Uliarte und Nicolás Carrizo, während die gegen die Protestgruppe Revolución Federal von Richter Marcelo Martínez de Giorgi geführt wird. Eine Zusammenlegung beider Untersuchungen würde auf der Hand liegen, da eindeutige Verbindungen offenkundig sind.

Die Kammer hatte jedoch dies früh zurückgewiesen. Sie wollte gegen die drei Hauptverdächtigen so schnell wie möglich den Prozess eröffnen, obwohl die Untersuchung erst begann. Die Tat wird zudem nur als einfacher versuchter Mord und nicht als ein Akt politischen Terrors behandelt. Richter de Giorgi wies man an, die Mitglieder der Revolución Federal in Freiheit zu setzen, da sie nur milde Strafen wegen Sachbeschädigungen und Drohungen zu erwarten hätten. De Giorgi ließ sie zwar unter Auflagen frei, fügte sich jedoch nicht der Empfehlung und wählte einen mit hoher Strafe belegten Tatbestand, der dem deutschen Landfriedensbruch nahekommt. Er untersucht auch weiter die mögliche Finanzierung durch die dem Expräsidenten Mauricio Macri nahestehende Familie Caputo.

Der Befangenheitsantrag führt zahlreiche Fehler, Unterlassungen und Verzögerungen Capuchettis an, von denen die Löschung des Funktelefons des Haupttäters nach seiner Verhaftung die auffälligste war. Sie habe sich regelmäßig geweigert, wichtigen Hinweisen nachzugehen. Zeugenbefragungen erfolgten spät und oberflächlich. Funktelefone von möglichen Beteiligten wurden trotz der Aufforderung der Nebenkläger nicht beschlagnahmt.

Am schwersten, so der Antrag weiter, wiege die Weigerung, nach politischen Hintermännern zu forschen, obwohl es eine Reihe von Indizien gebe, die auf eine Verwicklung oder zumindest eine Kenntnis des Abgeordneten der rechten Propuesta Republicana (PRO), Gerardo Milman, hinweisen.

Milman ist ein Vertrauter von Parteichefin Patricia Bullrich und war unter der Regierung Macri ihr zweiter Mann im Sicherheitsministerium. Zwei Wochen vor dem Anschlagsversuch hatte er einen Parlamentsantrag gestellt, der von einem möglichen "falschen Anschlag" auf Kirchner handelte, mit dem "diese sich als Opfer stilisieren könnte".

Er soll sich auch nach der Beschaffenheit des Personenschutzes der Vizepräsidentin erkundigt haben. Zwei Tage vor dem Anschlag will ein Zeuge gehört haben, wie er in einem Café zu seinen Begleiterinnen sagte: "Wenn man sie tötet, werde ich auf dem Weg zur Küste sein". Trotz solcher Auffälligkeiten befragte die Richterin ihn nicht. Erst nach massivem Druck wurden seine Begleiterinnen verhört, er selbst bis heute jedoch nicht. Bisher wurde bekannt, dass er an Demonstrationen der Revolución Federal teilnahm und verschiedene Querverbindungen zu den Tätern hatte.

Rechtsanwalt Juan Manuel Ubeira mutmaßt eine Verantwortung von Bullrich, die als einzige Spitzenpolitikerin den Anschlag nicht verurteilt hat. Er erklärte, dass man mit dem Tod der Vizepräsidentin eine chaotische Situation verursachen wollte, um damit Präsident Alberto Fernández zum Rücktritt zu zwingen.

Sowohl Capuchetti wie auch die drei Kammerrichter wurden noch von Macri ernannt oder auf die jetzigen Posten unter Umständen versetzt, die als irregulär gelten.

Capuchetti hatte früher enge Beziehungen zum Geheimdienst Agencia Federal de Inteligencia (AFI) unter der Leitung von Gustavo Arribas. Dieser steht aktuell wegen illegaler Spionage u. a. gegen Cristina Kirchner vor Gericht. Capuchettis Schwester war eine AFI-Mitarbeiterin und in Abhöraktivitäten verwickelt. Zudem soll sie sich laut Zeugen gleich zu Beginn des Prozesses mit Ricardo Roa getroffen haben, dem Chefredakteur der oppositionellen Tageszeitung Clarín, seit Jahren heftiger Gegner der Kirchners und Hauptakteur von Medienkampagnen. Es ging mutmaßlich um die mediale Darstellung des Falles. Die Blätter Clarín und La Nación hatten sofort versucht, die Tat entweder als einen Scheinangriff oder als die Tat von "ein paar Verwirrten" darzustellen.