Bolivien / Politik

Bolivien: Festnahme von rechtem Oppositionsführer Camacho führt zu Gewalteskalation

Vier Monate Haft angeordnet. Rechte Gruppen sprechen von "politischer Entführung". In La Paz fordern Angehörige der Massaker von 2019 Gerechtigkeit

bolivien_camacho.jpg

Die Stimmung in Santa Cruz spitzt sich nach der Festnahme von Camacho zu
Die Stimmung in Santa Cruz spitzt sich nach der Festnahme von Camacho zu

La Paz. Die Verhaftung des rechten Oppositionsführers und Gouverneurs von Santa Cruz, Luis Fernando Camacho, und seine Überführung nach La Paz in das Hochsicherheitsgefängnis Chonchocoro hat in den letzten Tagen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Bolivien geführt.

In Santa Cruz steckten dutzende Menschen, darunter vor allem die Anhänger der ultrarechten Jugendorganisation Unión Juvenil Cruceñista (UJC), die Einrichtungen der Staatsanwaltschaft in Brand. Auch das Haus des Ministers für öffentliche Arbeiten, Edgar Montaño, wurde angezündet. Montaño machte dafür öffentlich die UJC verantwortlich und berichtete, dass sein Haus komplett geplündert und Nachbarn, die helfen wollten, angegriffen wurden. Die mit Feuerwerkskörpern bewaffneten Jugendlichen griffen zudem mehrere Polizeiwachen an und zerstörten Streifenwagen sowie öffentliche Einrichtungen.

Zudem haben die Protestierenden mehrere Straßen blockiert. Darunter auch die Hauptzufahrtswege nach Santa Cruz und die wichtige Autobahnverbindung zwischen Santa Cruz und Cochabamba.

Am internationalen Flughafen mussten mehrere Fluggesellschaften ihren Betrieb einstellen, nachdem dort Demonstrierende versucht hatten, die Überführung Camachos nach La Paz zu verhindern. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstrierenden und der Polizei dauerten bis tief in die gestrige Nacht an.

Gegen den christlich-fundamentalistischen Ultrarechten richtet sich die Anklage "Staatsstreich I" wegen Terror, Verschwörung und Volksverhetzung während des Putsches von 2019. Auch gegen Jeanine Añez, die damals die Präsidentschaft von Evo Morales übernommen hatte, Camachos Vater sowie drei ehemalige Minister und Militär- und Polizeichefs wird ermittelt.

Der Staatsanwalt Omar Mejilones beantragte Untersuchungshaft für Camacho. Er erklärte dazu, dass Camacho im November 2019 mit dem festen Vorsatz nach La Paz kam, eine rechtmäßig demokratisch legitimierte Regierung abzusetzen und den Rücktritt des wiedergewählten Morales forderte.

Der zuständige Richter entschied nun, Camacho für vier Monate präventiv zu inhaftieren, während der Fall geprüft werde.

Die politischen Mitstreiter:innen Camachos sprachen indes von politischer Verfolgung und forderten ihre Mitbürger:innen zur Mobilisierung auf. Sie kritisierten, dass Camacho von schwarz gekleideten Beamten zu Boden geworfen und mit Handschellen abgeführt worden sei, während eine Waffe auf ihn gerichtet wurde. Der Minister der Regierung, Eduardo del Castillo, dementierte jegliche Vorwürfe und versicherte, dass die Rechte Camachos eingehalten wurden, er keinerlei Verletzungen erlitten habe und sein Gesundheitszustand stabil sei, veröffentlichte Fotos des Inhaftierten belegten dies.

Der Angeklagte selbst machte gegenüber der Staatsanwaltschaft vom Recht zu schweigen Gebrauch. Er vertraue der Justiz nicht und der Klage würde es an "Kohärenz und Glaubwürdigkeit" mangeln. In einer schriftlichen Erklärung verkündete er später: "Ich bin stolz, Teil des größten Kampfes in der Geschichte Boliviens gewesen zu sein. Ich habe keine Angst vor dem Gefängnis der Diktatur". Auch er beteuerte, auf brutale Art und Weise verhaftet worden zu sein und sieht sich selbst als den "Verteidiger der Demokratie".

Zeitgleich zu den Protesten in Santa Cruz kam es auch in La Paz zu Demonstrationen, allerdings ausgehend von den Angehörigen der Gewaltopfer der Massaker während und nach dem Putsch 2019. Sie forderten Gerechtigkeit sowie eine Gefängnisstrafe für Camacho.

Der Putsch führte zum Rücktritt und zur Flucht ins Exil des damaligen Präsidenten Evo Morales, sowie zu den Massakern von Sacaba und Senkata, bei denen mehr als zwanzig Menschen starben. Añez erklärte sich, eine große Bibel hochhaltend, zur Interimspräsidentin. Unmittelbar neben ihr stand Camacho. Dieser stürmte nach Morales Rücktritt in den Präsidentenpalast, eine Flagge in der einen und eine Bibel in der anderen Hand. "Die Bibel kehrt in den Regierungspalast zurück", verkündete Camacho vor laufender Kamera, während er sich vor einer Bibel und einer Flagge verbeugte, die er auf das Siegel des Präsidenten gelegt hatte. "Pachamama wird nie wieder zurückkommen. Heute kehrt Christus in den Regierungspalast zurück. Bolivien ist für Christus" (amerika21 berichtete).

Camacho steht seit der Wahl von Evo Morales in das Präsidentenamt im Jahr 2005 einer Bewegung vor, die die Unabhängigkeit oder zumindest mehr Autonomie des wirtschaftsstärkeren Tieflands um Santa Cruz vom bolivianischen Hochland anstrebt. Erst vor einigen Wochen war es wegen eines geplanten Zensus zu heftigen Streiks und Demonstrationen gekommen (amerika21 berichtete). Der rechten Opposition und den Wirtschaftseliten von Santa Cruz geht es dabei vor allem um mehr politischen Einfluss im plurinational und zentralistisch regierten Andenstaat.