Progressive Kräfte in Bolivien mobilisieren gegen rechte Gewalt in Santa Cruz

Krawalle nach Festnahme von Gouverneur Camacho halten an. Gewerkschaften und Pacto de Unidad solidarisch mit Linksregierung von Präsident Arce

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Eintracht mit Präsident Arce
Zeichen der Geschlossenheit beim Besuch von Gewerkschafter:innen und Vertreter:innen des Pacto de Unidad im Präsidentensitz

Santa Cruz/La Paz. Als Reaktion auf die andauernden Gewaltexzesse durch Unterstützer:innen des inhaftierten Gouverneurs von Santa Cruz, Luis Fernando Camacho, haben sich zahlreiche linke Basisbewegungen in Alarmbereitschaft versetzt.

Vergangene Woche trafen sich Vertreter:innen des größten Zusammenschlusses indigener, gewerkschaftlicher und sozialer Organisationen, Pacto de Unidad (Pakt der Einheit), und des Dachverbandes der bolivianischen Gewerkschaften (COB) zum symbolischen Schulterschluss mit Präsident Luis Arce. Im Casa Grande del Pueblo, dem Sitz des Präsidenten, bekräftigten sie ihre Unterstützung beim "einheitlichen Prozess des Wandels".

Während die Gewaltaktionen von Unterstützer:innen Camachos besonders in Santa Cruz unvermindert weitergehen, überziehen landesweite Demonstrationen die Straßen aller größeren Städte mit der Forderung nach Aufklärung der Geschehnisse rund um den Putsch 2019 und die Verurteilung aller Beteiligten. Vor allem die Gewaltopfer des Putsches sehen in Luis Fernando Camacho einen der Hauptverantwortlichen der Massaker von Sacaba und Senkata und fordern eine hohe Haftstrafe für ihn.

Insbesondere die Zerstörung von öffentlichen Einrichtungen durch die ultrarechte Jugendorganisation Unión Juvenil Cruceñista in Santa Cruz (amerika21 berichtete) wird von Anhänger:innen der progressiven MAS-Regierung (Movimiento al Socialismo) als bewusste Destabilisierung der Staatsgewalt und neuerlicher Putschversuch von rechts gedeutet. Wiederholt wurden in den vergangenen Wochen Staats- und Polizeigebäude sowie die Häuser des Ministers für öffentliche Arbeiten, Dienstleistungen und Wohnungsbau, Edgar Montaño, und des Bürgermeisters von Santa Cruz, Jhonny Fernández, angegriffen.

Ausgangspunkt der Unruhen ist die Verhaftung des rechten Gouverneurs Camacho am 28. Dezember, der nun im Hochsicherheitsgefängnis Chonchocoro in La Paz in (zunächst) viermonatiger Untersuchungshaft sitzt. Laut Anklage im Fall "Staatsstreich I" wird ihm Terrorismus, Verschwörung und Volksverhetzung während des Putsches von 2019 vorgeworfen (amerika21 berichtete). Am Donnerstag fügte das zuständige Strafgericht der Anklageschrift noch die Punkte "Bestechung und Verführung von Truppen" hinzu. Auch gegen die damalige De-facto-Präsidentin Jeanine Añez, Camachos Vater, drei ehemalige Minister sowie Militär- und Polizeichefs wird ermittelt.

Camacho gilt als Schlüsselfigur beim Putsch und den anschließenden Massakern von Sacaba und Senkata, bei denen mehr als zwanzig Menschen starben. Der Putsch führte zum Rücktritt und zur Flucht ins Exil des ersten indigenen Präsidenten Boliviens, Evo Morales. Mit einer Flagge in der einen und einer Bibel in der anderen Hand stürmte Camacho damals den Präsidentenpalast und verkündete vor laufenden Kameras: "Die Bibel kehrt in den Regierungspalast zurück". Anschließend verbeugte er sich vor einer Bibel und einer Flagge, die er auf das Siegel des Präsidenten gelegt hatte und proklamierte: "Pachamama wird nie wieder zurückkommen. Heute kehrt Christus in den Regierungspalast zurück. Bolivien ist für Christus" (amerika21 berichtete).

Santa Cruz ist das Wirtschaftszentrum Boliviens. Der Konflikt zwischen alten Eliten und rechten politischen Sektoren in Santa Cruz einerseits und der indigenen Bevölkerungsmehrheit andererseits eskaliert seit dem Amtsantritt von Morales im Jahr 2006 immer wieder.

Zuletzt heizte Camacho die Polarisierung erneut an und rief nach einem 36-tägigen Streik in Santa Cruz dazu auf, den Kampf nun auf den "Föderalismus" auszurichten, um "die Macht an die Regionen" zu übergeben. Die per Referendum im Jahr 2009 verabschiedete Verfassung legt dagegen fest, dass Bolivien "ein sozialer, plurinationaler Rechts- und Einheitsstaat, freier Gemeinschaft, unabhängig, souverän, demokratisch, interkulturell, dezentralisiert und mit Autonomien" und "seine Regierungsform die partizipative, repräsentative und kommunitäre Demokratie" ist.

Anfang Januar gab es vereinzelt Kundgebungen von Anhänger:innen des ultrarechten Gouverneurs für seine Freilassung, jedoch fielen diese deutlich kleiner als erwartet aus. Neben Brandanschlägen auf Staats- und Polizeigebäude kam es immer wieder auch zu Kampagnen von Falschinformationen durch die rechte Opposition rund um die Festnahme und die Haftbedingungen Camachos. Erst vergangene Woche hatte die Strafvollzugsbehörde deshalb einen Bericht über den Zustand des Gouverneurs an die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) vorbereitet.

Angesichts der Gewaltaktionen im Land lässt Präsident Arce unterdessen keine Gelegenheit aus, um die gegenseitige Solidarität mit Gewerkschaften und sozialen Organisationen zu demonstrieren. Auf seinem Twitter-Account bedankt er sich fast täglich bei politischen Verbündeten für ihre Unterstützung und ruft dazu auf, "die Demokratie zu verteidigen!".

Die nächste Möglichkeit, um den politischen Zusammenhalt zu stärken, bietet sich bereits am 22. Januar, dem Tag des Plurinationalen Staates Bolivien, zu dem der Präsident alle Basisbewegungen und sozialen Organisationen nach La Paz eingeladen hat.