Bolivien und Kolumbien fordern Ende des Verbots der Kokapflanze

Beide Staaten setzen sich vor UN-Suchtstoffkommission für die Entkriminalisierung ein. Bolivien strebt die Industrialisierung der Pflanze an. Kolumbien forciert neue Drogenpolitik

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Kokablätter beim Tag des Kokakauens in La Paz
Wie hier bei den Feierlichkeiten zum Tag des Kokakauens am 11. Januar in La Paz gehört das Kokablatt zum Alltag der indigenen Andenregion

Bogotá/La Paz. Kolumbien will Bolivien bei seinen Bestrebungen unterstützen, das Kokablatt endgültig von der internationalen UN-Liste der Betäubungsmittel zu streichen. Wie die stellvertretende kolumbianische Ministerin für multilaterale Angelegenheiten, Laura Gil, mitteilte, wird eine entsprechende Petition bei der 66. Sitzung der Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen vom 13. bis 17. März in Wien von beiden Ländern gemeinsam eingereicht.

Boliviens Präsident Luis Arce hatte zuvor anlässlich der Feierlichkeiten zum Tag des Acullico (Kauen der Kokablätter) am 11. Januar erneut gefordert, "das Kokablatt endgültig von der Liste der Betäubungsmittel der Konvention von 1961 zu entfernen". Das durch chemische Zusatzstoffe aus den Kokablättern hergestellte Kokain fällt nicht darunter.

Das Einheitsabkommen der UN-Suchtstoffkommission über Betäubungsmittel regelt seit 1961 die internationale Kontrolle und Bekämpfung des Anbaus, Vertriebs und Konsums von Drogen.

Angesichts der jahrtausendealten Tradition des Anbaus und Kauens der Kokablätter in Bolivien schlug bereits die Regierung des indigenen Präsidenten und ehemaligen Kokabauers Evo Morales vor, einzelne Bestimmungen des Verbots von Kokablättern zu streichen. Nachdem dieser Vorstoß abgelehnt wurde, trat Bolivien 2012 aus dem Abkommen, um unter einem juristischen Vorbehalt, das Kauen, Aufgießen und andere nicht illegale Verwendungen von Kokablättern in seinem Hoheitsgebiet zu erlauben, im selben Jahr die Wiederaufnahme in das Abkommen zu beantragen.

Da nur 15 der erforderlichen 62 Staaten (darunter Deutschland) dagegen stimmten, ist Bolivien seit dem 1. Januar 2013 wieder offizielles Mitglied. 2016 erklärte die Regierung Morales das Kauen des Kokablattes per Gesetz zum "immateriellen Kulturerbe des Plurinationalen Staates Bolivien".

Der neuerliche Vorstoß, das Kokablatt ganz von der Liste der Betäubungsmittel zu nehmen, hat neben der Entstigmatisierung der Kokabäuer:innen auch ökonomische Gründe. Denn abgesehen vom begrenzten Anbau und der Nutzung der Kokapflanze für rituelle und medizinische Zwecke in Bolivien ist jeglicher Handel und Export der Blätter durch das internationale Regelwerk verboten.

Wie die Gründung des Staatsunternehmens Kokabol zeigt, plant die bolivianische Regierungspartei MAS (Movimiento al Socialismo) die Industrialisierung und eine von Präsident Arce proklamierte "freie Kommerzialisierung unseres Kokablatts und seiner Derivate". Bolivien verfügt hinter Kolumbien und Peru über die drittgrößte Koka-Anbaufläche der Welt.

In Kolumbien wiederum vollzieht sich seit Amtsantritt des linken Präsidenten Gustavo Petro 2022 ein Paradigmenwechsel in der nationalen wie internationalen Drogenpolitik. Nach Petros viel beachteter Rede vor der UN-Generalversammlung im September letzten Jahres, in der er den jahrzehntelangen "Drogenkrieg" der USA und des Westens als gescheitert verurteilte, sollen in Wien vor der UN-Suchtstoffkommission die Grundlagen einer neuen Drogenpolitik vorgestellt werden. Kernpunkt hierbei ist eine neue Perspektive auf die Wertschöpfungskette des Drogenhandels, durch die vor allem die Mächtigen bestraft und die Schwächsten geschützt werden sollen, wie etwa Koka-Bäuer:innen sowie junge Menschen, die Drogen konsumieren oder in den Drogenhandel verwickelt sind.

"Wir bestehen darauf, dass nicht die schwächsten Glieder der Kette angegriffen werden sollten, sondern die Mafia, die dahintersteckt“, betonte Ministerin Gil. Ähnlich wie in Bolivien gehe es darum, die Diskussion um Drogen und ihre Verwendung zu entstigmatisieren und zu einem Thema der öffentlichen Gesundheit zu machen.

Die Gegner des von den USA ausgerufenen "Kriegs gegen die Drogen" kritisieren, dass dieses Programm die Nachfrageländer und das internationale Bankensystem, in dem Drogengelder in Milliardenhöhe zirkulieren und eine tragende Funktion erfüllen, aus der Verantwortung nimmt. Der kolumbianische Präsident kritisierte denn auch in seiner UN-Rede, dass "der Markt" und der Profit nicht beachtet würden.

In Deutschland erhalten die beiden Andenländer Unterstützung vom "Schildower Kreis", einem wissenschaftlichen Netzwerk für Drogenpolitik, das die Initiative befürwortet und die Bundesregierung auffordert, diese zu unterstützen. "Coca-Blätter gehören zu der Kultur Indigener Bevölkerungen der Andenregion und werden traditionell für gesundheitliche und religiöse Zwecke gebraucht. Das bisherige Verbot ist pharmakologisch und toxikologisch unbegründet und hat ökologische wie soziale Schäden für die betroffene Region gebracht."

Auch die Anerkennung und Wahrung der indigenen Rechte spielt bei der Legalisierung des Kokablattes eine gewichtige Rolle. Nachdem unlängst das Wissenssystem der Ahnen der vier indigenen Völker Arhuaco, Kankuamo, Kogui und Wiwa der Sierra Nevada de Santa Marta in die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit durch die Unesco aufgenommen wurde, konnten indigene Repräsentant:innen wegen des Verbots keine traditionellen Kokablätter zur Konferenz in Marokko mitnehmen.

Auch der "Schildower Kreis“ bekräftigt diese Ansicht: "Die Herauslösung von Coca-Blättern und deren Nutzung aus der Verbotsliste der UN würde entwicklungs- und umweltpolitisch Fortschritte ermöglichen. Zudem wäre dieser Schritt ein wichtiges Signal, welches Respekt vor Indigenen Kulturen demonstriert."