Argentinien / Politik

Urteilsbegründung im Prozess gegen Ex-Präsidentin von Argentinien: "Im Zweifel für den Staatsanwalt"

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Am Internationalen Frauentag weihte Cristina Kirchner im Senat den Salón Mujeres Parlamentarias zu Ehren der ersten acht Senatorinnen vor 70 Jahren ein
Am Internationalen Frauentag weihte Cristina Kirchner im Senat den Salón Mujeres Parlamentarias zu Ehren der ersten acht Senatorinnen vor 70 Jahren ein

Buenos Aires. In dem Verfahren gegen Argentiniens Vizepräsidentin Cristina Kirchner und weitere Angeklagte wegen vermeintlicher Korruption bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ist die Urteilsbegründung veröffentlicht worden.

Am 6. Dezember vorigen Jahres endete der langjährige und skandalbehaftete Prozess mit einem Urteil zu sechs Jahren Haft und einem lebenslangen Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter gegen die Ex-Präsidentin (amerika21 berichtete). Der Schuldspruch lautete Untreue im Amt und Betrug. Weitere Beschuldigte erhielten unterschiedliche Strafen. Die Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung endete jedoch mit Freisprüchen für alle Angeklagten.

Das Urteil war nicht unerwartet. Die von Anfang an offenkundige Parteilichkeit der Richter (einer von Ihnen spielte Fußball mit dem Staatsanwalt auf dem Landsitz des Ex-Präsidenten Mauricio Macri) sowie der Kammer (zwei von ihnen trafen sich zum Paddle-Tennis mit dem damaligen Präsidenten) hatte der Staatsanwaltschaft erhebliche Prozessvorteile verschafft, behinderte dagegen immer wieder die Arbeit der Verteidiger.

Journalisten, die den Prozess begleiteten, kamen überwiegend zu dem Schluss, dass die Staatsanwaltschaft kläglich gescheitert war und ihre Beweise von der Verteidigung gründlich zerlegt wurden. Mit Spannung war deshalb die Begründung des Urteils erwartet worden, das nun als Konvolut von über 1.600 Seiten vorliegt.

Die Richter sind in ihrer Begründung von der Argumentationslinie der Staatsanwaltschaft weitgehend abgekommen. Die meisten der vermeintlichen Beweise blieben gar unerwähnt, die Anzahl der untersuchten Aufträge wird reduziert: Von 51 Bauvorhaben hatte man schließlich nur fünf begutachten lassen. Die Richter ziehen ihre Schlüsse aus lediglich drei Fällen, aus denen sie einen vermeintlich enormen Schaden für den Staat hochrechnen.

Eine Bereicherung wurde zwar keinem der angeklagten Beamten nachgewiesen, die Richter sehen sie jedoch trotzdem als gegeben, wie auch eine illegale wirtschaftliche Beziehung zwischen der damaligen Präsidentin und dem Bauunternehmer Lazaro Baez, was in mehreren anderen Prozessen widerlegt wurde.

Fachjournalisten und Juristen, die in Talkshows debattierten, konnten einige Formulierungen nur als unfreiwillig komisch auffassen. So schreiben die Richter, dass es zwar zu bestimmten Punkten "keine konkreten Zahlen gibt, wir uns jedoch die erforderliche Expertise angeeignet haben und ohne Furcht zu irren nun behaupten können, dass ein enormer Schaden entstanden ist".

Es gibt viele Textstellen dieser Art. Es mangelt nicht an Adjektiven und blumigen Formulierungen wie "trojanisches Pferd im Herzen des Staates".

Da im ganzen Prozess nicht eine einzige Anweisung der damaligen Präsidentin nachgewiesen werden konnte und kein Zeuge sie erwähnte, versuchte die Staatsanwaltschaft im Schlussplädoyer einen Überraschungscoup über ein angebliches geheimes Treffen in Santa Cruz zwischen Kirchner und dem Unternehmer Lázaro Baéz zu präsentieren.

An dem betreffenden Tag befand Kirchner sich jedoch auf einer öffentlichen Veranstaltung in Rio Negro. Die Richter recherchierten selbst in den sozialen Netzen nach den Begleitern Kirchners und kamen zu dem Schluss, dass zeitlich auch ein Treffen in Santa Cruz hätte stattfinden können. Kein "im Zweifel für den Angeklagten", sondern für den Staatsanwalt.

Die Urteilsfindung erinnert in Argentinien viele an den brasilianischen Richter Sergio Moro, der in seinem Urteil gegen Lula da Silva äußerte, dass er zwar "keine Beweise, aber die innige Gewissheit von seiner Schuld" hätte.

Die Beteiligten haben nun zehn Tage, um Einspruch einzureichen. Die Staatsanwaltschaft hatte schon vorher angekündigt, dass sie gegen die Freisprüche und die in ihren Augen niedrigen Strafen angehen würde. Die Verteidigungsteams werden Befangenheitsanträge gegen die Richter des Kassationsgerichts Nr. 4 stellen.