Chile / Politik

Chile: Verfahren gegen Ex-Präsident wegen Verbrechen gegen die Menschheit

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Protest gegen Polizeigewalt im Dezember 2019. Offiziell wurden 347 Fälle von Teilverlust der Sehkraft oder Erblindung registiert
Protest gegen Polizeigewalt im Dezember 2019. Offiziell wurden 347 Fälle von Teilverlust der Sehkraft oder Erblindung registiert

Santiago. Chiles Ex-Präsident Sebastian Piñera (2010-2014 und 2018-2022) ist als Beschuldigter an zwei Tagen von Sonderstaatsanwältin Ximena Chong befragt worden. Sie ermittelt gegen Piñera und andere ehemalige Regierungsmitglieder wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschheit während der sozialen Proteste in den Jahren 2019 und 2020.

Die Ermittlungen gehen auf eine Anzeige des ehemaligen parteilosen Senators Alejandro Navarro zurück. Er brachte sie zusammen mit Menschenrechtsorganisationen gegen Piñera, die ehemaligen Innenminister Andrés Chadwick und Gonzalo Blumel sowie die Unterstaatssekretäre im Innenministerium Rodrigo Ubilla und Juan Francisco Galli auf den Weg. Hintergrund sind Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Militär während der sozialen Unruhen.

Die Anzeige liegt bereits vier Jahre zurück und kommt durch die Sonderstaatsanwältin Chong, die den Fall von Staatsanwältin Claudia Perivancich übernommen hat, erneut in Bewegung.

Einige Mitbeschuldigte aus Piñeras Regierung wurden bereits angehört, bevor der Ex-Präsident jetzt an zwei Tagen zur Aussage vorgeladen wurde. Er erschien zusammen mit seinen Anwälten, um einen ausführlichen Fragenkatalog zu beantworten und machte nicht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.

Die Verbrechen, die Gegenstand der Anzeige sind, wurden durch Betroffene, Augenzeugen, Presse, Menschenrechtsorganisationen und Gerichte ausführlich belegt. Das staatliche Institut für Menschenrechte (INDH) dokumentiert 26 Morde und versuchte Morde, 347 Fälle von Teilverlust der Sehkraft oder Erblindung, 568 Fälle von unmenschlicher Behandlung oder Folter und 809 sexuelle Übergriffe.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun, ob Piñera die Handlungen der Ordnungskräfte angeordnet, billigend in Kauf genommen bzw. nicht wirksam verhindert hat. Piñera hatte den Protestierenden am 21. Oktober 2019 den Krieg erklärt, als er vor laufenden Kameras äußerte: "Wir sind im Krieg gegen einen mächtigen Feind."

In vorangegangenen Befragungen hat der frühere Innenminister Blumel ausgesagt, dass die Regierung von der Polizei eine Personalaufstockung und verschärftes Vorgehen gegen die Demonstranten gefordert habe.

Nach dem ersten Tag der Vernehmung äußerte Piñeras Anwalt Samuel Donoso, dass die Regierung immer im Sinne der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit unter Berücksichtigung der Menschenrechte gehandelt hätte.

Der Mitbeschuldigten Ubilla (Unterstaatssekretär) und Felipe Guevara (ehemaliger Regierungsbeauftragter für Santiago) hatten in früheren Befragungen durch Staatsanwältin Perivancich bereits ausgesagt, dass sie bei operativen Polizeieinsätzen weder weisungsbefugt waren noch irgendwer aus der Regierung versucht habe, Einfluss auf die Form der Polizeieinsätze während der sozialen Proteste auszuüben.

Es bleibt abzuwarten, ob es zu Prozessen und Verurteilungen kommt. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat bereits einen Antrag des Anklägers von Diktator Augusto Pinochet, Baltasar Garzón, auf Vorermittlungen gegen Piñera wegen Menschenrechtsverletzungen abgelehnt, was den Fall in Chile sicher nicht beflügeln wird.