Bolivien / Politik / Soziales

Fronten zwischen Lehrpersonal und Regierung von Bolivien verhärten sich

Lehrer:innen kündigen weitere Demonstrationen an. Der neue Lehrplan sei "ideologisch" und das Arbeitspensum nicht tragbar. Bildungsminister ruft zum Dialog auf

20230418_205413.jpg

Bildungsminister Edgar Pary mit einem neuen Vorschlag
Ruft zum Dialog auf: Bildungsminister Edgar Pary präsentierte vergangene Woche einen Kompromiss, der jedoch nicht angenommen wurde

La Paz. Die Proteste von Lehrer:innen gegen den neuen Lehrplan des Bildungsministeriums gehen in die siebte Woche. Die Gespräche zwischen dem Ministerium und der Gewerkschaft der Beschäftigten im städtischen Bildungswesen Boliviens (CTEUB) sind zuvor erneut abgebrochen worden.

Vor allem in La Paz und anderen Städten gab es neben mehrtägigen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen immer wieder auch Hungerstreiks. Für den 28. April ist ein nationaler Marsch der Lehrer:innenschaft geplant.

Kernpunkte des Konflikts sind Inhalt und Umsetzung des neuen Lehrplans der MAS-Regierung (Movimiento al Socialismo) sowie die finanzielle Situation der Lehrer:innen an öffentlichen Schulen.

Geplant ist unter anderem, Klassen in Englisch, indigenen Sprachen, Robotik und Schach einzuführen, ohne neue und spezialisierte Lehrkräfte einzustellen. Auch der Bildungsetat soll nicht erhöht werden. Bereits jetzt habe sich mit 674.380 unbezahlten Arbeitsstunden über Jahre hinweg ein "historisches Defizit" bei Lehrenden öffentlicher Schulen angehäuft.

Zwar hat Bildungsminister Edgar Pary zwischenzeitlich neben 2.500 neuen Stellen auch eine Aufstockung staatlicher Lehrdeputate von 16.000 Stunden in Aussicht gestellt, doch deren Aufteilung von je 8.000 auf ländliche und städtische Lehrkräfte erscheint insbesondere der CTEUB als zu wenig. Sie sieht sich in den Aussagen von Minister Pary bestätigt, dass die geplanten Stunden vorerst in bestimmten Regionen für dringend benötigte Fächer wie Chemie und Physik angewendet werden sollen und im Mai nochmals auf ihre Machbarkeit hin evaluiert werden müssen.

Die städtischen Lehrkräfte fordern höhere staatliche Ausgaben für den Bildungssektor und äußern Kritik an Teilen der Lehrinhalte zur jüngeren Landesgeschichte. Sie seien "indoktrinierend" und versuchten, etwa im Falle der Regierungskrise von 2019, die politische Vision der MAS-Regierung zu vermitteln. Zudem fördere der neue Lehrplan die "Gender-Ideologie" in Bereichen wie der Sexualerziehung.

In Bolivien ist die öffentliche Bildung von der Vorschule bis zur Oberstufe kostenlos und wird direkt vom Staatshaushalt getragen. Mehr als 140.000 Lehrkräfte sind so von staatlichen Geldern abhängig. Laut Weltbank investieren Costa Rica, Brasilien, Argentinien, Mexiko und Kolumbien am meisten in die Bildung, während Bolivien seine Ausgaben in diesem Bereich immer weiter reduziert hat. Beliefen sich die Bildungsausgaben im Jahr 2006 noch auf 21 Prozent aller Staatsausgaben, sanken sie bis 2021 auf 16,87 Prozent.

Viele Lehrer:innen öffentlicher Schulen sehen die Bildungsqualität hinter die ihrer Nachbarländer zurückfallen und fordern höhere Löhne. Oftmals müssen die Eltern der Schüler:innen die zusätzlichen Lehrstunden bezahlen, um den Ausfall des Unterrichts zu vermeiden.

Bildungsminister Pary schlägt in diesem Zusammenhang einen Bildungskongress im April 2024 vor, auf welchem vor allem die staatlichen Ausgaben thematisiert werden sollen. Auch bezeichnet er die Umsetzung des neuen Lehrplans nicht als "verpflichtend", sondern vielmehr als "schrittweises Verfahren", das in Übereinstimmung mit den jeweiligen Bildungskontexten eingeführt werde.

Kritik am Lehrplan bringt der Minister auch mit bewussten "Falschinformationen" durch Regierungsgegner:innen in Verbindung. Angesichts einer ersten Einigung mit der ländlichen Lehrer:innenschaft, die mit der MAS-Regierung sympathisiert, ruft Pary die städtischen Lehrer:innen wieder zum Dialog auf und unterstellt vielen von ihnen eine "Politisierung" der Debatte.

"Wenn die Regierung den Konflikt lösen möchte", müsse sie "neue Angebote" wie die Aussetzung des neuen Lehrplans machen, "bis sie das Budget und die entsprechende Arbeitsstundenverteilung vorliegen hat", merkte der Vorsitzende der Lehrer:innenschaft von La Paz, José Luis Álvarez, an.

Unterdessen halten die Lehrer:innen der städtischen Schulen an ihren Forderungen fest und kündigen für das Wochenende neue Protestmärsche in und nach La Paz an, wo die exekutive und legislative Gewalt des Landes sitzt.