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Präsident von Kolumbien: Lateinamerika kein Interesse an Fortsetzung des Ukraine-Kriegs

Plädoyer für einen Friedensdialog zwischen den Kriegsparteien. Kritik am Kriegsdiskurs des Westens. Petro sieht bei Invasionen zweierlei Maß

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Präsident Gustavo Petro im spanischen Kongress im Rahmen eines Staatsbesuchs
Präsident Gustavo Petro im spanischen Kongress im Rahmen eines Staatsbesuchs

Madrid. Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro hat sich während eines Staatsbesuchs in Spanien in einem Interview mit der spanischen Zeitung El País für ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine ausgesprochen. In Lateinamerika nehmen Armut und Hunger zu, weil die Lebensmittelpreise steigen. "Das liegt am Krieg", so der Linkspolitiker.

Eigentlich hätte Lateinamerika das Potenzial, sich durch die eigene Produktion von Nahrungsmitteln selbst zu ernähren. Der freie Weltmarkt hat den Subkontinent jedoch abhängig gemacht von Düngemittel- und Nahrungsmittelimporten, die durch den Krieg verteuert wurden. "Wir sind nicht daran interessiert, dass dieser Krieg weitergeht", sagte Petro.

Er äußerte außerdem, dass "der Diskurs, der sich gegen die Invasionen bestimmter Länder wendet, für uns nicht ehrlich klingt, wenn diejenigen, die diese Invasionen ablehnen, selbst andere Länder angegriffen haben". Damit meine er nicht nur die Fälle im Nahen Osten, sondern auch frühere Invasionen wie die von England in den Malvinen, oder von den USA in Santo Domingo (Dominikanische Republik, 1916 und 1965), Grenada (1983) und Panama (1989).

Auf die Frage der Interviewerin und Chefredakteurin von El País, Pepa Bueno, ob die Invasionen der USA die Bombardierungen Russlands in der Ukraine rechtfertigen, antwortete Petro: "Sie rechtfertigen nicht den Diskurs" gegen die aktuelle russische Invasion. "Wir haben einmal vorgeschlagen, internationale Aggressionen, Invasionen als Verbrechen gegen die Menschheit zu deklarieren. Die USA haben das abgelehnt."

Die Europäer haben aber keine Invasionen durchgeführt, wendete Bueno ein. "Wir haben einen Krieg auf unserem Boden und ein Land, das uns um Hilfe bittet. Wir müssen einem Land, das darum bittet, Hilfe gewähren", so die Journalistin.

"Ich bin mir bei der Behauptung, dass Europa nie Invasionen durchgeführt hat, nicht so sicher. Europa hat sich hinter der Nato verschanzt, aber durch die Nato Invasionen durchgeführt", argumentierte der kolumbianische Präsident. "Warum ist die Invasion in Libyen gut und die der Russen schlecht?" Alle Invasionen seien schlecht, räumte Bueno ein.

Petro entgegnete: "Wenn sie alle schlecht sind, dann sollte die Politik nicht sagen 'diese ist schlecht' und den anderen applaudieren, sondern das Thema der internationalen Aggression zu einem Verbrechen [gegen die Menschheit] erklären, egal wer es begeht". Dies wäre ein seriöserer Diskurs und Lateinamerika würde ihn unterstützen, da der Subkontinent in seiner jüngeren Geschichte mehrere Invasionen erlebt habe, betonte er.

In dem Interview gab der kolumbianische Staatschef Details über das Gespräch bekannt, das er vor zwei Wochen mit US-Präsident Joe Biden geführt hatte. "Ich habe Biden gesagt, dass er im Ukraine-Krieg nicht so eine bahnbrechende Führungsrolle spiele wie bei der Initiative, Auslandsschulden der armen Länder gegen Klimaschutzmaßnahmen einzutauschen." Bei letzterem gehe es um das Überleben der Menschheit, versicherte Petro.

"Ich sage nicht, dass es einfach ist, den Krieg in der Ukraine zu beenden", fügte er hinzu. "Aber wenn wir aufhören würden, die Ukraine als Nato-Territorium zu betrachten, das um jeden Preis verteidigt werden muss, hätten Russen und Ukrainer eine größere Chance, sich an einen Tisch zu setzen und den Krieg zu beenden", sagte Petro.

"Aber sollen wir in der Zwischenzeit den Ukrainern sagen, dass sie für die Sünden der Vergangenheit der USA bezahlen müssen?", fragte Bueno. Der Präsident führte das Beispiel Kolumbien-Venezuela an. Der frühere US-Präsident Donald Trump habe versucht, mit Unterstützung Kolumbiens in Venezuela einzumarschieren. Das habe Venezuela in den russischen Block getrieben und Kolumbien noch mehr in den Nato-Block. Zum Glück sei es nicht zum Krieg gekommen. Beide Länder seien durch gemeinsame kulturelle und historische Bindungen eng verbunden.

"Ich weiß nicht, ob mit der Ukraine und Russland etwas Ähnliches passiert ist, ob die Ukrainer und Russen nicht in einen Krieg getrieben wurden, der einer dritten Partei, nämlich der Nato, in den Kram passt", so Petro. Die Tatsache, dass es in der Ukraine eine russischsprachige russische Bevölkerungsgruppe gebe, könne kein Grund sein, sie als Minderheit anzugreifen oder als Vorwand für einen Einmarsch zu benutzen. Es sollte kein Konflikt über Affinität oder Opposition zur Nato geschaffen werden.

Petro äußerte seine Auffassung, dass der Konflikt leichter zu lösen wäre, wenn er kein Nato-Konflikt mehr wäre und es einen Rahmen gäbe, in dem die Kriegsparteien in Ruhe Gespräche aufnehmen könnten.