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Brasiliens Staatspräsident bei G7 für globale Klima-Agenda und mehr Multilateralismus

Lula fordert mehr Mittel im Kampf gegen Hunger und Klimawandel. Kritik an "antagonistischen Blöcken" und fehlendem Friedenswillen

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Brasiliens Präsident auf seiner Pressekonferenz in Hiroshima
Brasiliens Präsident auf seiner Pressekonferenz in Hiroshima

Hiroshima. Das brasilianische Staatsoberhaupt Luis Inácio Lula da Silva plädiert dafür, den "multiplen aktuellen Krisen" mit einer "geänderten Geisteshaltung" zu begegnen. Diesen Ansatz führte er auf dem G7-Gipfel in Japan aus.

Lula forderte, das globale Finanzsystem zu regulieren und in den Dienst von "Produktion, Arbeit und Beschäftigung" zu stellen, um nachhaltiges Wachstum zu erzielen. Umweltzerstörung und Ungleichheit verlangten "sozial verantwortliche Lösungen", die nur ein Staat ermögliche, der als "Garant der Grundrechte und des kollektiven Wohlergehens" fungiere. Dieser müsse auch eine "gerechte ökologische Transition sowie grüne Industrie und Infrastruktur" fördern. Die Gegenüberstellung von Wachstum und Umweltschutz sei "eine falsche Dichotomie"; es müsse auch global primär um den Kampf gegen Armut und Hunger gehen.

Der Präsident warnte vor einer "Klimakrise unbekannten Ausmaßes", die Arme und Schwellenländer stärker als Reiche und Industrieländer treffen werde. Er dankte für die internationalen Einzahlungen in den Amazonas-Fonds und kündigte an, die indigenen Völker zu Protagonisten beim Schutz des Regenwalds zu machen. Alle 50 Millionen im Amazonas-Gebiet lebenden Menschen müssten die "ersten Partner, Akteure und Nutznießer eines Modells inklusiver und nachhaltiger Entwicklung sein", so Lula. Er erinnerte die G7-Staaten an ihre auf der Klimakonferenz in Kopenhagen gegebene Zusage, jährlich mindestens 100 Milliarden US-Dollar zur Bewältigung des Klimawandels bereit zu stellen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Übereinkünfte gebrochen werden".

Nach Meinung von Diplomaten und Experten, die sich im Sender BBC Brasil äußerten, zielte Lula auf dem G7-Gipfel nicht nur darauf, eine noch größere Zahl von Unterstützerländern für den Amazonas-Schutzfonds zu gewinnen. Es ging ihm im Gespräch mit Kistalina Georgieva, der Direktorin des Internationalen Währungsfonds, auch um weitere Hilfszusagen für das Nachbarland Argentinien, das mit einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise kämpft. Er forderte zudem erneut eine Reform und Vergrößerung des UN-Sicherheitsrats, der neue ständige Mitglieder aus den Schwellenändern haben sollte.

Daneben nutzte der brasilianische Präsident seine G7-Teilnahme auch zur bilateralen Beziehungspflege und zur Fortsetzung seiner Friedensbemühungen. Lula traf sich mit einigen Staatsführen unter vier Augen, etwa mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dem Präsidenten Vietnams und dem indischen Regierungschef Narendra Modi (amerika21 berichtete). Lula und Modi betonten, dass Indien und Brasilien sich weiter gemeinsam um eine Beilegung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine bemühen würden. Lula verurteilte Russlands Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine und sagte, dass diese das Recht auf Verteidigung habe. Er wiederholte zugleich, dass es "keine dauerhafte Lösung gibt, die nicht auf dem Dialog beruht". "Wir müssen daran arbeiten, einen Raum für Verhandlungen herzustellen", so Lula. Ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der auch am Gipfel teilnahm, kam nicht zustande – offiziell wegen beiderseitigen Terminproblemen.

In einer Pressekonferenz unmittelbar vor  der Abreise aus Hiroshima erklärte sich Lula erneut bereit, sowohl mit Selenskyj als auch mit dem Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, zu sprechen, sofern diese zu einer Verhandlungslösung bereit seien. Aber "weder Putin noch Selenskyj sprechen zur Zeit über Frieden. Beide meinen, sie können den Krieg gewinnen. Jeder will, dass sich der Andere ergibt". Lula bekräftigte, dass es ihm vor allem um einen Waffenstillstand gehe: "Wir wollen, dass die Angriffe aufhören. Aber es nützt nichts, von außen etwas aufzudrängen. Es gibt kein fertiges Modell für einen Friedensvertrag."

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate traf Lula in Japan auch den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Dabei ging es vornehmlich um Umweltthemen und die Möglichkeiten der "Wiederherstellung des Friedens in der Ukraine". Zugleich wurden die nächsten bilateralen Treffen vereinbart, unter anderem die zweiten deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen, die im Dezember in Berlin stattfinden sollen. Der hochrangige Austausch fand erstmals im August 2015 unter den Regierungen von Angela Merkel und Dilma Rousseff statt, wurde aber während der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro ausgesetzt.