Guatemala-Stadt. Die Steuerbehörde Guatemalas (Superintendencia de Administración Tributaria, Sat) hat Ermittlungsergebnisse über einen erneuten Steuerskandal präsentiert. Der Leiter der Behörde, Marco Livio Díaz, hielt zu diesem Anlass am 14. August eine Pressekonferenz ab. Entsprechend den Angaben der Behörde sind dem Staat Schäden von 300 Millionen Quetzales (etwa 34,86 Millionen Euro) durch unter Wert angegebene Einnahmen entstanden.
Hinter dem Steuerbetrug soll ein Netzwerk von insgesamt 410 Unternehmen stecken, von denen die meisten im geschäftilichen Viertel Banvi in der Zone sieben der Hauptstadt angesiedelt sind. Daher tauften die Ermittler der Steuerbehörde die Struktur B410. Der Steuerbetrug soll in den Jahren 2021 bis 2023 unter der Regierung von Präsident Alejandro Giammattei realisiert worden sein. Nach Angaben der Ermittler werden weitere Vorgänge untersucht. Die Schäden könnten sich insgesamt auf bis zu 800 Millionen Quetzales (gut 93 Millionen Euro) belaufen.
Hinter den betrügerischen Aktivitäten steht nach bisherigem Ermittlungsstand eine gemeinsame Struktur. Nach Auskunft der Steuerbehörde haben alle 410 Unternehmen den gleichen "Offshore-Standort" im Nachbarland Belize und den gleichen guatemaltekischen Rechtsvertreter, dessen Namen die Behörden nicht nennen wollten. 239 Unternehmen haben dieselbe Adresse in der Zone sieben, nach Medienangaben eine Scheinadresse ohne unternehmerische Infrastruktur. Auf dem mit Kameras ausgestatteten Gelände waren nach Recherchen von PlazaPública lediglich Wachleute anzutreffen, die den Zugang zum Gelände verwehrten.
Auch sollen 75 Prozent der Unternehmen vom gleichen Notar gegründet worden sein, dessen Namen die Steuerbehörde ebenfalls nicht bekannt gab. Nach Medienangaben soll es sich um José Luis Oropín Mollinedo handeln. Dieser schloss nach Presseangaben sein Studium 2018 an der öffentlichen San-Carlos-Universität ab und arbeitete von 2012 bis 2018 für das Gesundheitsministerium. Oropín hatte nach Presseinformationen 2019 erfolglos für den Posten des stellvertretenden Stadtrates in Guatamala-Stadt für die Partei Viva kandidiert.
Gemeinsam mit seinem Kanzleipartner, dem Rechtsanwalt David Francisco Barrera Maldonado, soll Oropin zwischen 2018 und 2024 500 Unternehmen mit der Rechtsform Sociedad Anónima (entspricht der deutschen Aktiengesellschaft, AG) gegründet haben. Ein Teil der Unternehmen, die in den Steuerskandal verstrickt sein sollen, haben Aufträge für den Staat ausgeführt, zum Beispiel für das Gesundheitsministerium und die Nationalpolizei.
Präsident Bernardo Arévalo äußerte am Dienstag in einer Pressekonferenz zu den Vorfällen, es handele sich um "den größten Steuerbetrug in der jüngeren Geschichte unseres Landes". Diese Struktur sei in der Regierungszeit seines Vorgängers Giammattei entstanden, in dieser Zeit "war die Korruption das operative System des Staates". Diese Strukturen bestünden aber fort, erklärte der Staatschef, er habe daher bei der Nationalen Kommission gegen die Korruption eine "Überprüfung aller Verträge des Staates mit Unternehmen angeordnet, damit sich dies nicht wiederholt".
Der Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straffreiheit (Feci), Rafael Curruchiche erklärte dagegen auf einer Pressekonferenz am Donnerstag, der "Hauptverantwortliche für Korruption und Straffreiheit ist der Staatspräsident". Ihm lägen Erkenntnisse vor, nach denen Arévalo Zahlungen an die Unternehmen aus der Struktur B410 angeordnet habe.
Wegen diesem und anderen Korruptionsvorwürfen um den Präsidenten liege der Staatsanwaltschaft seit dem 16. August eine Anzeige vor. Gestellt wurde die Anzeige vom Vorsitzenden der ultrarechten Stiftung gegen den Terrorismus, Ricardo Méndez-Ruiz.
Curruchiche gehörte zu den Akteuren der Staatsanwaltschaft, die Arévalos Amtsantritt im vergangen Jahr verhindern wollten (amerika 21 berichtete).
Guatemala hat die viertniedrigsten Steuereinnahmen Lateinamerikas. Nur in der Dominikanischen Republik, Panama und Guyana werden weniger Steuern gezahlt.