Bogotá. Mehrere zehntausend Menschen haben am Wochenende landesweit für die Reformen der Regierung von Gustavo Petro und gegen Putschversuche demonstriert. Die rechten Oppositionellen im Kongress blockieren seit zwei Jahren gemeinsam die Arbeits- und Gesundheitsreform. Gleichzeitig hat das Verfassungsgericht wesentliche Teile der progressiven Steuerreform für nichtig erklärt. Nun drohen rund 150 Klagen der Opposition vor diesem Gericht auch die im Juni verabschiedete Rentenreform zu kippen.
Der Grund für die zahlreichen Klagen der ultrarechten Parteien Centro Democrático und Cambio Radical gegen die Rentenreform liege in den wirtschaftlichen Interessen der in Kolumbien sehr mächtigen privaten Rentenfonds, die durch die Reform geschädigt würden. So argumentiert Fabio Arias, Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbandes CUT und Mitorganisator der Proteste. Dabei ist die Rentenreform laut Regierungsvertreter:innen eine der größten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte (amerika21 berichtete).
Es gehe um die Frage, in wessen Händen die 28 Billionen Pesos (rund 6,6 Milliarden Euro) bleiben, die die Rentenversicherten jährlich einzahlen: in der öffentlichen Hand oder bei den privaten Rentenversicherungen, so Arias. Die Reform sehe vor, dass rund 70 Prozent der jährlich 28 Billionen Pesos in die öffentliche Hand fließen und 30 Prozent in die Rentenfonds. Heute sei das Verhältnis umgekehrt.
Die Änderung im Rentensystem ermöglicht, dass bis zum Jahr 2052 87 Prozent der Senior:innen eine Rente bekommen. Heute erhalten in Kolumbien nur 25 Prozent der Männer und 13,2 Prozent der Frauen im Rentenalter eine Rente. Die Altersarmut ist ein landesweites Problem.
"Wir brauchen die Reformen und dass die Senioren ihr Einkommen verbessern. Deshalb stehe ich hinter Petro", sagte ein Demonstrant in der Karibikstadt Barranquilla. "Wir sind heute hier, weil ich überzeugt bin, dass wir es sind, die die Reformen auf der Straße verteidigen müssen", sagte ein Teilnehmer der Demonstrationen in Medellín, der Hochburg der Ultrarechten und Anhänger:innen des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe. Trotzdem füllten die Demonstrierenden die Straßen auf mehr als zehn Blocks und riefen Parolen wie "Antioquia ist nicht Uribe".
Auch in Cali demonstrierten rund 15.000 Menschen. "Die Straße ist die Arena, in der die sozialen Kämpfe ausgetragen werden müssen", versicherte dabei eine Aktivistin. "Wir wissen, dass die Oligarchie dieses Landes, also die räuberische und politisch intrigante Gesellschaftsschicht, die ihr ganzes Leben auf Kosten des Volkes gelebt hat, diejenige ist, die keine Reformen will", betonte ein anderer Demonstrant in Cali.
Die Demonstrationen richteten sich auch gegen "Versuche, die Regierung zu destabilisieren", wie es im Aufruf der Fraktion des Regierungsbündnisses hieß.
In diesem Sinne äußerte sich ebenso die "Nationale Volksversammlung für soziale Reformen, Frieden und Einheit", an der wenige Tage vor der Mobilisierung am 19. September rund 10.000 Delegierte von Organisationen der landesweiten sozialen Bewegungen teilnahmen: "Wir lehnen alle Putschversuche ab, die darauf abzielen, den Willen des Volkes durch Drohungen gegen das Leben und die Unversehrtheit des Präsidenten oder durch juristische Mittel, die den verfassungsmäßigen Garantien zuwiderlaufen, zu missachten", hieß es in der Abschlusserklärung.
Damit ist zum einen eine Klage des Nationalen Wahlrates gemeint, die Petro droht und ihn des Amtes entheben könnte (amerika21 berichtete). Zum anderen bezieht sich die Abschlusserklärung auf Attentatspläne gegen den Regierungschef, die aus verschiedenen Quellen stammen.
Der Präsident hat in den letzten zwei Monaten mehrfach über Attentatspläne gegen ihn berichtet. Zwei mit Sprengstoff beladene Kipplaster sollen bei seiner Vorbeifahrt in die Luft gesprengt werden. Es gebe auch seriöse Quellen über ein Attentat mit Gewehren, die mit Geldern der kolumbianischen Mafia in Dubai finanziert worden seien. Diese Version wurde dem Präsidenten von der US-Drogenbehörde DEA geliefert. Nach einer anderen Version soll Petro vergiftet werden.
Der Regierungschef kritisierte das Verhalten der kolumbianischen Mainstream-Medien in diesem Zusammenhang. "Hey, Petro ist verrückt geworden", sei deren Reaktion gewesen, klagte der 64-jährige Linkspolitiker. Dabei hatte der US-Botschafter in Kolumbien, Francisco Palmieri, vergangene Woche in einem Interview bestätigt, dass es eine reale Gefahr für das Leben des Präsidenten gebe.
Die Befürworter:innen der Regierung brachten bei den Demos ihre Ablehnung solcher Mordpläne zum Ausdruck. "Wir sind hier, um den institutionellen Soft-Putsch der Reichen, der manipulierten Justiz, der kriecherischen Medien und all der Korrupten abzulehnen, die Petro heute politisch beseitigen oder töten wollen", sagte ein Demonstrant in Cartagena.
Am Ende der Rede von Petro bei der Abschlusskundgebung auf der Plaza de Bolívar in Bogotá, wo sich rund 10.000 Gewerkschafter:innen, Angehörige von Rentnerorganisationen, Indigene, Student:innen und Anhänger:innen der Regierung versammelt hatten, rief der Präsident zusammen mit den Versammelten acht Mal die berühmte Parole aus dem Spanischen Bürgerkrieg aus: "No pasarán" (sie werden nicht durchkommen).