Port-au-Prince. Wenige Tage nach dem Überfall der Gran-Grif-Gang greift eine weitere paramilitärische Gruppe die Stadt Arcahaie im Westen Haitis an. Die "Taliban" genannte Gruppe tötete dabei mehrere Menschen, laut Meldungen vom Freitag war die endgültige Zahl der Toten noch nicht bekannt.
Auch die Orte Bercy und Fonds Bazile in der Nähe wurden von der Taliban-Gruppe angegriffen. Trotz des Widerstands der Bevölkerung kam es zu Übergriffen, anschließend wurden von den Angreifern mehrere Häuser in Brand gesetzten.
Am Mittwoch hatten die haitianischen Behörden die Zahl der Toten und Verwundeten bei einem Angriff der kriminellen Bande Gran Grif auf die Bewohner der Stadt Pont-Sandé vor einer Woche von 70 auf 109 erhöht (amerika21 berichtete). Der Vize-Delegierte des Distrikts Saint Marc, Walter Montas, bestätigte in einem Interview mit dem Radiosender Magik 9, dass seit dem Angriff am 3. Oktober etwa 40 Menschen im Krankenhaus gestorben sind.
In mehreren Berichten, die in den Jahren 2023 und 2024 veröffentlicht wurden, hatten die Vereinten Nationen wegen der von der Gran Grif Bande ausgeübten Gewalt und der verheerenden Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung gewarnt. Die UNO schätzt, dass in den letzten zwei Jahren mehr als 800 Zivilisten in der Region Artibonite von Banden getötet wurden, während Tausende infolge der anhaltenden Gewalt verletzt oder vertrieben wurden.
Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte von Ende September wurden seit Januar mindestens 3.661 Menschen in Haiti getötet. Die Welle der Gewalt und die prekäre humanitäre Lage haben nach den jüngsten Zahlen der Internationalen Organisation für Migration mehr als 700.000 Menschen, die Hälfte davon Kinder, gezwungen, aus ihren Häusern zu fliehen und in anderen Teilen des Landes Zuflucht zu suchen.
Laut einem neuen Bericht des Integrated Food Security Phase Classification Committee sieht sich Haiti mit einer der schwersten Hungerkrisen der Welt konfrontiert, die durch die seit Monaten grassierende Gewalt noch verschärft wird. Diese Bewertung, die von unabhängigen Experten für Ernährungssicherheit und Ernährung der Vereinten Nationen, von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen durchgeführt wurde, zeigt, dass mehr als fünf Millionen Haitianer unter einer Hungersnot leiden, die als "Krise" oder schlimmer eingestuft wird.
Da das Land bei 50 bis 85 Prozent seiner Nahrungsmittel auf Importe angewiesen ist, ist es extrem anfällig für Inflation und Preisschwankungen auf den internationalen Märkten. Seit Januar 2024 sind die Kosten für einen Grundnahrungsmittelkorb in Port-au-Prince um 21 Prozent gestiegen, was die Situation weiter verschärft.
Der Zusammenhang von Hunger und Gewalt scheint für die aktuelle Situation prägend zu sein. Laut dem von den Vereinten Nationen veröffentlichte Jahresbericht 2024 zu Kindern und bewaffneten Konflikten starben zwischen Januar und September dieses Jahres 105 Kinder auf Grund von Gewaltakten. 300.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, weil sie vertrieben wurden.
Die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch hat davor gewarnt, dass sich Tausende Kindern in Haiti, getrieben von Hunger und Armut, den kriminellen Banden anschließen. "Mit geringen Überlebenschancen werden viele Kinder in Haiti in kriminelle Gruppen gelockt, wo sie in illegale Aktivitäten verwickelt werden und ernsthaften Risiken ausgesetzt sind", sagte Nathalye Cotrino, Leiterin der Konflikt- und Krisenabteilung. Um die Kinder von der Straße und von diesen Gruppen fernzuhalten, müsse sich die Übergangsregierung auf die Lebensbedingungen der Kinder konzentrieren und ihnen Zugang zu den Grundbedürfnissen, Schutz, Bildung und legalen Möglichkeiten zur Wiedereingliederung und Rehabilitation bieten, so Cotrino.
Die Übergangsregierung von Haiti ist derweil vor allem damit beschäftigt, für die von Kenia geleitete multinationale Sicherheitsmission mehr Sicherheitskräfte zu suchen. Premierminister Garry Conille war deshalb in der vergangenen Woche nach Kenia gereist, um die Erhöhung der Zahl der Sicherheitskräfte möglichst schnell zu erreichen. Eigentlich waren 2.500 kenianische Polizisten zugesagt.
Der kenianische Präsident William Ruto versprach am Freitag, die Entsendung von 600 weiteren Polizeibeamten zu beschleunigen. Ruto erklärte, dass "die Verstärkung von besser angepasster Ausrüstung" und die "beschleunigte Abreise der verbleibenden 600 Polizeibeamten des kenianischen Kontingents" in einer Gruppe statt wie geplant in zwei Gruppen stattfinden werde.