Lima. Der peruanische Priester und Begründer der Befreiungstheologie, Gustavo Gutiérrez, ist am Dienstag im Alter von 96 Jahren in Lima gestorben. Seit den sechziger Jahren lehrte er den Einsatz für die Unterdrückten und die Kritik an der sozialen Ungerechtigkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung. Der Aufruf zu ihrer Veränderung war ein zentraler Punkt von Gutiérrez' christlicher Lehre.
"Armut ist für die Bibel ein skandalöser Zustand, der die Menschenwürde und damit den Willen Gottes verletzt", sagte Gutiérrez einst. Die Befreiung der Opfer dieser Missstände, der Armen, sei daher notwendig, heißt es in seinem bekanntesten Buch von 1971 "Teología de la liberación, perspectivas" (Titel der deutschen Ausgabe: "Theologie der Befreiung").
Gutiérrez wirkte als Priester und christlicher Sozialaktivist im Stadtteil Rímac in Lima, wo er mit der armen Bevölkerung zusammenlebte. Sein Lebenswerk war Teil einer Erneuerungsbewegung innerhalb der katholischen Kirche Lateinamerikas in den sechziger Jahren. Sie strebte eine sozialpolitische Interpretation der "Botschaft Jesu" an. Diese Bewegung wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil und die Zweite Lateinamerikanische Bischofskonferenz in Medellín gestärkt.
Die hohe kirchliche Hierarchie missbilligte jedoch die soziale Neuinterpretation der katholischen Lehre durch die engagierte Bewegung vieler lateinamerikanischer Basispriester, weil sie darin eine für sie unzulässige Nähe zum Marxismus sah.
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Erst 2018 erhielt Gutiérrez offizielle Anerkennung von höchster kirchlicher Stelle. Papst Franziskus schickte dem peruanischen Priester zu seinem 90. Geburtstag einen Brief, in dem er Gutiérrez für sein Engagement dankte: "Ich schließe mich Ihrem Dank an Gott an und danke Ihnen auch für Ihren Beitrag für die Kirche und die Menschheit durch Ihren theologischen Dienst und Ihre vorrangige Liebe zu den Armen und Ausgestoßenen der Gesellschaft."
Gutiérrez wurde 1959, mit Anfang dreißig, zum Priester geweiht, machte seinen Abschluss in Philosophie an der Katholischen Universität Löwen in Belgien und promovierte Jahrzehnte später in Frankreich an der Katholischen Universität Lyon zum Doktor der Theologie.
Im Laufe seines Lebens erhielt er außerdem Ehrendoktorwürden von Universitäten in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz, den USA, Argentinien und Peru und veröffentlichte rund zwanzig Bücher.
"Wie oft wurde so getan, als sei Armut so etwas wie eine natürliche Tatsache, fast ein Schicksal, eine Bestimmung, und nicht das, was sie wirklich ist: ein Zustand, der von Menschen gemacht ist und daher verändert werden kann", lehrte Gutiérrez.