Montevideo. Heute wählen die rund 2,7 Millionen Wahlberechtigten in Uruguay ihren nächsten Präsidenten. Zur Wahl stehen die beiden bestplatzierten Kandidaten des ersten Wahlgangs vor vier Wochen: Yamandú Orsi vom progressiven Bündnis Breite Front (Frente Amplio, FA) und Álvaro Delgado vom rechten Bündnis Republikanische Koalition (Coalición Republicana).
Laut Umfragen liegt Orsi zwei bis vier Prozentpunkte vor Delgado, was unter Berücksichtigung der Fehlermarge ein technisches Unentschieden bedeutet.
Im ersten Wahlgang erhielt Orsi knapp 44 Prozent der Stimmen. Die Kandidaten der rechten Koalition traten getrennt für ihre Parteien an: Delgado als Kandidat der konservativ-neoliberalen Nationalen Partei (Partido Nacional, PN) erhielt 27 Prozent der Stimmen, Andrés Ojeda für die neoliberale Rote Partei (Partido Colorado) 16, der Ex-Militär Guido Manini Ríos für die ultrarechte Partei Offener Rat (Cabildo Abierto) 2,45 und Pablo Mieres für die Unabhängige Partei (Partido Independiente, PI) der politischen Mitte 1,7 Prozent.
Würden alle Wähler:innen der rechten Koalitionsparteien ihre Stimme Delgado geben, käme er theoretisch auf knapp 48 Prozent. In der Praxis erfolgen solche Stimmenübertragungen jedoch nicht automatisch.
Laut dem Meinungsforschungsinstitut Faktum haben 47 Prozent der Wähler:innen die Absicht, für Orsi und seine Vizepräsidentschaftskandidatin Carolina Cosse zu stimmen und 45 Prozent von ihnen für Delgado und seine Vize Carolina Ripoll. Das Umfrageinstitut Opción sieht 48,5 Prozent der Stimmen für das Duo Orsi-Cosse und 45,1 Prozent für Delgado-Ripoll.
Die Frente Amplio von Orsi, der der ehemalige Präsident Pepe Mujica angehört, setzt sich für eine Rückkehr zu der progressiven Politik ein, die dieses Bündnis als Regierungskoalition zwischen 2005 und 2019 umgesetzt hat. Die Partido Nacional (PN) von Delgado setzt weiterhin auf eine Sparpolitik, wie sie die aktuelle Regierung von Luis Lacalle Pou seit 2020 verfolgt.
Nach Ansicht des linksgerichteten Zentrums für Wirtschafts- und Politikstudien (CEPR) steht Uruguay heute vor der Wahl zwischen sozialem Abstieg und sozialem Fortschritt. Letzteren habe die FA in der Vergangenheit bereits erfolgreich herbeigeführt. Zwischen 2005 und 2019 stiegen die Sozialausgaben von 18,5 auf 25,8 Prozent des BIP. Als die FA im Jahr 2005 die Präsidentschaft gewann, lebten circa 40 Prozent der Uruguayer:innen unterhalb der Armutsgrenze. Nach den FA-Regierungen von Tabaré Vázquez (2005-2009 und 2015-2019) sowie Mujica (2010-2014) lag die Armutsrate des Landes bei 8,8 Prozent. Unter der PR-Regierung von Lacalle Pou stieg sie bis 2023 wieder auf 10,1 Prozent an.
Auch die Ungleichheit ist während der progressiven Regierungen der FA zurückgegangen. Zuvor hatte eine Person aus den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung das 21-fache des Durchschnittseinkommens vor Steuern einer Person aus den ärmsten 50 Prozent der Bevölkerung. Am Ende der letzten FA-Regierung war es das 13-fache und nach Steuern das Zehnfache.
Unter Lacalle Pou ist die Kluft zwischen Arm und Reich wieder gewachsen. Zwischen 2019 und 2022 stieg das reale Durchschnittseinkommen nach Steuern der reichsten zehn Prozent um acht Prozent, während das reale Durchschnittseinkommen der ärmsten 50 Prozent um 16 Prozent sank.
Die FA-Regierungen führten Sozialreformen durch und stärkten Sozialprogramme. Im Gegensatz dazu setzte die Regierung von Lacalle Pou 2023 eine Rentenreform durch, die eine schrittweise Anhebung des Rentenalters von 60 auf 65 Jahre vorsieht.
Der Republikanischen Koalition gehören ultrarechte Kräfte an, die mit der Diktatur (1973-1985) verbunden sind. Wie im Fall des Ex-Militärs Manini, der 2019 die Partei Cabildo Abierto (CA) gründete und bei den Wahlen direkt elf Prozent der Stimmen erhielt. Im ersten Wahlgang am 27. Oktober erreichte die CA jedoch nur 2,5 Prozent.
Am Tag des ersten Wahlgangs fanden gleichzeitig Parlamentswahlen statt. Die FA erhielt sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat eine relative Mehrheit. Die Partido Nacional und die Partido Colorado wurden zweit- bzw. drittstärkste Partei in beiden Kammern.