Brasilien / Politik / Soziales

Brasilien: Parlament beschließt umfassende Steuersenkungen

Regelungen sollen informelle Wirtschaftstätigkeit bekämpfen. Steuerentlastungen bei Grundnahrungsmitteln und für einkommensschwache Haushalte, aber auch für den Agrarsektor

brasilien_parlament_steuerreform.jpg

Mit 324 Ja-Stimmen und 123 Nein-Stimmen hat die Abgeordnetenkammer den Gesetzentwurf angenommen
Mit 324 Ja-Stimmen und 123 Nein-Stimmen hat die Abgeordnetenkammer den Gesetzentwurf angenommen

Brasilia. Das brasilianische Abgeordnetenhaus hat dem Gesetzentwurf der Regierung zur Reform der Konsum- und Verbrauchssteuern zugestimmt. Das Gesetzespaket sieht eine Reihe von Steuerermäßigungen und -befreiungen vor sowie die Steuerrückerstattung an einkommensschwache Familien, das sogenannte Cashback.

Die Abgeordneten folgten damit parteiübergreifend der Vorlage des Berichterstatters Reginaldo Lopes von der regierenden Arbeiterpartei PT, nahmen aber auch einige vom Senat vorgeschlagen Änderungen auf. Nach Aussage des Berichterstatters korrigiert die Reform vorherige "Verzerrungen". Nunmehr würden Steuern primär beim Konsum statt bei der Produktion erhoben und bei den Investitionen fielen sie erst an, "wenn das Unternehmen Rendite abwirft." Die Reform sei eine Systemänderung, da sie nicht kumulierend wirke, sondern einmalig die Wertschöpfung besteuere.

Die mit der Cashback-Regelung verbundene Idee ist, informelle Wirtschaftsaktivitäten zu bekämpfen und eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes zu ermöglichen, der heute bei durchschnittlich 26,5 Prozent liege. Cashback wird Familien zugutekommen, die bis zur Hälfte des Mindestlohns pro Person verdienen und im Bundesregister für Sozialprogramme eingetragen sind. Bei Lebensmitteleinkäufen von Familienmitgliedern oder regelmäßigen Ausgaben für Dienstleistungen wie Strom, Wasser oder Gas werden – je nach Ware oder Produkt bzw. kommunalen, bundes- und zentralstaatlichen Regelungen – zwischen 20 und 100 Prozent der Verbrauchssteuern rückerstattet.

Berichterstatter Lopes betonte: "Brasilien hat eine Zwei-Billionen-Wirtschaft, über die wir inoffiziell sprechen und die niemand zur Kenntnis nimmt." Mit dem Cashback sollen Teile der bisher informellen Wirtschaftsleistung in den offiziellen Kreislauf einfließen, da die Rückerstattung nur bei Ausstellung einer Rechnung erfolgt. Dies wiederum würde es erlauben, die Steuersätze weiter zu senken. Laut Lopes wird es bei Erfassung von 30 Prozent der bisher informellen Wirtschaftsleistung zu positiven Effekten kommen. Ziel sei es, die Mehrwertsteuer bis 2030 auf 25 Prozent zu senken.

Um einkommensschwache Verbraucher:innen zu entlasten, werden die Lebensmittel des so genannten Basiskorbs (Cesta Básica) steuerbefreit. Darin enthalten sind Grundnahrungsmittel wie Fleisch, Fisch, Käse, Salz, Reis, Bohnen, Milch, Butter, Zucker, Nudeln, Maniok, Mais- und andere Mehle, Obst, Gemüse und Eier sowie Säuglingsnahrung.

Ebenso beschlossen wurde die komplette Steuerbefreiung vieler häufig verwendeter Arzneien. Für alle anderen Medikamente gilt ein ermäßigter Steuersatz von 60 Prozent.

Über den Tellerrand schauen?

Mit Ihrer Spende können wir Ihnen täglich das Geschehen in Lateinamerika näher bringen.

Das Paket umfasst auch Steuersenkungen zugunsten der Landwirtschaft und des Agrobusiness. Die Besteuerung von unverarbeiteten Produkten in der Agrar-, Fischerei- und Forstwirtschaft wird auf 60 Prozent gesenkt, was Groß- und Zwischenhändlern zugutekommt. Die Ermäßigung gilt für Pestizide, Düngemittel, Tierfutter, Veterinärimpfstoffe und Betriebsmittel, sofern sie beim Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht registriert sind. Inbegriffen ist beinahe alles von der genetischen Verbesserung von Tieren und Pflanzen bis zu Laboranalysen, künstlicher Befruchtung und Pestizidspritzen.

Das Abgeordnetenhaus behielt gegen das Votum des Senats die "selektive" Steuer auf zuckerhaltige Getränke bei. Die Selektivsteuer ist eine neue Abgabe zur Besteuerung von Produkten oder Dienstleistungen, die gesundheits- oder umweltschädlich sind. Sie soll auf den Verkauf von Zigaretten und alkoholischen Getränken wie von bestimmten Autos, Booten und Flugzeugen sowie auf Wettgeschäfte ausgeweitet werden.

Es wird erwartet, dass eine selektive Steuer auf Aktivitäten zur Mineraliengewinnung erhoben wird. Der Höchstsatz beträgt 0,25 Prozent, obwohl bis zu 1 Prozent erlaubt ist angesichts der Tatsache, dass diese Tätigkeit die Umwelt schädigt. Waffen und Munition wiederum bleiben von der Selektivsteuer ausgenommen. Ihr Steuersatz bleibt bei 55 Prozent, faktisch können sie durch die übrigen Steuersenkungen billiger werden.

Die verabschiedete Steuerreform schafft (in Ergänzung zu dem bereits existenten und etwas größeren Mikro-Unternehmer) die Figur des Nanounternehmers, die sich an Menschen mit einem Bruttojahreseinkommen von maximal 40.500 Reais (circa 6.500 Euro) richtet. Zu dieser Kategorie gehören auch viele App-Fahrer und Zusteller:innen, die von verschiedenen Verbrauchssteuern befreit werden.

Nachdem das Gesetzespaket zuvor bereits vom Senat verabschiedet worden war, muss nun Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva (PT) zustimmen, damit es rechtskräftig wird.