Guateamala-Stadt. Zahlreiche Menschen haben sich am Dienstag an Aktivitäten zum "Tag der Würde der Opfer des Bürgerkrieges" beteiligt. Am Morgen hatten verschiedene Opferverbände zu einer Demonstration in der Innenstadt aufgerufen, die am zentralen Platz der Verfassung vor dem Regierungssitz endete.
Laut Aussagen von Opferverbänden war für 11:30 Uhr eine Audienz mit Staatspräsident Bernardo Arévalo und Regierungsvertretern angestrebt. Nach kurzzeitiger Verwirrung konnte zwar eine Delegation den Regierungssitz betreten, traf aber nur auf untergeordnete Vertreter.
"Leider haben weder der Präsident noch direkte Regierungsvertreter an dem Treffen teilgenommen", erklärte Juan Pérez Cedillo von der Nationalen Plattform der Organisationen der Opfer des Bürgerkrieges in einer Ansprache nach dem Verlassen des Regierungspalastes. Man "wolle nicht die teilnehmenden Personen in Frage stellen, aber niemand mit Entscheidungsbefugnissen hat teilgenommen".
Zuvor hatte Pérez in einem Interview mit Prensa Comunitaria konkrete Maßnahmen eingefordert. Im vergangenen Jahr habe Vizepräsidentin Karin Herrera dies in Aussicht gestellt, passiert sei aber nichts. Konkret gehe es um Entschädigungen und Wiedergutmachung für Angehörige und Überlebende, von denen viele bereits im hohen Alter oder verstorben sind.
Ein Vertreter der Kommission des Dialoges mit den Opfern sagte dagegen in einer Ansprache auf dem Platz der Verfassung, zwar habe heute niemand aus der Regierung "wegen einer vollen Agenda" Zeit gehabt, bereits für Anfang März sei aber ein "Treffen auf hohem Niveau angestrebt, in dem die Klagen der Opfer mit höchster Dringlichkeit angehört werden." Teilnehmen sollen an dem Treffen "der Minister für soziale Entwicklung und Vertreter aus dem Team der Privatsekretärin des Staatspräsidenten." Seine Ansprache wurde aber nur mit spärlichem Beifall bedacht.
Damaris aus dem Departamento Chimaltenango war mit ihrer Großmutter auf den Platz der Verfassung gekommen. Die damals 15-jährige Tochter der Großmutter wurde Anfang der 1980er Jahre von Soldaten entführt, danach hatten sie nie mehr von ihr gehört, es gäbe auch keine offizielle Bestätigung des Todes. Von Arévalo zeigte sie sich "enttäuscht", auch vor dem Hintergrund, dass vor allem die indigene Bevölkerung und auch ihre Familie 2023 "wochenlang für den Amtsantritt von Arévalo auf der Straße waren, jetzt hat er sich verkauft und uns vergessen", sagte sie im Gespräch mit amerika 21.
Chimaltenango war eines der Departamentos mit der stärksten Mobilisierung zur Verteidigung des Wahlergebnisses gegen den Versuch eines "technischen Staatsstreichs" gewesen (amerika21 berichtete).
Bacilio Jacinto nimmt die Nachrichten aus dem Regierungssitz ebenfalls resigniert zur Kenntnis. Der ältere Landwirt stammt ursprünglich aus dem Departemento Huehuetenango nahe der mexikanischen Grenze. "Der Krieg hat 1983 in unserer Region begonnen", erzählt er gegenüber amerika 21. Die Armee habe "willkürlich Dorfbewohner als angebliche Guerilleros erschossen". Kurz darauf flohen die Einwohner nach Mexiko und konnten erst 1994, als der Bürgerkrieg seinem Ende zuging, zurückkehren. "Unser Land hatte die Regierung da aber schon an andere verkauft". 2001 konnten die Dorfbewohner mit Kleinkrediten gemeinsam ein Stück Land im Departamento Escuintla an der Pazifikküste kaufen. Eine Entschädigung oder Rückgabe des gestohlenen Landes haben sie aber nie erhalten.
Am Abend wurden im vollbesetzen Spanischen Kulturklub in der Zone 1 der Hauptstadt das Buch "Erinnerung der Opfer des Völkermordes" und eine virtuelle Gedenkstätte vorgestellt. Buch und Ausstellung wurden vom Büro für Menschenrechte des Erzbistums Guatemala (ODHAG) und der katholischen Organisation Agiamondo erarbeitet und mit Mitteln des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt. Die Idee entstand während der Begleitung der Zeugen im ersten Völkermordprozess gegen den ehemaligen Diktator Efrain Rios Montt und jetzt im aktuellen gegen Armeechef Benedicto García, erklärte Raúl Nájera vom ODHAG bei der Veranstaltung.
In der virtuellen Ausstellung sind bereits 3.500 Opfer mit Namen, wenn möglich Foto und Details der Lebensgeschichte genannt, im Buch weniger. Die Ausstellung soll aber fortlaufend erweitert werden.
Die Ausstellungseröffnung fand auch vor dem Hintergrund des Prozesses gegen Benedicto Lucas García statt. Der ehemalige Armeechef steht seit vergangenem Jahr wegen Völkermord vor Gericht. Kurz vor Urteilsverkündung im November 2024 gelang es der Verteidigung aber, die Absetzung des Gerichtes und eine komplette Neuverhandlung durchzusetzen (amerika 21 berichtete).
ODHAG und Nebenklage fechten diese Entscheidung zwar an und verlangen die Fortsetzung des Prozesses unter dem alten Gerichtsvorsitz, eine Entscheidung darüber wird aber möglicherweise erst in einem Jahr gefällt, sagte Nájera gegenüber amerika 21.
Ultrarechte Organisationen und Veteranenverbände der Armee spielen auf Zeit und wollen um jeden Preis den juristischen Beweis für einen Völkermord in Guatemala verhindern. Sie hoffen das der 92-jährige García stirbt, bevor ein Urteil gesprochen wird, erklärte Náreja.