Santiago. In Chile ist die Reform des Rentensystems in Kraft getreten. Die Änderung wurde bereits im Januar durch das chilenische Parlament beschlossen (amerika 21 berichtete) und nunmehr durch Präsident Gabriel Boric unterzeichnet. In den vergangenen zehn Jahren gab es mehrfach Versuche, das System der privaten Rentenfonds (Administradora de Fondos de Pensiones, AFP), das in seiner bisherigen Form noch aus der Zeit der Militärdiktatur stammt, zu reformieren.
Nach Berechnungen der Regierung werden die Renten von 2,8 Millionen Menschen zwischen 14 und 35 Prozent steigen. So soll die staatlich garantierte Grundrente auf 250.000 Pesos (etwa 232 Euro) steigen. Daneben ist ein Ausgleich für die höhere Lebenserwartung für Frauen vorgesehen. Frauen und Männern, die mit 65 Jahren in Rente gehen und über die gleichen Ersparnisse in ihren AFP verfügen, erhalten die gleichen monatlichen Rentenzahlungen. Neu ist ebenfalls ein vom Arbeitgeber zu zahlender Pflichtbeitrag von sieben Prozent des Bruttogehalts, der zu den aktuellen 1,5 Prozent für die Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung hinzukommt. 4,5 Prozent des Arbeitgeberanteils fließen dabei in die jeweiligen AFP und vier Prozent in die allgemeine staatliche Sozialversicherung. Die Umsetzung der Reform soll in der zweiten Hälfte des Jahres beginnen.
Boric feierte die Reform bei der Unterzeichnung in der Gemeinde Peñalolén im Osten der Hauptstadt Santiago als eine "kollektive Errungenschaft Chiles". "Seit mehr als zehn Jahren haben verschiedene Regierungen unterschiedliche Projekte zur Verbesserung der Renten bearbeitet. Mit viel Dialog und harter Arbeit ist es uns gelungen, eine Reform zu verabschieden, die 2,8 Millionen älteren Menschen, Arbeitnehmern und lebenslang Beschäftigten zugutekommen wird", hieß es in einer offiziellen Mitteilung des Präsidialamtes.
Auch die Ministerin für Arbeit und soziale Sicherheit, Jeannette Jara, betonte, dass "unser Rentensystem Fortschritte gemacht hat, trotz der Widerstände, trotz derer, die es für unmöglich hielten".
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Kritik kommt derweil von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften. Sie sehen in dem Gesetz eine Stärkung der privaten Rentenfonds, in dem nun weiteres Geld in die private Rentenvorsorge fließe. Boric war 2022 mit dem Versprechen angetreten, die AFP abzuschaffen.
Luis Mesina, Sprecher des Bündnisses No+AFP, erklärte im Interview mit der Plattform El Cuidadano, dass die Reform nicht den strukturellen Wandel darstelle, den sich viele Arbeitnehmer erhofft hatten. Das System der AFP habe sich nachweislich als unwirksam für die Sicherung angemessener Renten erwiesen.
Das Bündnis bemängelt, dass die aktuelle Maßnahme nicht nur unzureichend ist, um die Renten zu verbessern, sondern dass Menschen, die heute maximal 45 Jahre alt sind, zukünftig noch niedrigere Renten erhalten werden. Darüber hinaus kritisieren sie, dass die Ungleichheit der Geschlechter weiter besteht, da die gleichen Zahlungen erst bei einem Renteneintritt mit 65 Jahren greifen. Das gesetzliche Renteneintrittsalter für Frauen liegt allerdings bei 60 Jahren, wohingegen Männer bis 65 arbeiten müssen. Das Bündnis zeigt sich in einer Stellungnahme indes weiter kämpferisch: "Der Kampf um die Wiedererlangung der sozialen Sicherheit für Chile wird weiterhin eine große Aufgabe sein, eine Schlacht ist verloren; aber die Mutter aller Schlachten steht noch aus, und dafür müssen wir unsere Kräfte sammeln."
Am vergangenen Sonntag demonstrierten trotz starken Regens mehrere Tausend Menschen auf der Alameda, der zentralen Verbindungsstraße Santiagos, für eine Abschaffung des privaten Rentensystems. Das Thema der AFP, so viel scheint sicher, ist durch die Reform nicht vom Tisch und könnte auch für die Präsidentschaftswahlen im November von Bedeutung sein.