Port-au-Prince/Washington. Das US-Außenministerium hat Viv Ansanm (Zusammen leben), den Zusammenschluss von irregulären bewaffneten Gruppen im Großraum der Hauptstadt von Haiti, sowie die im Departement Artibonite ansässige bewaffnete Gruppe Gran Grif (Große Klauen) als ausländische terroristische Organisationen und "globale Terroristen" eingestuft. Die Organisationen stellten eine "direkte Bedrohung für die nationalen Sicherheitsinteressen der USA" dar.
"Die Bezeichnung als Terroristen spielt eine entscheidende Rolle in unserem Kampf gegen diese bösartigen Gruppen und ist ein wirksames Mittel, um die Unterstützung für ihre terroristischen Aktivitäten einzuschränken", so Außenminister Marco Rubio in der offiziellen Erklärung.
Der neunköpfige Übergangsrat von Haiti (CPT) begrüßte die Entscheidung Washingtons. Diese ebne den Weg für "konkretere Maßnahmen, nicht nur gegen einheimische Banditen, sondern auch gegen ihre internationalen Verbündeten". Weder das US-Außenministerium noch der CPT haben benannt, wer ihrer Meinung nach die internationalen Unterstützer oder Verbündeten der "Banden" sind.
Die Koalition "Viv Ansanm", zu denen auch der Anführer der bewaffneten Gruppierung G9, Jimmy Cherizier, gehört, ist laut eigener Darstellung angetreten, die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung zu verbessern und "das Land zu befreien".
Für die haitianische Zeitung Haiti Liberté, die die neu Eingestuften als eine "Koalition bewaffneter Nachbarschaftsgruppen" bezeichnet, wirft die verschärfte Haltung der US-Regierung die Frage auf, ob sie eine direkte militärische Intervention in Haiti in Erwägung zieht. Washington hatte bisher und noch während der Regierung von Präsident Joe Biden einen indirekten Einfluss bevorzugt und die Multinationale Sicherheitsunterstützungsmission (MSS) initiiert.
Dies ist eine vorwiegend von den USA finanzierte und ausgerüstete internationale militarisierte Polizeitruppe, für die Kenia etwa 800 Einsatzkräfte stellt. Die MMS wurde vom UN-Sicherheitsrat genehmigt, sie ist jedoch keine offizielle Friedensmission der UNO. Sie gilt als unterfinanziert, unterbesetzt und völlig erfolglos.
So kommt die Einschätzung des früheren US-Botschafters in Haiti, James B. Foley, wieder ins Gespräch, wonach der Einsatz von US-Militär in Haiti unvermeidbar sei. Jedoch müsse Washington "vorausschauend planen, um den Fußabdruck der USA zu minimieren, den die Wiederherstellung eines Mindestmaßes an Stabilität erfordern könnte", schrieb Foley letzten Dezember im Miami Herald.
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US-Präsident Donald Trump sei "gegen endlose Kriege und sinnlose Verluste von US-Leben und Ressourcen in Übersee", so Foley. Eine Intervention in Haiti würde jedoch "kurz und erfolgreich sein und Beifall finden". Ein kleines US-Kontingent könnte nach der Kontrolle der wichtigen Infrastruktur in Port-au-Prince "schnell privaten militärischen Auftragnehmern Platz machen, die die kenianische Mission bis zur Ankunft einer vollwertigen UN-Friedensmission unterstützen würden".
In Haiti verlieren die staatlichen Institutionen zunehmend die Kontrolle über das Land. Die grundlegenden Dienstleistungen für die Bevölkerung und deren Sicherheit sind nicht mehr gewährleistet. Es überwiegen die Stimmen, die lediglich das Bandenwesen im Land als Ursache ansehen, die beseitigt werden müsse.
Indes hat der bekannteste Sprecher der Viv Ansanm, Chérizier, am 5. Mai eine Erklärung abgegeben, in der er endlose Machtkämpfe unter Interessengruppen in Haiti schildert und eine aktuelle Konstellation als Vorbereitung zum Sturz des Übergangsrates mutmaßt. Chérizier gehörte vor der Ankunft der internationalen Polizeitruppe vor einem Jahr zu den entschiedenen Verfechtern einer Lösung der haitianischen Krise ohne auswärtige Interventionen (amerika21 berichtete).
Der Übergangsrat versammelte von Beginn an nur Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die den Einsatz einer internationalen Polizeitruppe befürworteten. Die Einbeziehung von Kräften wie der Viv Ansanm und ihr prominenter Vertreter Chérizier blieben ausgeschlossen.
Die jüngste Maßnahme des Übergangsrates, den Chérizier "die neun Diebe" nennt, war die Schließung der Grenze zwischen der benachbarten Dominikanischen Republik und Haiti für den Warenhandel. Die Entscheidung trifft auch den informellen Handel auf den binationalen Märkten. In Haiti, wo die Bevölkerung nicht mehr sicher ernährt werden kann, dürfen somit Einfuhren nur noch über die eigenen Häfen ins Land gelangen. Die Begründung der Behörden ist, dass an der Landgrenze "lokale Bandenchefs" Einnahmen in großer Höhe generieren könnten. Laut dem haitianische Wirtschafts- und Finanzminister Alfred Métellus verdienten "Banden" zwischen 60 und 100 Millionen US-Dollar pro Jahr mit Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Grenzhandel mit der Dominikanischen Republik.
Haitianische Importeure, die sich auf die dominikanischen Häfen als effizienteste Route für den Wareneingang verlassen haben, müssen nun ihre Logistik umstellen und ausschließlich haitianische Häfen nutzen. Händler, die täglich in die Dominikanische Republik fahren, um Waren zu kaufen, die legal auf den dominikanischen Markt gelangt sind, könnten eine Unterbrechung ihrer Lieferkette in Kauf nehmen müssen.