Quito. Der Nationale Gerichtshof in Ecuador hat am 30. Juni den ehemaligen Vizepräsidenten Jorge Glas zu 13 Jahren Haft und zur lebenslangen Aberkennung öffentlicher Ämter wegen der Veruntreuung von Geldern verurteilt. Glas soll in seiner Funktion als Vizepräsident (2013–2018) Gelder veruntreut haben, die für den Wiederaufbau der Provinz Manabí vorgesehen waren. Kritiker sehen das Urteil als politisch motiviert an.
Die Küstenregion war im April 2016 von einem schweren Erdbeben erschüttert worden. Mehr als 600 Menschen kamen ums Leben. Das Gericht folgte mit seinem Urteil der von der Staatsanwaltschaft geforderten Höchststrafe. Die Vorsitzende Richterin Mercedes Caicedo wies in der Urteilsbegründung darauf hin, dass die von den Ecuadorianern durch Steuern und Beiträge für die Rekonstruktion eingenommenen Mittel dazu verwendet wurden, "nutzlose, ungenutzte und unnötige Bauten zu errichten, ohne Rücksicht auf das Solidaritätsgesetz, aber vor allem ohne Rücksicht auf die Opfer des Erdbebens".
Neben Glas wurde der ehemalige Vorsitzende des Wiederaufbaukomitees, Carlos Bernal, ebenfalls zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Darüber hinaus ordnete das Gericht an, dass beide eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 250 Millionen US-Dollar an den ecuadorianischen Staat zahlen müssen. Bernal lebt seit 2018 in den USA und nahm am Verfahren nur per Video teil.
Konkret sollen Glas und Bernal Bauprojekten den Vorrang gegeben haben, die weder prioritär waren noch in direktem Zusammenhang mit der Restauration standen. Die dringenden Bedürfnisse der Betroffenen seien dadurch nicht berücksichtigt worden, wodurch dem ecuadorianischen Staat ein Schaden von mehr als 225 Millionen US-Dollar entstanden sei.
Kritik am Vorgehen der Justiz kam bereits vor dem Urteilsspruch von internationalen Juristen des Komitees für die Freiheit von Jorge Glas. In einem auf X veröffentlichten Bericht halten sie die Voraussetzungen für den Tatbestand der Veruntreuung für nicht erfüllt. "Glas hat keine öffentlichen Mittel verwaltet, er hat keine Zahlungen genehmigt oder Verträge unterzeichnet", heißt es in der Stellungnahme.
Ohne Moos nix los
Ihnen gefällt die Berichterstattung von amerika21? Damit wir weitermachen können, brauchen wir Ihre Unterstützung.
Darüber hinaus wird festgestellt, dass dem Staat kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei, keine Gelder umgelenkt wurden und die durchgeführten Arbeiten – der Bau von Straßen, Brücken und Trinkwassersystemen – den vom Erdbeben betroffenen Gebieten zugutekamen. Sie prangern zudem eine selektive Verfolgung an: Von über hundert Amtsträgern seien lediglich Glas und Bernal strafrechtlich verfolgt worden. Das Komitee warnt auch davor, politische Verantwortung mit strafrechtlicher Verantwortung zu verwechseln.
Kritik und Unverständnis für das Urteil äußerte auch Ecuadors ehemaliger Präsident Rafael Correa, dessen Vizepräsident Glas war. In einem Interview mit dem russischen Sender RT bezeichnete Correa Glas als Opfer von Lawfare durch die extreme Rechte. Er betonte, dass sowohl Glas als auch Bernal im Einklang mit dem Gesetz gehandelt hätten. "Dafür, dass sie ihre Arbeit gemacht haben, gibt es 13 Jahre Gefängnis, 25 Jahre Verlust des Wahlrechts und 250 Millionen US-Dollar, die an den Staat zu zahlen sind […]. Das ist das Lächerlichste, was es auf der Welt gibt. Ich weiß nicht, wie Ecuador so etwas zulassen kann, wie Lateinamerika eine solche Ungeheuerlichkeit zulassen kann, genug ist genug."
Als Reaktion auf das Urteil teilte das mexikanische Außenministerium mit, dass man die ecuadorianische Regierung erneut um freies Geleit für Jorge Glas ersucht habe, dem diplomatisches Asyl gewährt worden sei. Glas hatte sich Ende 2023 in die mexikanische Botschaft geflüchtet. Anfang April 2024 stürmte die ecuadorianische Polizei die Botschaft. In der Folge brach Mexiko die diplomatischen Beziehungen zum Andenstaat ab (amerika21 berichtete).
Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) appellierte indes an Ecuador, die Haftbedingungen und Sicherheitsmaßnahmen für Glas zu überprüfen und ihn umgehend in ein anderes Gefängnis zu verlegen. Grund dafür ist insbesondere der psychisch schlechte Gesundheitszustand des 55-Jährigen. Bereits im April 2024 hatte es einen Selbstmordversuch gegeben. Einen ähnlichen Appell hatte die Kommission bereits im Februar geäußert (amerika21 berichtete). Dennoch sitzt Glas erneut im Hochsicherheitsgefängnis La Roca in Guayaquil.
Ob diplomatische Initiativen erfolgreich sein werden, ist ungewiss. Das bisherige Verhalten des ecuadorianischen Staates lässt daran jedoch erhebliche Zweifel aufkommen.