Santiago. Der private Fernsehsender CHV hat ein Netz von Internetkonten aufgedeckt, das seit Monaten versucht, den chilenischen Präsidentschaftswahlkampf mit Falschmeldungen zu beeinflussen.
Wie CHV Ende vergangener Woche meldete, überschüttete das Trollnetzwerk die Präsidentschaftskandidaten der Mitte-links Regierungsallianz, Jeannette Jara, und die der konservativen Partei, Evelyn Matthei, mit Falschmeldungen und bevorzugte den ultrarechten Kandidaten José Antonio Kast. Die drei gelten als die Favoriten für die Wahl im November.
Matthei hatte sich bei einigen ihrer Reden während des Wahlkampfs "verheddert." Das nahmen die anonymen Besitzer mehrerer Konten in den sozialen Netzen zum Anlass, um ihr eine Alzheimererkrankung anzudichten. Ihre UDI (Demokratische Unabhängige Partei) und Kasts RN (Nationale Erneuerung) kämpfen potentiell um die gleiche Wählerschicht.
Mattheis Team begann mit der Recherche und entdeckte 70 Konten, auf denen gleiche oder ähnliche diffamierende Inhalte veröffentlicht wurden. Eine Rechtsanwältin stellte Kontakt mit Ricardo Inaiman Barrios, einem der Kontobesitzer, her und überredete ihn zu einem persönlichen Treffen.
Inaiman berief sich auf die freie Meinungsäußerung und lehnte jede Verantwortung für die Verleumdungen ab. Er verwies auf ein Konto bei X mit dem Usernamen "PatitoVerde", dessen Inhalt er weiterverbreitete. Das Konto enthielt keine Informationen über den Klarnamen des Inhabers, aber es gelang Mattheis Anwältin dennoch dessen Wohnadresse herauszufinden.
Dadurch konnte Patricio Góngora als Urheber des Trollnetzwerks identifiziert werden. Góngora war bis zu diesem Zeitpunkt Direktoriumsmitglied bei dem privaten Fernsehsender Canal13. Der Sender ist Eigentum der Familie Luksic, die mit einem Vermögen von geschätzten 13 Milliarden US-Dollar zu den reichsten Familien Chiles gehört.
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Nach dem Bekanntwerden der Reportage von CHV trat Góngora zurück. Auf Initiative von zwei Abgeordneten ermittelt jetzt die Regionalstaatsanwaltschaft von Valparaiso wegen Cyberkriminalität und krimineller Vereinigung.
Kast bestreitet jede Verbindung zu den Ereignissen. Ihm zufolge ist die ganze Angelegenheit eine Inszenierung der politischen Linken, hinter der Jeannette Jaras Bruder stecken soll. Tatsächlich arbeitet Sergio Jara Román als Journalist bei CHV.
Der Sender stellte jedoch umgehend in einer Presseerklärung klar, dass die Recherche zum Trollnetzwerk vom investigativen Team von CHV durchgeführt wurde, während Sergio Jara im Morgenmagazin angestellt sei.
Die Regierungssprecherin Camila Vallejo kommentierte den Vorgang auf ihrem privaten Konto bei X: "Es geht uns um die Wahrung des bürgerlichen Zusammenlebens und der Demokratie. Von Anfang an haben wir die Kampagnen von anonymen Konten kritisiert, die Lügen verbreiten, um Präsidentschaftskandidaten, die Regierung und den Präsidenten selbst zu schädigen."
Heute scheint Matthei das Hauptopfer der Trolle. Als Chiles Präsident Gabriel Boric 2023 eine parlamentarische Untersuchungskommission zum Missbrauch der sozialen Medien bilden wollte, war es jedoch ihre Partei, die versuchte, das Vorhaben vor dem Verfassungsgericht zu stoppen. Sie sah damals das Recht auf freie Meinungsäußerung gefährdet.

