Maduro und der Markt

Kann Venezuelas Präsident Maduro die bolivarische Revolution auf Kurs halten angesichts abstürzender Ölpreise und einer radikalisierten Opposition?

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Die Regierung Maduro reguliert die Preise und Gewinnspannen für zahlreiche Güter des täglichen Bedarfs
Die Regierung Maduro reguliert die Preise und Gewinnspannen für zahlreiche Güter des täglichen Bedarfs

Es ist eine Ehrensache für die venezolanische Regierung, dass Präsident Nicolás Maduro trotz des tiefen Falls der Ölpreise und akuter Knappheit von Gütern Austeritätsmaßnahmen ausgeschlossen hat. In einem kürzlich vom früheren Vizepräsidenten José Vicente Rangel geführten Fernsehinterview erklärte Zentralbankpräsident Nelson Merentes die Gründe. Er fragte: "Erinnern Sie sich, was am 27. Februar 1989 passierte?" An diesem Tag brachen massive landesweite Unruhen aus, nachdem die Regierung von Carlos Andrés Pérez starke Preiserhöhungen und Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds verkündete und damit den Weg bereitete für den militärischen Aufstand unter Führung von Hugo Chávez 1992. Die Erinnerung an den 27. Februar 1989 und die Entscheidung des ehemals linksgerichteten Pérez, als Ausweg aus drückenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten sich mit mächtigen wirtschaftlichen Gruppen zu arrangieren, hat unzweifelhaft Gewicht bei Maduros Antwort auf die gegenwärtige Situation.

Seit der Übernahme der Präsidentschaft nach Hugo Chávez' Tod im März 2013 sieht sich Maduro schwerwiegenden wirtschaftlichen und politischen Problemen gegenüber. An erster Stelle erbte er einen Bolívar, die nationale Währung, mit stark verminderter Kaufkraft, die Ende 2012 an Wert zu verlieren begann, als Chávez offensichtlich starke Schmerzen litt wegen seiner Krebserkrankung, an der er schließlich verstarb, und das zu einer Zeit, als sofortiges Handeln der Regierung nötig war. Jeder Versuch Maduros, nach der Übernahme der Präsidentschaft den offiziellen Wechselkurs1 abzuwerten, hätte das Risiko beinhaltet, eine Spirale der Inflation auszulösen.

Dazu kommt, dass in den zwei Jahren von Maduro als Präsident die oppositionellen Kräfte zahlreiche störende und manchmal gewaltsame Proteste mit Dutzenden Toten, einschließlich zehn Beamten der Sicherheitskräfte, durchführten. Die Täter wurden sowohl von den internationalen Medien begünstigt, die die Schwere ihrer Handlungen herunterspielten, als auch von der US-Regierung, die Sanktionen gegen venezolanische Regierungsmitglieder wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen verhängte. Im März gab US-Präsident Barack Obama ein Dekret heraus, das venezolanische Menschenrechtsverletzungen verurteilt und das Land zu "einer außerordentlichen Bedrohung" für die "nationale Sicherheit" der USA erklärt. Dabei handelte es sich um eine Maßnahme, die rechtlich den Weg für Wirtschaftssanktionen ebnete, wie es etwa auch bei Ländern wie Iran und Syrien der Fall war.

Den Mittelweg nehmend

In einer Ankündigung wirtschaftspolitischer Maßnahmen durch die Regierung nahm Maduro am 10. Februar den Mittelweg zwischen regulierten Preisen, die komplett unabhängig vom Markt sind oder sogar von den Produktionskosten, und Preisen, die an die Marktbedingungen gebunden sind. Auf der einen Seite legalisierte und regulierte die Regierung den offenen Markt für den Kauf von Fremdwährungen unter Anerkennung der wirtschaftlichen Realität; das sind Transaktionen, die zuvor einen Schwarzmarkt begründeten. Auf der anderen Seite behielt Maduro den Wechselkurs von 6,30 Bolivar zum Dollar bei, abweichend von der Marktökonomie und zugunsten der Einfuhr von Gebrauchsgütern. Dieser Kurs war 27 Mal niedriger als der auf dem offenen Markt.

Der immer größer werdende Unterschied zwischen dem offiziellen und inoffiziellen Wechselkurs während der letzten zweieinhalb Jahre erzeugte akute Probleme in Form von Schmuggel, Horten und Preisspekulation. Unzweifelhaft bereitet der Schwarzmarkt einen fruchtbaren Boden für Geldwäsche. Die Regierung setzt künstlich niedrige Preise nicht nur für Fremdwährungen, sondern auch für Gebrauchsgüter, eine Praxis, die zu den Problemen des Schmuggels und eines Schwarzmarktes für knappe Güter beiträgt. Das krasseste Beispiel künstlicher Preise ist das Benzin, es ist weltweit in Venezuela am billigsten. Die Politik subventionierter Preise untergräbt das Überleben von staatlichen Unternehmen, die gezwungen sind, ihre Güter unter dem Selbstkostenpreis zu verkaufen. Im Kontrast dazu können private Unternehmen manchmal die Preisregulierung umgehen, indem sie den Inhalt von Produkten ändern, um sie als nicht reguliert zu verkaufen.

Die kürzlich vorgenommene Legalisierung des offenen Fremdwährungsmarktes zielt darauf ab, Spekulation einzudämmen. Der dominierende Dienst, der den Preis des Dollar auf dem Schwarzmarkt angab, war der lautstark antichavistische Dollar Today im Internet, der nahe Miami sitzt, was anzeigt, dass die rasche Entwertung des Bolivar zumindest teilweise politisch motiviert sein könnte. Ein zweites Motiv hinter der neuen Maßnahme ist die Förderung von Exporten, indem man Unternehmen erlaubt, ihre Gewinne legal zum Wechselkurs des offenen Marktes zu repatriieren.

Schmuggel und Horten

Die Regierung war auch darauf aus, Extreme bei der Durchsetzung von Gesetzen zu vermeiden, die Horten, Schmuggel und Preisspekulation verbieten. Auf der einen Seite hat sie durch die Aufsichtsbehörde für gerechte Preise (Sundde) Strafen verhängt, Waren beschlagnahmt und Hunderte von Handelsfirmen besetzt, darunter auch große. In den vergangenen Monaten übernahm es acht Kaufhäuser von Herrera C.A., exklusive Händler von Produkten von Kellog's, Nestlé, General Mills, Procter and Gamble und Pfizer und verhaftete führende Manager der oligopolistischen Apotheke Farmatodo.

Große Firmen wie Herrera C.A., die Hortung betreiben, haben mehr zu verlieren als kleinere, und dadurch kommen politische Motive sehr wahrscheinlich ins Spiel. Ihre Praktiken des Hortens und mögliche Komplizenschaft auf dem Schwarzmarkt und beim Schmuggel geben der Behauptung Glaubwürdigkeit, dass mächtige Gruppen in einem "Wirtschaftskrieg" gegen die Regierung kämpfen.

Auf der anderen Seite akzeptierte die Regierung die Forderung des nationalen Unternehmerverbandes Fedecámaras, nur auf gesetzlich festgelegten Wegen vorzugehen. Folglich verwarf sie eine rasche Vorgehensweise und nahm davon Abstand, die juristischen Verfahren gegen angeklagte Geschäftsleute medial auszuschlachten.

Maduro beharrte darauf, dass die politischen Bedingungen für die Umsetzung drastischer wirtschaftlicher Maßnahmen nicht gegeben sind, die eine unversöhnliche und aggressive Opposition ausschlachten könnte. Darüber hinaus sagte er zu José Vicente Rangel, dass das Problem der Benzinpreise "immer heikel ist in Bezug auf die Befindlichkeiten der Venezolaner". Er fügte hinzu, dass angesichts der Existenz von "mafiosen Spekulanten in Venezuela eine Entscheidung wie diese das Problem verschlimmern könnte" und demzufolge die Regierung auf den richtigen Moment zum Handeln warten müsse.

Linke Hardliner und Dogmatiker ignorieren den Stellenwert des Marktes und sehen den Schwarzmarkt dementsprechend als eine Schöpfung von Spekulanten, die durch effiziente Regierungspolitik beseitigt werden könnte. Im anderen Extrem rufen manche prochavistischen Ökonomen danach, dass der offizielle Wechselkurs nahe am Kurs des offenen Marktes liegt. Während dieser Plan rein theoretisch logisch ist, ignoriert er die sich ergebenden schädlichen sozialen Auswirkungen. Die Abschaffung von künstlich niedrigen Preisen (die durch eine überbewertete Währung zum Import von Grundstoffen ermöglicht werden) mit der Absicht, die Produktion und den Handel anzukurbeln, würde überproportional die ärmsten Schichten der Bevölkerung treffen.

Politischer Imperativ

Auch wenn die Chavistas es geschafft haben, die Wahlen während der vergangenen zweieinhalb Jahre zu gewinnen, ist es ein dringendes politisches Gebot, das Problem von Knappheiten zu lösen oder es zumindest unter Kontrolle zu bringen. Dem angesehenen Umfrageunternehmen Hinterlaces zufolge wurden die drängenden Wirtschaftsprobleme und insbesondere Knappheiten zu einer vorrangigen Quelle der Sorge für acht von zehn Venezolanern. Das der Opposition nahestehende Umfrageunternehmen Datanálisis berichtet, dass 51 Prozent der Unterstützer der Regierung die Situation im Land als "negativ" sehen. Hinterlaces-Präsident Oscar Schemel behauptet, dass die größte Herausforderung für die Chavistas nicht von der Opposition kommt, der es an einem nachhaltigen Programm für die Nation mangelt, sondern eher von unentschiedenen Wählern und der Wahrscheinlichkeit einer Protestwahl bei den kommenden Wahlen.

Die Wahl der Nationalversammlung ist für Ende des Jahres angesetzt. So, wie der Vorkämpfer der Opposition, Henrique Capriles, die vergangenen Kommunalwahlen von 2013 ein "Plebiszit" nannte, gehen nun die Oppositionsführer davon aus, dass ein Triumph beim kommenden Urnengang den Weg für einen Regierungswechsel ebnen würde und dass die schockierende Knappheit von Gütern ein solches Ergebnis garantieren wird. Diese Strategie besitzt Ironie: Politologen, welche Chávez' demokratische Legitimation infrage stellten – wie der mexikanische Antilinke Jorge Castañeda –, beschuldigten ihn der Errichtung einer "plebiszitären Demokratie", wie sie es abwertend nennen, in der alle Aufmerksamkeit auf den Regierungschef gerichtet ist, anstatt auf die Kandidaten der Wahl.

Die Regierung hat Pläne der radikalen Opposition angeprangert, die Aufregung über die langen und sich langsam vorwärts bewegenden Schlangen vor den Geschäften für gewaltsame Störungen zu nutzen, um einen Regierungswechsel herbeizuführen. Anfang des Jahres warnte der Leiter des Hauptstadtdistrikts, Ernesto Villegas, Chavistas vor Provokationen: "Solltet ihr anstehen und einen Eindringling sehen, der die Leute zum Plündern auffordert, antwortet mit dem Symbol des Friedens." Die Gefahr von Störungen dieser Art kommt von einer Opposition, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt die Option des nichtdemokratischen Weges zur Macht offenhält. Im Februar präsentierte Maduro mutmaßliche Beweise für einen Umsturzplan, weswegen der Bürgermeister von Groß-Caracas, Antonio Ledezma, derzeit im Gefängnis auf seinen Prozess wartet.

Neuland

Venezuela befindet sich auf unbekanntem Terrain mit einer ausgeprägten politischen Polarisierung ohne Parallelen zu anderen Regierungen des demokratischen Sozialismus. Diese Polarisierung dauert seit 16 Jahren an – die Zeitdauer, seitdem die Chavistas an der Macht sind. Die Herausforderungen, die von Knappheiten und dem verzwickten Problem der Rolle des Marktes verursacht werden, beinhalten Folgen für alle Regierungen, die sich dem Sozialismus verschrieben haben. Die Sowjetunion zum Beispiel wurde geplagt von Korruption, die von ihrem weitläufigen Schwarzmarkt stammte; ein Problem, das viel mit ihrem Niedergang zu tun hatte, während Kuba sich derzeit mit ähnlichen Zwangslagen herumschlägt.

Maduros kürzliche Maßnahmen waren ein Schritt in die richtige Richtung, indem er anerkannte, dass die Marktbedingungen im Gleichgewicht sein müssen, sogar wenn die Regierung ihre starke interventionistische Rolle nicht aufgeben kann, einschließlich der Regulierung von Währungskursen und den Preisen von Gebrauchsgütern. Gleichzeitig verkündete er soziale Initiativen und machte klar, dass das Sinken der Ölpreise nicht ein Vorspiel für Maßnahmen der Austerität sein kann, welche die Unterprivilegierten am schwersten treffen.

Nichtsdestotrotz, solange die Regierung nicht den kolossalen Unterschied zwischen offiziellen Warenpreisen und Fremdwährungen und deren Wert auf dem freien Markt verkleinert, werden Schmuggel und Korruption praktisch unausweichlich sein. Dabei handelt es sich um ein Problem, das von skrupellosen und politisch motivierten mächtigen Mitgliedern des privaten Sektors verschärft wird. Subventionierte Preise sowohl für die Währung als auch Waren sind völlig legitime Korrektive für den Neoliberalismus, aber die chavistische Regierung muss Extreme vermeiden, indem sie einen Mittelweg absteckt zwischen Produktionskosten und Marktpreisen.

Radikal linksgerichtete Maßnahmen wie die Enteignung großer Unternehmen müssen wohl warten, bis die Regierung ihrem Gegner schwere Schläge versetzt hat, der sich weigert, ihre Legitimität anzuerkennen. Maduros Strategie ist, im Kontext weitgehender Unzufriedenheit und gut organisierter Aufstandstaktiken eine Atempause zu gewinnen. Um Stabilität zu erlangen, hat er auf einen "Friedensdialog" gedrängt, was die politische Opposition jedoch zurückwies.

Maduro priorisiert politische Ziele auch aus der Angst vor weiterer Destabilisierung heraus, die eintreten könnte, falls die Opposition die Kontrolle über das Parlament bei den diesjährigen Wahlen gewinnt. Zum jetzigen kritischen Zeitpunkt und im Licht dieser politischen und sozialen Überlegungen stellt ein Mittelweg zwischen radikaler Abwertung auf der einen und stark subventionierten Preisen für Gebrauchsgüter und Währung auf der anderen Seite die am besten durchführbare Formel für die Chavistas dar.

  • 1. Anm. der Redaktion: In Venezuela existieren seit 2003 strikte Devisenkontrollen. Der offizielle Wechselkurs zum US-Dollar wird von der Regierung festgesetzt und liegt derzeit bei 6,30 Bolívares für einen Dollar. Allerdings ist der Zugang zu diesen günstigen Devisen sehr stark reglementiert. Zugleich gibt es weitere legale Wechselkurse zu anderen Bedingungen und einen Schwarzmarktkurs, der zuletzt etwa das 40-Fache des niedrigsten offiziellen Wechselkurses betrug.