Wahrheitskommission für Kolumbien

Farc und Regierung einigen sich auf die Schaffung einer Kommission zur Aufarbeitung des bewaffneten sozialen Konfliktes

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Delegationsmitglieder von Regierung und Farc sowie die Vertreter Kubas und Norwegens, Rodolfo Benitez und Dag Nylander gaben die Bildung der Wahrheitskommission am 4. Juni bekannt
Delegationsmitglieder von Regierung und Farc sowie die Vertreter Kubas und Norwegens, Rodolfo Benitez und Dag Nylander gaben die Bildung der Wahrheitskommission am 4. Juni bekannt

Am Verhandlungstisch auf Kuba konnte ein weiteres Teilabkommen ausgehandelt werden: Eine Wahrheitskommission. Sie soll Kolumbiens kriegerische Vergangenheit aufarbeiten und Hintergründe, Ereignisse und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Ein wichtiger Vorstoß, aber vorerst gänzlich symbolischer Art. Umgesetzt werden soll das Teilabkommen nämlich erst nach erfolgreichem Abschluss der Friedensverhandlungen.

Am Ende der 37. Verhandlungsrunde, am 4. Juni, haben Delegierte von Kuba und Norwegen, den beiden völkerrechtlichen Garanten am Verhandlungstisch, die Schaffung der Wahrheitskommission bekannt gegeben. Diese soll Teil eines umfassenden Systems von Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantie auf Nicht-Wiederholung sein, welches am Verhandlungstisch ausgearbeitet wird. Die Gründung der Kommission verfolgt vor allem drei Ziele: Erstens soll sie einen Beitrag zur Aufklärung der Ereignisse leisten, zweitens soll sie die Anerkennung der Opfer sowie der Verantwortlichen aller im Krieg Beteiligter fördern und drittens zum friedlichen Zusammenleben in allen Landesteilen beitragen. Letzteres soll durch die Schaffung eines Ambientes geschehen, in dem Dialog möglich ist. In diesem Sinne, so die gemeinsame Mitteilung, bedeute die Konstruktion der Wahrheit auch die Konstruktion des Friedens.

Die Kriterien der Wahrheitskommission

Die Wahrheitskommission ist ein Teilabkommen vom Punkt fünf auf der Verhandlungsagenda, bei dem der Umgang mit den Opfern sowie mit der strafrechtlichen Aufarbeitung der während dieser Zeit verübten Menschenrechtsverbrechen auf beiden Seiten behandelt wird. Die Wahrheitskommission soll aus elf Expertinnen und Experten zusammengesetzt werden, die nach einer öffentlichen Ausschreibung von einem Gremium ernannt werden. Dieses Gremium wiederum besteht aus drei von der Regierung, drei von den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc) und drei vom Verhandlungstisch ausgewählten Personen. Acht der elf Mitglieder der Wahrheitskommission sollen kolumbianische Staatsbürger sein. Unparteiisch und unabhängig soll der Mechanismus sein, obwohl er durch die kolumbianische Regierung finanziert wird. Wichtig zu erwähnen ist zudem der nicht juristische Charakter der Kommission. Informationen können weder an die Staatsanwaltschaft weiter gegeben werden noch andere juristische Folgen haben. Regierung wie auch Farc verpflichten sich aber, mit allen möglichen Mitteln zur Aufklärung, insbesondere bei Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen vom humanitären Völkerrecht, beizutragen.1
Das Endprodukt, ein nach drei Jahren vorzulegender Schlussbericht, soll besonders auf die Sichtweise der Opfer eingehen und unterschiedliche Sichtweisen aufzeigen. Dazu ist die breite und pluralistische Teilhabe der Bevölkerung zentral. Ländlichen Regionen soll besondere Aufmerksamkeit zukommen und der Bericht muss einen Gender- und Diversity-Ansatz aufweisen. Schließlich muss der Bericht eine möglichst umfassende Verbreitung über Medien und andere Kanäle erhalten und mittels pädagogischer Mittel allen Kolumbianerinnen und Kolumbianern zugänglich gemacht werden.

Menschenrechtsorganisationen begrüßen die Schaffung der Wahrheitskommission, auch wenn nicht alle Hoffnungen der Opfer erfüllt wurden. Die Tatsache, dass die Kommission keinen juristischen Charakter aufweise, könne Anlass zur Vermutung geben, dass damit die Straflosigkeit gefördert werde. Aber erstmals sei die Rede von der Gründung eines umfassenden Systems zur rechtlichen Vergangenheitsbewältigung, was sehr begrüßt wird2. Fraglich bleibt auch die Schaffung einer Wahrheitskommission, zu der sich nur die eine Guerilla Kolumbiens bekennen würde, während dem die Auseinandersetzungen mit der ELN weitergehen.

Die Friedensverhandlungen werden zur Geduldsprobe

Das Teilabkommen wird erst zusammen mit dem Schlussabkommen in Kraft treten. Die 38. Runde der Verhandlungen ist in der Zwischenzeit ohne weitere Resultate zu Ende gegangen, die 39. Runde soll im Juli anlaufen.

Kolumbianische und internationale Medien berichten fast pausenlos von Krisen, in denen sich der Friedensprozess befinde. Nebst der Partei Centro Democrático von Ex-Präsident Uribe kommen auch immer mehr kritische Stimmen aus anderen Lagern. Gar erste Kongressabgeordnete der Partido de la U von Päsident Juan Manuel Santos sprachen sich gegen den Friedensprozess aus, nachdem Angriffe der Farc zu diversen toten Militär- und Polizeiangestellten führten3.

Andrei Gómez Suárez, Professor für Übergangsjustiz und Friedensverhandlungen an der Universidad del los Andes in Bogotá, schreibt hingegen, die eigentliche Krise sei auf die falschen Erwartungen, welche die Wiederwahl von Santos und die einseitige Waffenruhe der Farc herbeigeführt haben, zurückzuführen. Es erstaune nicht, dass eine Wahlkampagne die Erwartungen eines schnellen Friedensabkommens generiere. Überraschend sei jedoch, dass diese Erwartungen von ernsthaften Analysten in den Medien aufgenommen werden und zur Schlussfolgerung führen, Regierung und Farc würden den Verhandlungsprozess in den Abgrund reiten. Ohne die anhaltenden Konsequenzen der Kampfhandlungen für die Zivilbevölkerung zu leugnen, sei es aus der Perspektive der Konfliktlösung verfälscht zu urteilen, dass die Friedensverhandlungen in einer Krise stecken. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall, denn wichtige Resultate wurden erzielt4.

Sicher ist, dass sich die zunehmend massiven Konfrontationen negativ auf die Zustimmung der Bevölkerung zu den Verhandlungen auswirken. Diese begleiten die Verhandlungen wieder, seit der Tod von elf Soldaten im April und 27 Aufständischen im Mai erneut zur Eskalation des Krieges führte. Bei einer Anfang Juni durchgeführten Umfrage sollen 47,5 Prozent der Befragten dafür sein, die Verhandlungen zu unterbrechen5. Eine von der Farc erneut angebotene, bilaterale Waffenruhe hat die Regierungsdelegation einmal mehr abgelehnt. Und so kommen täglich neue Kriegsereignissen dazu, die die zukünftige Wahrheitskommission aufklären müsste.