Brasilien / Politik

Purer antidemokratischer Machtkampf in Brasilien

Das Land ist verfangen in Korruption – und einer gefährlichen Zerstörung der Demokratie

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Demonstration auf der Avenida Paulista in São Paulo
Demonstration auf der Avenida Paulista in São Paulo

Brasiliens vielschichtige und tiefgreifende Krise findet bei westlichen Medien verstärkt Aufmerksamkeit. Was verständlich ist, denn schließlich steht Brasilien, was Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft angeht, an fünfter respektive achter Stelle weltweit; die zweitgrößte Stadt des Landes, Rio de Janeiro, ist Gastgeber der diesjährigen Olympischen Sommerspiele. Aber ein Großteil westlicher Aufmerksamkeit spiegelt nur Brasiliens einheitlich Oligarchie-dominierte und undemokratische Medienlandschaft wieder und ist daher irreführend, ungenau und unvollständig. Dies insbesondere dann, wenn die Autoren mit dem Land nur wenig vertraut sind (wobei zahlreiche in Brasilien stationierte westliche Reporter hervorragende Arbeit leisten).

Brasiliens vielgestaltige Bedrängnis kann kaum überschätzt werden. In einer Meldung vom 16. März gab der Chef des brasilianischen Büros der "New York Times", Simon Romero, seinen Eindruck, wie schlimm es steht:

"Brasilien befindet sich in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Ein ausgedehntes Netz von Bestechung hat die nationale Ölgesellschaft lahm gelegt. Die Zika-Epidemie verursacht Verzweiflung im gesamten Nordosten. Und kurz bevor die Welt zur Sommerolympiade nach Brasilien kommt, kämpft die Regierung ums Überleben; das ganze politische System ist eingehüllt in einen Skandal."

Brasiliens beispielloser politischer Aufruhr hat Ähnlichkeit mit dem von Trump verursachten politischen Chaos in den USA: Ein außer Kontrolle geratener Zirkus eigener Art mit Instabilität und dunklen Kräften, aus dem es keinen Ausweg mehr zu geben scheint. Ein bislang abwegig erscheinendes Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff wird immer wahrscheinlicher.

Im Unterschied zu den USA sind die brasilianischen Wirren aber nicht auf einen einzigen Politiker beschränkt. Im Gegenteil, betont Romero: "Beinahe jede Ecke des politischen Systems ist vom Skandal erfasst." Das betrifft nicht nur Rousseffs gemäßigt linke und mit Korruption durchsetzte Arbeiterpartei (die PT), auch der überwiegende Teil der Zentrums- und Rechtsaußen-Kräfte in Politik und Wirtschaft, die vereint am Werk sind, die PT zu zerstören, versinken in Ungesetzlichkeit. Also, mindestens ebenso korrupt und kriminell wie die PT sind diejenigen, die sie unterminieren, um deren demokratisch errungene Macht an sich zu reißen.

In ihren Berichten aus Brasilien betonen westliche Medien die immer stärker werdenden Straßenproteste mit Forderungen nach einem Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff. Sie schildern diese Proteste idealisiert und Comic-artig voller Bewunderung als inspirierende Volkserhebung gegen ein korruptes Regime. Chuck Todd von NBC News zitiert am 17. März den Tweet "Das Volk gegen die Präsidentin“ von Ian Bremmer (Eurasia Group) - eine Darstellung, die mit dem übereinstimmt, was Brasiliens Anti-Regierungsmedien wie etwa Globo 1 kolportieren:

(Quelle: The Intercept)

Eine solche Sicht der Dinge ist zumindest übermäßig vereinfacht, oder wahrscheinlicher noch, ist sie grobe Propaganda, um eine linke Partei, die bei den Eliten der US-Außenpolitik immer schon unbeliebt war, zu schädigen. Diese Sicht ignoriert historische Zusammenhänge der brasilianischen Politik und, wichtiger noch, eine Reihe kritischer Fragen: Wer steht hinter den Protesten, wie repräsentativ sind die Protestierenden für die brasilianische Bevölkerung, und was sind ihre Absichten?

Die Demokratie in Brasilien ist jung. Im Jahr 1964 wurde die demokratisch gewählte linke Regierung durch einen Militärputsch gestürzt. Sowohl in der amerikanischen Öffentlichkeit als auch im Kongress bestritten US-Offizielle vehement, irgendeine Rolle dabei gehabt zu haben, aber - fast überflüssig zu sagen - später auftauchende Dokumente bewiesen die direkte US-Unterstützung bei entscheidenden Aspekten des Coups.

Die anschließende 21 Jahre andauernde, rechte und pro-US eingestellte Militärdiktatur war brutal und tyrannisch, eine ihrer Spezialitäten waren Foltertechniken gegen Dissidenten, wie sie ihnen von den USA und Großbritannien beigebracht wurden. In einem umfassenden Bericht der Wahrheitskommission (2014) ist dokumentiert, dass diese beiden Länder "brasilianische Verhörspezialisten in Foltertechniken ausbildeten." Eines der Opfer war Rousseff, eine linke Anti-Regime-Guerillera, die in den 70er Jahren gefangen gehalten und von der Militärdiktatur gefoltert wurde.

Der Putsch und die darauf folgende Diktatur wurden von Brasiliens Oligarchen und deren Mediennetzen unterstützt, angeführt von Globo, das den Putsch 1964 als ehrenhafte Niederwerfung einer korrupten Linksregierung rechtfertigte (klingt das bekannt?). Der 64-er Putsch wurde außerdem von der schamlos reichen (und überwiegend weißen) Oberklasse und der kleinen Mittelklasse unterstützt. Wie nicht selten bei Demokratiegegnern betrachteten Brasiliens wohlhabende Schichten die Diktatur als Schutz vor der verarmten und vorwiegend nicht-weißen Bevölkerungsmehrheit. Wie der "Guardian" bei Veröffentlichung des Berichts der Wahrheitskommission formulierte: "Wie auch woanders im Lateinamerika der Sechziger und Siebziger koordinierten oberste Elite und Mittelklasse sich mit den Militärs, um das, was sie als kommunistische Bedrohung ansahen, abzuwehren."

Diese klassen- und rassenmäßigen Trennlinien dominierten Brasilien und bestimmen es noch heute. Wie BBC-Studien im Jahr 2014 zeigten: "Brasilien gehört weltweit zu den Ländern mit den höchsten Einkommensunterschieden". Brian Winter, Chefredakteur von "Americas Quarterly", schrieb zu den Protesten: "Die Kluft zwischen Arm und Reich bleibt zentraler Fakt im Leben Brasiliens – und diese Proteste sind nicht anders". Wer irgendetwas von der aktuellen Krise Brasiliens verstehen will, muss diese Sicht Winters zur Kenntnis nehmen.

Dilmas Partei, die PT, wurde 1980 als klassische linke sozialistische Partei gegründet. Um ihre landesweite Attraktivität zu erhöhen, mäßigte sie ihr sozialistisches Programm und änderte sich schrittweise in Richtung europäischer Sozialdemokratie. Inzwischen existieren politische Parteien links von ihr. Dilma, ob nun freiwillig oder nicht, sprach sich für Sparmaßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft und zur Beschwichtigung der Auslandsmärkte aus, und erst kürzlich erließ sie ein scharfes Anti-Terror-Gesetz. Dennoch bleibt die PT in der linken Mitte des brasilianischen Spektrums verankert, ihre Unterstützer sind die Armen Brasiliens und die rassischen Minderheiten. Einmal an der Macht, forcierte die PT wirtschaftliche und soziale Reformen. Sozialleistungen der Regierung und neueröffnete Perspektiven holten Millionen Brasilianer aus der Armut.

Die PT hält seit 14 Jahren (seit 2002) die Präsidentschaft. Ihre Beliebtheit war das Verdienst von Dilmas charismatischem Vorgänger Luíz Inácio "Lula" da Silva (allgemein Lula genannt). Lulas Aufstieg war Symbol für den Machtzuwachs von Brasiliens Unterprivilegierten während der Demokratie: Arbeiter und Gewerkschaftsführer aus ärmster Familie, der die Grundschule verlassen musste, der nicht lesen konnte, bis er zehn Jahre alt war, und der während der Diktatur wegen Gewerkschaftsaktivitäten im Gefängnis saß. Von der brasilianischen Eliten wurde er wegen seiner Herkunft und seiner Sprache wie ein Arbeiter verachtet und verlacht.

Nach drei erfolglosen Versuchen erwies Lulas Präsidentschaftskandidatur sich als unwiderstehliche politische Kraft. Er wurde 2002 und noch einmal 2006 gewählt, und er verließ sein Amt mit Zustimmungsraten, die seiner bis dahin unbekannten Kandidatin Dilma die Präsidentschaftswahl und 2014 die Wiederwahl ermöglichten. Seit langem wird vermutet, dass Lula - der sich explizit gegen Austeritätsmaßnahmen stellt - im Jahr 2018 nach dem Ende von Dilmas zweiter Wahlperiode wieder für die Präsidentschaft kandidieren wird, und die Anti-PT-Kräfte sind entsetzt über die Aussicht, von ihm an den Wahlurnen wieder geschlagen zu werden.

Trotz der als Gegengewicht mit Erfolg aufgebauten Mitte-Rechts-Partei PSDB blieb die nationale Oligarchie bei vier aufeinanderfolgenden Präsidentschaftswahlen und beim Versuch, die PT zu besiegen, weitgehend erfolglos. Es besteht Wahlpflicht, und die Armen der Nation haben der PT ihre Siege beschert.

Korruption in Brasiliens politischer Klasse - einschließlich der oberen Etagen der PT - ist real und reicht tief. Aber Brasiliens Plutokraten, deren Medien, die Ober- und Mittelschicht nutzen den Korruptionsskandal auf schamlose Weise, um das zu erreichen, was sie seit Jahren auf demokratischem Wege nicht geschafft haben: Die Entfernung der PT von der Macht.

Die öffentlichen Proteste - im Gegensatz zu Chuck Todds und Ian Bremmers romantisierender und (allenfalls) uninformierter Darstellung als "Proteste des Volkes" – werden in Wirklichkeit von den stark monopolisierten, homogenen und mächtigen Mediengruppen betrieben und forciert; und sie finden Zuspruch (nicht nur, aber ganz überwiegend) bei der Schicht der wohlhabenden Weißen, die seit langem gegenüber der PT und allem, was nach Armutsbekämpfung aussieht, feindselig gestimmt ist.

Brasiliens Mediengruppen agieren als die de-facto-Protestorganisatoren und PR-Werkzeuge der Oppositionsparteien. Die Twitter-Feeds einiger von Globos einflußreichsten (und reichen) On-Air-Reportern enthalten permanent Anti-PT-Agitation. Als die Aufnahme eines Telefongesprächs zwischen Dilma und Lula geleaked wurde, wiederholten Globos einflußreiche abendliche Nachrichtensendung "Jornal Nacional" und deren Moderatoren den Dialog derart melodramatisch und provozierend geschwätzig, dass das Ganze eher einer Seifenoper als einer Nachrichtensendung glich, was höhnische Reaktionen hervorrief. Seit Monaten füllen die vier Nachrichtenmagazine Brasiliens Titelgeschichte um Titelgeschichte mit aufhetzenden Angriffen gegen Dilma und Lula, normalerweise angereichert mit ominösen Fotos des einen oder der anderen und immer mit verblüffend übereinstimmenden Inhalten.

Um die entscheidende Rolle der Medien für die Proteste noch deutlicher zu machen: Man erinnere sich an die Schlüsselrolle, die Fox News bei der Förderung der Tea Party-Proteste spielte. Man stelle sich die Proteste vor, hätten nicht nur Fox, sondern auch ABC, NBC, CBS2, Time, die New York Times und die Huffington Post die Tea Party-Demonstrationen unterstützt und angestachelt. Genau das ist es, was in Brasilien derzeit passiert: Die größten Medienkanäle sind Eigentum und stehen unter Kontrolle einer sehr geringen Zahl Familien der Oligarchie. Nahezu alle sind erbitterte klassentypische Opponenten der PT und ihre Medien haben sich zusammengetan, um diese Proteste anzufeuern.

Alles in allem sind die von den Medien repräsentierten Wirtschaftsinteressen fast einheitlich Pro-Amtsenthebung eingestellt und waren mit der Militärdiktatur verbunden. Wie Stephanie Nolen, Reporterin der kanadischen Tageszeitung Globe and Mail in Rio feststellt: "Es ist offensichtlich, dass die meisten Institutionen des Landes gegen die Präsidentin aufgestellt sind."

Es handelt sich um eine Kampagne, die demokratischen Errungenschaften Brasiliens zu untergraben, betrieben von Gruppen mit viel Geld, die für Resultate demokratischer Wahlen nur Verachtung haben und die nun trügerisch unter Anti-Korruptions-Banner marschieren, ganz ähnlich wie beim Vierundsechziger Putsch. Kein Zweifel, Teile der brasilianischen Rechten verlangen nach Wiederherstellung von Militärherrschaft, und Teile der "Anti-Korruptions”- Proteste rufen offen nach dem Ende von Demokratie.

Nichts von all dem entlastet die PT. Und das sowohl wegen deren Korruption als auch wegen der landesweiten wirtschaftlichen Misere. Dilma und die PT sind überall hochgradig unpopulär, sogar bei der Arbeiterbasis der Partei. Aber die Proteste auf den Straßen - so machtvoll und energiegeladen sie auch sind - werden angetrieben von den traditionellen Gegnern der PT. Die Teilnehmerzahlen bei den Protesten - Millionen - sind zu vergleichen mit den 54 Millionen, die Dilma vor weniger als zwei Jahren wiedergewählt haben. In einer Demokratie werden Regierungen durch Wahlen bestimmt, nicht durch Opposition auf der Straße - und das besonders dann, wenn, wie in Brasilien, die Proteste von einem eher schmalen sozialen Segment getragen werden.

Winter berichtet: "Vergangenen Sonntag, als mehr als eine Million auf der Straße waren, zeigten Umfragen ein weiteres Mal, dass die Teilnehmer signifikant reicher, weißer und besser gebildet waren als die Brasilianer allgemein." Nolen meldete ähnliches: "Das halbe Dutzend großer Anti-Korruptions-Demonstrationen im vergangenen Jahr war dominiert von weißen Protestierenden aus der Ober- und Mittelschicht, die in ihrer Tendenz die oppositionelle PSDB unterstützen und die wenig Zuneigung zu Frau Rousseffs linker Arbeiterpartei haben."

Bei den massiven Anti-Dilma Protesten am Wochenende in brasilianischen Städten erschien das Foto einer der teilnehmenden Familien, das zum Symbol dessen wurde, was die Proteste in Wirklichkeit sind. Es zeigt ein gut gestelltes weißes Paar in Anti-Dilma Outfit, unterwegs mit ihrem reinrassigen Hündchen und gefolgt von ihrer schwarzen Wochenend-Kinderfrau - letztere in weißem Uniformkittel, wie viele reiche Brasilianer es von ihrer Hausangestellten verlangen - wie sie den Wagen mit den beiden Kleinkindern hinterherschiebt.

Diese auf Facebook gepostete Bilder sorgten für Polemik (Quelle: Screenshot-Montage)

Wie Nolen in ihrem Bericht betont, verrät dieses Bild den hochideologischen Kern der Proteste. Brasilianer, die geschickt und schnell mit Anspielungen sind, verteilten das Foto angereichert mit tausend bissigen Kommentaren wie: "Mach' Tempo, Maria 3. Wir müssen zu den Protesten, die Regierung will uns zwingen, dir deinen Mindestlohn zu zahlen."

Die Vorstellung, die Agitation für die Dilma-Amtsenthebung sei ein ehrlicher Anti-Korruptions- Kreuzzug, ist entweder hochgradig naiv oder bewusst ignorant. Diejenigen, die im Falle von Dilmas Absetzung an die Macht kämen, sind mindestens ebenso in Korruption verfangen wie sie, in der Regel mehr.

Fünf Mitglieder der Kommission für das Amtsenthebungsverfahren stehen selber unter Korruptionsanklage. Einer davon ist Paulo Maluf, nach dem Interpol fahndet und der deswegen seit Jahren das Land nicht verlässt. Er wurde in Frankreich wegen Geldwäsche zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Gegen 36 der 65 Mitglieder dieses parlamentarischen Komitees sind Justizverfahren anhängig.

Vom evangelikalen Extremisten Eduardo Cunha, Anführer der Bewegung für das Amtsenthebungsverfahren im Kongress, wurden geheime Schweizer Bankkonten mit Millionen US-Dollar bekannt, Bestechungsgelder, wie Ermittler vermuten. Gegen ihn sind Ermittlungen im Gang.

Gegen Senator Aécio Neves, Chef der brasilianischen Opposition und 2014 bei der Wahl gegen Dilma knapp unterlegen , gab es mindestens fünf verschiedene Anklagen wegen Korruptionsverstrickung. Die für die Anklage wichtigste Zeugin beschuldigte ihn, Schmiergelder entgegengenommen zu haben. Diese Zeugin belastete auch Michel Temer, Vizepräsident des Landes, der im Falle ihrer Absetzung an die Stelle von Dilma treten würde.

Fragen kommen auf zum derzeitigen Verhalten des obersten Richters, der die Untersuchungen in Sachen Korruption koordiniert und der zu einer Art Volksheld geworden war wegen seines entschlossenen Vorgehens gegen die Reichen und Mächtigen des Landes. Dieser Richter, Sergio Moro, überließ den Medien die Tonaufnahme eines sehr unspezifischen Gesprächs zwischen Dilma und Lula, das von Globo und anderen Anti-PT-Kräften sofort zur Belastung erklärt wurde. Moro machte das Gespräch nur Stunden nachdem es stattgefunden hatte bekannt.

Aber Richter Moro hat das Telefonat ohne ordentliches Verfahren öffentlich gemacht und, gravierender noch, mit offensichtlich politischer statt rechtsstaatlicher Absicht: Er war empört, dass seine Untersuchung gegen Lula mit dessen Nominierung in Dilmas Kabinett eingestellt wäre (denn nur das Oberste Gericht kann Untersuchungen gegen Regierungsmitglieder führen). Moros Datenleckage mit der Absicht, Dilma und Lula in Verlegenheit zu bringen und auf diese Weise weitere Proteste auszulösen, sorgte deswegen für Kritik selbst bei seinen bisherigen Freunden: Er missbrauche seine Macht und wolle Politik machen. Außerdem sei die Tonaufnahme illegal, denn sie sei erst nach Ablauf von Richter Moros Anordnung gemacht worden. Der Vorsitzende von Rio de Janeiros Anwaltskammer, Felipe Santa Cruz, nannte Moros Aktion eine ärgerliche Peinlichkeit.

All dies zeigt die Gefahr, dass es sich bei den Ermittlungen und dem Amtsenthebungsverfahren weniger um ein rechtmäßiges Vorgehen gegen kriminelle Politiker handelt, als vielmehr um eine antidemokratische politische Waffe politischer Opponenten, um die demokratisch gewählte Präsidentin aus dem Amt zu treiben. Diese Gefahr wurde noch offensichtlicher als herauskam, daß der Richter, der Lulas Eintritt in Dilmas Kabinett blockiert hatte, Tage zuvor Selfies auf Facebook gepostet hat, die ihn bei Anti-Regierungsprotesten zeigen. In Winters Worten: "Die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die brasilianische Justiz 'im Krieg' mit der Arbeiterpartei steht, ist jetzt einfacher, als es vor zwei Wochen noch war."

Ohne Frage ist Korruption in der PT weit verbreitet. An Lula gibt es Fragen, die unvoreingenommen und fair zu klären sind. Ein Amtsenthebungsverfahren ist ein legitimer demokratischer Prozess, vorausgesetzt der betreffende Politiker ist schwerwiegenden Vorwürfen ausgesetzt und das Verfahren wird entsprchend dem Gesetz gewissenhaft verfolgt.

Aber das Bild, das sich bezüglich Amtsenthebungsverfahren und öffentlichem Protest gegenwärtig in Brasilien zeigt, ist komplexer und ethisch viel fragwürdiger, als es vielfach dargestellt wird. Das Bestreben, Dilma und ihre Partei von der Macht zu entfernen, erinnert inzwischen mehr an nackten antidemokratischen Machtkampf als an Recht und Gesetz und ernsthaften Streit gegen Korruption. Befeuert wird dieser Machtkampf von denen, die selber tief in Korruption verstrickt sind, die die Interessen der Wohlhabenden und Mächtigen vertreten und wütend sind über ihre Unfähigkeit, die PT demokratisch zu besiegen.

All dieses und ähnliches ist aus der Geschichte gut bekannt, besonders in Lateinamerika, wo demokratisch gewählte linke Regierungen wiederholt auf ungesetzliche Weise gestürzt wurden. Die PT und Dilma mögen keine sympathischen Opfer sein. Erhebliche Teile der Bevölkerung sind ernsthaft und aus guten Gründen über sie aufgebracht. Aber ihre Sünden rechtfertigen in keiner Weise die Sünden ihrer politischen Feinde und mit Sicherheit geben sie keinerlei Anlass, die Zerstörung von Brasiliens Demokratie zu bejubeln.

Unter Mitarbeit von Cecília Olliveira

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