Venezuela / Wirtschaft

Das Entschärfen einer Massenvernichtungswaffe

Der US-amerikanische Ökonom Mark Weisbrot plädiert für eine Öffnung der Wechselkurse in Venezuela

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Startseite von "Dolar Today",  die Hauptinformationsquelle für den Dollar-Schwarzmarkt in Venezuela
Startseite von "Dolar Today", die Hauptinformationsquelle für den Dollar-Schwarzmarkt in Venezuela

Die venezolanische Regierung hat oft einen Wirtschaftskrieg beklagt, und natürlich macht dieser einen Teil der aktuellen Situation aus. Die primäre Massenvernichtungswaffe in diesem Krieg ist der Dollar-Schwarzmarkt. Es ist kein Zufall, dass die Hauptinformationsquelle für diesen Markt - die extrem rechte "DolarToday" – von jemandem geleitet wird, der im US- gestützten Militärputsch von 2002 eine wichtige Rolle inne hattte. Damals war er Militär – Colonel Gustavo Díaz Vivas – und heute residiert er in Alabama, USA, von wo aus DolarToday agiert.

Auch das ist kein Zufall. Washington versucht seit mindestens 15 Jahren die venezolanische Regierung zu stürzen und fast jeder Journalist, mit dem ich während dieser Zeit sprach – inklusive der Großen der internationalen Medienlandschaft – war sich dieser Anstrengungen durchaus bewusst, obwohl sie fast nie darüber schreiben.

Der Dollar-Schwarzmarkt ist besonders zerstörerisch, weil er Teil einer Inflations- Abwertungsspirale ist, die seit Herbst 2012 anwächst. Wenn der Dollarpreis auf dem Schwarzmarkt steigt, müssen Importeure mehr für die Dollar bezahlen, die sie benötigen und das lässt die Inflation ansteigen. Die höhere Inflation veranlasst dann wiederum mehr Leute Dollar zur Wertaufbewahrung auf dem Schwarzmarkt zu erstehen. Das hebt dann erneut den Schwarzmarkt-Preis, was wiederum die Inflation erhöht – eine kontinuierliche Spirale. Im Oktober 2012 betrug die Inflation 18 Prozent und der Dollar kostete auf dem Schwarzmarkt 13 Bolivar. Ende 2015 lag die Inflation bei 181 Prozent, während der Schwarzmarkt-Dollar nun mehr als 800 Bolivar kostete.

Der Hauptgrund dafür, dass diese Spirale sich nicht noch schlimmer zugespitzt hat, ist die Wirtschaftsrezession. Die Wirtschaft schrumpfte im letzten Jahr um 5,7 Prozent. Doch würden Versuche seitens der Regierung, mithilfe einer Ausgabenpolitik für eine Wende zu sorgen, die Inflations-Abwertungsspirale sehr wahrscheinlich nur weiter ankurbeln. Die Wirtschaft ist dementsprechend in der Rezession gefangen.

Daher muss die Regierung diese Massenvernichtungswaffe untauglich machen. Der einzige Weg hierzu ist die Vereinheitlichung des Wechselkurses.

Viele Menschen fürchten diese grundlegende Veränderung. Manche glauben, dass sämtliche Ersparnisse sofort in den Dollar überführt werden würden und dass sich der neue ausgeglichene Kurs dann noch schlechter als der aktuelle auf dem Schwarzmarkt gestalten würde. Es stimmt, das viele Venezolaner lieber in Dollar sparen (das stimmt auch für Peru, Uruguay und andere lateinamerikanische Länder). Doch wollen sie den Dollar nicht zu jedem Preis. Aus diesem Grund pendelt sich auch der Schwarzmarkt- Kurs auf einem Gleichgewichtspreis ein, zum Beispiel zum aktuellen Kurs von ungefähr 1 zu 1000. Falls die Regierung den offiziellen Wechselkurs freigäbe - was zu tun wäre, um den Schwarzmarkt zu beenden - so würde sich auch dieser Kurs an einem solchen Gleichgewichtspreis einfinden, und dieser wäre deutlich günstiger als der aktuelle auf dem Schwarzmarkt.

Andere gehen davon aus, dass die Regierung nicht genügend Dollar zu Verfügung habe, um sie auf einem Markt mit freiem Wechselkurs zu verkaufen. Doch das stimmt nicht. Obwohl die derzeitigen Einkünfte aus dem Ölverkauf nicht genügen, um für alle Importe aufzukommen, hat der Staat Dutzende Milliarden Dollar in internationalen Anlagen (und noch mehr im Inland), die verkauft werden könnten. Neun bis zehn Milliarden Dollar müssten hierzu jährlich versteigert werden (circa 36 Millionen täglich), um den ausländischen Währungsmarkt ausreichend zu bedienen. Im vergangenen Jahr wurden ungefähr zwölf Milliarden Dollar erlöst, davon jedoch rund 95 Prozent zu extrem niedrigen Preisen von 6,3 bzw. zehn Bolivar der Dollar. Ein Großteil dieses Geldes wurde jedoch nie für Importe genutzt, da es höchstprofitabel auf dem Schwarzmarkt abgesetzt werden konnte. Das ganze System hält enorme Anreize für Korruption bereit

Interessanterweise öffnete Präsident Chávez im Februar 2002 die Wechselkurse. Im vorangegangenen Jahr war eine große Kapitalflucht zu verzeichnen gewesen, wodurch die internationalen Reserven der Zentralbank geschrumpft waren. Doch trotz der politischen Instabilität – dieser Schritt wurde zwei Monate vor dem Militärputsch vollzogen – sind die Reserven danach wieder angestiegen, bis zum Streik der Ölarbeiter am Ende jenes Jahres.

Andere argumentieren aus linker Perspektive, dass flexible Wechselkurse "Neoliberalismus" seien und dass das Festhalten an den überbewerteten fixen Kursen "sozialistisch" sei. Doch auch das ist ein gefährlicher Irrglaube. Die schlimmsten ökonomischen Krisen der späten 1990er Jahre – in Argentinien, Brasilien, Russland, Indonesien, Thailand und anderen Ländern – waren überbewerteten, fixen Wechselkursen geschuldet. Viele dieser überbewerteten, fixen Wechselkursen erfuhren große Unterstützung durch den Internationalen Währungsfond und andere Neoliberale – bis sie kollabierten.

Es ist der Schwarzmarkt, der den "wilden Kapitalismus" ausmacht – unkontrolliert und nicht reguliert. Und er ist der Weg, Kapitalflucht zu bezuschussen und Regierungsfeinde zu füttern. Man gibt ihnen billige Dollar und sie schaffen sie außer Landes, wodurch sich die Probleme der Zahlungsbilanz verschlimmern. Im Unterschied dazu stellt das Öffnen der Wechselkurse einen Weg der Besteuerung von Kapitalflucht dar: Wer immer Dollar möchte, muss für sie zahlen.

Im Vergleich zu anderen Ländern, die sich diesem Problem gegenüber sahen, befindet sich Venezuela noch in einer sehr glücklichen Lage: Der Großteil der Dollar des Landes gelangt durch die Öleinkünfte zur Regierung. Das bedeutet, sollten die Wechselkurse geöffnet werden, dass die Regierung aus den Einkünften, dann in nationaler Währung, viel mehr Geld ausgeben könnte. Genauso wie andere Geldmittel in Landeswährung könnten diese Einkünfte genutzt werden, um Subventionen für Nahrungsmittel und Medizin zu leisten.

Das macht viel mehr Sinn als der Versuch, Nahrungsmittel oder andere lebensnotwendige Güter mittels des Wechselkurses zu subventionieren. Die Preiskontrollen für Nahrungsmittel funktionieren nicht sehr gut: Die Inflation auf dem Lebensmittelmarkt lag 2015 bei 300 Prozent, fast das Doppelte der allgemeinen Inflationsrate (181 Prozent).

Die Vereinheitlichung des Wechselkurses ist daher der wichtigste Schritt hin zu einer wirtschaftlichen Erholung. Ist dieser erst getan, wird es auch möglich sein, sich den anderen Missverhältnissen und Problemen zu widmen, wie etwa Produktengpässe, Preiskontrollen, Inflation und wirtschaftliches Wachstum. Doch das Wichtigste zuerst.

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