Zur Neuauflage des Freihandelsabkommens EU ‒ Mexiko

Ceta und TTIP sind nicht die einzigen Freihandelsabkommen, die von der EU derzeit verhandelt werden. Auch das Abkommen mit Mexiko steht erneut zur Debatte

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EU-Kommisionspräsident Jean-Claude Juncker, Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto und EU-Ratspräsident Donald Tusk (von li. nach re.) beim EU-Mexiko-Gipfel 2015
EU-Kommisionspräsident Jean-Claude Juncker, Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto und EU-Ratspräsident Donald Tusk (von li. nach re.) beim EU-Mexiko-Gipfel 2015

Bei seinem Abschluss vor 16 Jahren galt das globale Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Mexiko, kurz Globalabkommen, als umfassendes Freihandelsabkommen, das nicht nur die Handelsliberalisierung vorantreiben, sondern auch zu sozialem Fortschritt und Demokratieförderung beitragen sollte. Die Ergebnisse nach 16 Jahren sind allerdings gemischt – gerade in Bezug auf Armutsreduzierung, Arbeitsplatzzuwachs und Verringerung negativer sozialer Effekte.

Seit Juni 2016 befinden sich die EU und Mexiko in Verhandlungen über eine umfassende Neuauflage. Dabei strebt die EU die "Global Europe"-Strategie an, eine Handelsstrategie , die der Union zur externen Wettbewerbsfähigkeit verhelfen soll und zu deren Zielen unter anderem der ungehinderte Zugang zu Energie und Rohstoffen, die beschleunigte Öffnung von Dienstleistungsmärkten, der verschärfte Schutz geistiger Eigentumsrechte von Unternehmen und die Durchsetzung ungehinderter Niederlassungsfreiheit gehören, um den Einfluss weltmarktorientierter EU-Unternehmen auch außerhalb Europas weiter zu stärken.

Das Abkommen von 1997

Mexiko war das erste lateinamerikanische Land, das 1997 ein Globalabkommen mit der EU unterzeichnete, das den politischen Dialog, den Handel, die Zusammenarbeit und die sektorbezogene Politik abdeckt. Dieses umfassende Freihandelsabkommen trat im Jahr 2000 in Kraft und wurde damit zu dem bis dato umfassendste Handelsabkommen für die EU.

Kommuniziertes Ziel des Globalabkommens war es zum einen, die Handelsentwicklung durch eine mehrstufige Liberalisierung zu fördern sowie den Dienstleistungs- sowie Kapital- und Zahlungsverkehr schrittweise zu öffnen. Das öffentliche Auftragswesen wurde dabei nicht gesondert behandelt.

Daneben wurde beschlossen, den Dialog im Hinblick auf soziale Fragen und Armutsbekämpfung in den Fokus zu rücken. Die EU äußerte, sie strebe eine harmonische Wirtschaftsentwicklung, gestärkt durch die Zusammenarbeit in Bereichen wie Menschenrechte, Demokratie und Grundrechteförderung der gefährdetsten Bevölkerungsgruppen in Mexiko an. Schwerpunkt sollten dabei die Entwicklung der Bevölkerung, die Förderung und Achtung der Menschenrechte, Informations- und Bildungsmaßnahmen und sowie demokratische Grundsätze darstellen1.

Eine Analyse des Abkommens aus heutiger Sicht zeigt: Das Abkommen deckt zwar umfassend besonders viele Themengebiete ab, ein Großteil der neueren Sondervorschriften gingen allerdings nicht unbedingt weiter als bestehende internationale Verpflichtungen. Etwa bei den gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen und den technischem Handelsbarrieren: Dort gingen die Maßnahmen nicht über die mit der Welthandelsorganisation vereinbarten Standards hinaus. In anderen, handelssensiblen Bereichen, wie etwa dem Dienstleistungssektor, dem öffentlichen Beschaffungswesen oder auch der Wettbewerbspolitik, wurden allerdings über internationale Standards hinaus gehende Bestimmungen getroffen, deren Folgenabschätzung zum derzeitigen Zeitpunkt nicht klar beleuchtet wurden2.

Evaluation und der Beschluss zur Modernisierung

Im Januar 2013 beschlossen Mexiko und die EU, die Möglichkeiten einer allumfassenden Aktualisierung der strategischen Partnerschaft zu untersuchen. Die Entscheidung für eine umfassende Modernisierung des Globalabkommens wurde auf dem siebten EU-Mexiko-Gipfel im Juni 2015 bekräftigt. Als Ziel wurde unter anderem vereinbart, den gegenseitigen Marktzugang für Waren, Dienstleistungen und Investitionen weiter zu optimieren, eine stärkere wirtschaftliche Integration und eine bessere Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen sowie ein hohes Maß an Schutz der Rechte des geistigen Eigentums zu gewährleisten3.

Zur Evaluierung des bestehenden Globalabkommens wurde von Ecorys im Auftrag der Europäischen Kommission ein technischer Zwischenbericht erstellt, welcher die Auswirkungen des Abkommens in Form einer Studie analysiert und auf dessen Basis politische Empfehlungen ausgesprochen werden4.

Derzeit werden Interessenvertreter konsultiert, um die im Report aufgezeigten wirtschaftlichen, sozialen und Umweltentwicklungen, die dem Abkommen aufgrund von Datenauswertungen zugeschrieben werden, durch die Erfahrung Involvierter bestätigen zu lassen. Doch bereits aus den technischen Teilbericht lassen sich Rückschlüsse auf Stärken und Schwächen des Abkommens sowie ein möglicher Handelsbedarf ableiten.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Laut Studie trug das Globalabkommen EU-Mexiko dazu bei, dass der Handel und die Investitionen bilateral stark zunahmen. Der Warenhandel zwischen der EU und Mexiko verstärkte sich signifikant, Import- und Exportzahlen verdoppelten sich. Das Abkommen steigerte das Bruttoinlandsprodukt Mexikos um 0,34 Prozent, das EU-Bruttoinlandsprodukt wurde um 0,1 Prozent erhöht. Die EU ist mit 8,2 Prozent drittwichtigster Handelspartner Mexikos. Die Handelsbilanz beträgt minus 38 Prozent, die Import-Ausgaben sind also noch immer höher als die Export-Einnahmen.

Auf den ersten Blick ein relativ positives Bild: Doch vor allem Konzerne und große EU-Unternehmen profitierten bisher von dem Abkommen. Die meisten europäischen Investoren übernahmen bereits bestehende mexikanische Unternehmensgruppe, oft wurden jedoch keine neuen Arbeitsplätze geschaffen.

Neben Erdöl exportiert Mexiko vo allem Produkte der Elektronik- und Automobilbranche in die EU. Dabei übernehmen die transnationalen Konzerne oft die Montageproduktion, aber auch die "Lohnveredelung" durch die Maquiladoras, sprich dem letzten Schliff, auch um den US-amerikanischen Markt zu beliefern5. Dank der Nafta-Parität erheben die Vereinigten Staaten nämlich auf sowohl in Mexiko als auch in der EU produzierte Güter niedrigere Zölle als auf Produkte, die direkt aus der EU stammen.

Anwendung der Demokratie- und Menschenrechtsklausel

Das Globalabkommen beinhaltet eine Demokratie- und Menschenrechtsklausel, die besagt, dass wirtschaftliche Beziehung auf der Achtung der Demokratie und der Menschenrechte basieren. Die Klausel bietet zusätzlich die Möglichkeit, Wirtschaftsbeziehungen aufzuheben, sollten Menschenrechte verletzt werden.

Während den Verhandlungen zum Globalabkommen Mitte der 90er Jahre forderte die EU diese Klausel als Vorbedingung für den erfolgreichen Verhandlungsabschluss, damals ein innovatives Element, welches den Anfang für eine neue europäische Orientierung hin zur Inklusion von Menschenrechten in Freihandelsabkommen bedeutete. Der Zwischenreport kommt allerdings zu dem Schluss, dass das Globalabkommen trotz besagter Klausel keine Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation in Mexiko hat. Das Zwischenergebnis lautet, Ambitionen des Abkommens im Bereich Menschenrechte seien nicht umfassend implementiert worden. So wurden bei der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten Menschenrechte außer Acht gelassen, bei denen multinationale EU-Konzerne beteiligt waren.

Auswirkungen auf Armut, Ungleichheit und Arbeitsbedingungen

Im Bericht wird der Fall Aguas de Barcelona aufgegriffen, in dem Angestelltengehälter nicht mit der Firmensatzung und dem Recht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen übereinstimmten. Ein weiteres Beispiel ist der Plan Puebla Panama, an welchem die EU mit Infrastrukturprojekten beteiligt war und bei welchem implizit Menschenrechtsverletzungen gegenüber indigenen Völkern in Kauf genommen wurden. Auch in der Euzkadi tire factory, in Besitz der deutschen Firma Continental, wurden Arbeitsrechtsverletzungen festgestellt, wie etwa die Einführung des 12-Stunden-Arbeitstages, Arbeit am Sonntag und eine erhöhte Produktionsanforderung ohne Lohnausgleich. In diesem Fall war die mexikanische Regierung zuerst zu ängstlich einzugreifen, um Investoren nicht zu verschrecken. Das Risiko, dass der Arbeitsstandard in Mexiko durch europäische Firmen aufgrund wirtschaftlicher Interessen unterschritten wird, ist demnach ein bestehendes Problem.

Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte konnten laut derzeitigen Ergebnissen keine positive Entwicklung erfahren. Wenn überhaupt lassen sich indirekte Verbesserungen durch europäische Schutzmaßnahmen - wie Verbot der Nutzung gefährlicher chemischer Substanzen - verzeichnen. Im Einklang mit den beschriebenen wirtschaftlichen Auswirkungen ergab die Analyse zudem, dass der Einfluss des Abkommens auf die Verringerung von Armut und Ungleichheit so klein ist, dass er als unerheblich gilt - und das, obwohl das durchschnittliche zur Verfügung stehende Einkommen der Bevölkerung geringfügig gestiegen ist.

Aufnahme der Neuverhandlungen

Die Verhandlungen für ein modernisiertes globales Kooperationsabkommen wurden Mitte Juni 2016 in Brüssel offiziell aufgenommen6. Dabei wurde deutlich, dass das neue umfassende Abkommen den ehrgeizigen Abkommen gleichkommen soll, welche die EU und Mexiko seither mit anderen Partnern ausgehandelt haben. Das derzeitige Abkommen müsse "modernisiert, vertieft und ausgeweitet werden, um viele zu restriktiv gehandhabte Geschäftsfelder zu liberalisieren", so der mexikanische Wirtschaftsminister Ildefonso Guajardo Villarreal. Vergleichbar mit den zur Verhandlung stehenden Abkommen Ceta mit Kanada und TTIP mit den USA sollen weitere Handelsschranken zwischen Mexiko und der EU fallen, bekräftige zudem die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström.

Derzeit stehen beide Verhandlungsparteien im Gespräch, jedoch sind die Verhandlungslinien des Europäischen Auswärtigen Dienstes und der EU-Kommission noch nicht veröffentlicht. Die Europäische Kommission kann allerdings keine Verhandlungsergebnisse durchbringen, ohne die Haltung des Europäischen Parlaments zu berücksichtigen. Zudem muss der abgestimmte Text durch die Mitgliedsstaaten sowie die nationalen Parlamente, darunter also auch den Deutschen Bundestag, ratifiziert werden.

Bisherige Stellungnahme der Bundesregierung

Die genauen Verhandlungsrichtlinien der Europäischen Union, die derzeit auf Basis des vom Europäischen Rat erteilten Mandates handelt, sind bisher nicht veröffentlicht worden. Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Grünen-Bundestagsfraktion und der Linksfraktion legen allerdings nahe, dass die derzeit umstrittenen Themen aus TTIP und Ceta auch im EU-Mexiko-Abkommen eine zentrale Rolle spielen werden.

So sollen im geplanten neuen Globalabkommen erneut private Schiedsgerichte etabliert werden, wodurch jedes internationale Unternehmen, das eine Niederlassung in Mexiko hat, in Europa vor privaten Schiedsgerichten flächendeckend klagen kann und andersherum. Die Bundesregierung verweist in diesem Fall bisher auf die Ausarbeitung der Verhandlungsrichtlinien des Europäischen Auswärtigen Dienst und der Europäische Kommission.

Zur Straffung der Menschenrechtsklausel nahm die Bundesregierung nicht eindeutig Stellung. Wie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linkspartei nahelegt, sind auch im neuen Vertrag keine verbindlicheren Vorgaben vorgesehen.

Die Stimme der NGOs

Nichtregierungsorganisationen weltweit kritisieren schon lange die Unzulänglichkeiten der in diesem Abkommen formulierten Menschenrechtsklausel, denn eine Missachtung zieht keine Konsequenzen nach sich. Sie fordern eine verbindliche menschenrechtliche Folgeabschätzung und schlagen vor, in einem neuen Abkommen einen Monitoring-Mechanismus zu etablieren, sowie eine institutionalisierte Partizipation der Zivilgesellschaft zu garantieren. Auch deutsche Organisationen wie das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL), Misereor und Brot für die Welt verwiesen bereits mehrfach auf die wirtschaftlichen Einschränkungen, die dem mexikanischen Partner durch das Abkommen auferlegt werden und die innenpolitischen Konflikte, die aufgrund gemeinsamer industriellen Großprojekte entfacht wurden.

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