Es folgt der Brief eines argentinischen Arztes, der an der ELAM (Lateinamerikanische Hochschule für Medizin in Kuba) seinen Abschluss gemacht hat und Mitglied der kubanischen Ärztebrigade in Haiti ist. Der Brief wurde vor dem Eintreffen des Hurrikans geschrieben; er berichtet von der Verseuchung und der Überbevölkerung in den am meisten betroffenen Regionen.
Schon 10 Monate sind vergangen, seitdem Haiti von einem Erdbeben zerstört wurde. Nun wird das Land von der Cholera und Hurrikanes heimgesucht, und Millionen von Haitianern leben weiterhin unter unmenschlichen Bedingungen. Während sich die Wirtschaftsmächte um das Geschäft mit dem Wiederaufbau von Haiti reißen, kommt die Solidarität und wirkliche Hilfe für das haitianische Volk von anderer Seite.
Der Hurrikan „Tomas“ hat in Haiti nun den Tod von mindestens 8 Menschen und schwere Überschwemmungen verursacht, die wichtige Regionen des Landes isoliert haben. Dadurch verschlechterte sich die gesundheitliche Krise, die Auslöser für die Choleraepidemie war und bereits mehr als 500 Personen das Leben gekostet hat, während sich mehr als 7300 Haitianer in Krankenhäusern befinden.
Dieses Szenario, das leicht als Ergebnis der Laune der Natur angesehen werden könnte, hat bestimmte Gründe: die Verschmutzung eines der Hauptflüsse in den betroffenen Zonen und die prekäre Situation, in der Tausende von Menschen leben. Auch 10 Monate nach dem Erdbeben bleibt die Situation in Haiti weiter entmutigend. Wir präsentieren als Prensa De Frente zusammen mit verschiedenen lateinamerikanischen Kommunikationsmedien und Organisationen, mit denen wir uns koordinieren, diesen Bericht als ein kleines Zeichen der Solidarität mit dem haitianischen Volk.
Im Departament Artibonite im Norden Haitis trat der Fluss über die Ufer. Verschiedene Organisationen und Institutionen haben darum gebeten, die Verseuchung des Flusses zu untersuchen, die direkt mit den Cholerafällen verknüpft ist und schon mehr als 501 Leben gefordert hat. Es wird gerade überprüft, ob ein Stützpunkt der UN-Mission für die Stabilisierung Haitis (Minustah) in Mirebalais das Wasser des Flusses Artibonite mit Fäkalien verseucht haben könnte.
08/11/2010
Diese Zeilen sollen Informationen über die gesundheitliche Lage in Haiti zur Verfügung zu stellen. Anlass ist die Besorgnis vieler Freunde, die mir geschrieben haben, um zu fragen, wie die Situation hier ist.
Als erstes kann ich sagen, dass wir es bei Cholera mit einer Krankheit zu tun haben, die in diesem Land seit mehr als 100 Jahren nicht mehr gemeldet worden war. Zweitens ist es angesichts der Risikofaktoren, die für ihr Fortbestehen und ihre Ausbreitung herrschen, eine der hierzulande meist gefürchteten Krankheiten. Kurz zu meinen ersten Erfahrungen mit dieser Krankheit: Zwei Tage bevor das Auftreten der Cholera in Haiti bestätigt wurde, habe ich mit einem Epidemiologen, einem Mikrobiologen und einem Insektenkundler in der Gemeinde Mirebalais im Departament Centro ein Krankenhaus besucht, das von der kubanischen Ärztebrigade unterhalten wird.
Sie hatten dort den Ausbruch von Durchfällen ungewöhnlicher Schwere gemeldet, die zum Tod von drei Personen geführt hatten. Während unseres Aufenthalts erinnerten wir uns mehrmals an den Doktor John Snow, Vorreiter in der modernen Epidemiologie, denn wir gingen an die Orte, in denen es Todesfälle gegeben hatte, und alle Orte hatten eines gemein: die Nähe zum Fluss. Da die Bevölkerung auf keine Wasserversorgung zählen kann, gewinnen sie Wasser für den Konsum sowie zum Waschen von Geräten, Körperpflege usw. aus dem Fluss. Eine weitere Gemeinsamkeit: das Fehlen von Latrinen, weshalb es üblich ist, seine Bedürfnisse im Freien zu erledigen. Auch die Überbevölkerung, die absolut prekären Unterkunftsbedingungen, die überall verstreuten kleinen Müllhalden, Unterernährung, das geringe kulturelle Niveau, Hilflosigkeit und Resignation sind uns nicht entgangen.
Die Patienten, die das Krankenhaus aufsuchten, kamen mit flüssigen weißen Durchfällen, begleitet von schweren Erbrechen, der Großteil kam mit schwerer Dehydrierung und 3 Patienten verstarben.
Behörden des Gesundheitsministeriums in Haiti entnahmen Proben von Wasser, Stuhl und Erbrochenem. Unsere Schlussfolgerung war bereits: Grund für die Ansteckung ist das verseuchte Wasser. Die klinischen Merkmale weisen auf ein sehr agressives Bakterium hin, das durch das Wasser übertragen wird. Die Umweltbedingungen für ein Fortbestehen und eine Ausbreitung des Bakteriums sind gegeben. Seine Inkubationszeit schwankt um die 24 Stunden und in wenigen Stunden kann es Komplikationen hervorrufen, die bei dem Ausbleiben einer Behandlung zum Tod führen können.
Nach 100 Jahren ohne Cholerafällen konnten wir nicht bestätigen, dass es sich um jene Krankheit handelte, bevor es nicht eine offizielle Bestätigung aus dem Labor gab. Unser Befund wurde den Behörden Haitis übergeben und am nächsten Tag kursierten bereits Gerüchte in Saint Marc. Wenig später kam dann die Bestätigung, dass es sich hier tatsächlich um das Bakterium Vibrio Cholera handelt.
16 Tage sind seit dem Ausbruch der Epidemie vergangen; bis zu diesem Zeitpunkt haben die Behörden in Haiti 330 Verstorbene und um die 4600 ins Krankenhaus eingewiesene Personen gemeldet.
Es gibt verschiedene weltweite Institutionen wie die OPS (Panamerikanische Gesundheitsorganisation), das CDC (Zentrum für Krankheitskontrolle und -prävention), die das haitianische Gesundheitsministerium unterstützen, aber die führende Stimme in der engen Zusammenarbeit mit den Gesundheitsorganisation in Haiti hat Kuba, auch wenn das in den großen Kommunikationsmedien nicht beachtet wird. In Wahrheit war es der Einsatz der kubanischen Ärztebrigade, der das Ausbreiten der Epidemie auf Port-au-Prince aufgehalten und verzögert hat. Dies wird angesichts der Tatsache, dass dort 1.500.000 Menschen in sehr kritischen Umständen leben, am meisten gefürchtet. Die Gemeinde Arcahaie im Departament Oeste ist direkt mit Artibonite (und vor allem Saint Marc) verbunden. Dort hat unsere Brigade in zwei Institutionen, die Teil der Strategie für Wiederaufbau und Stärkung des Gesundheitssystems des Gesundheitsministerium Haitis sind, medizinischen Beistand geleistet.
Beide wurden zu Cholera-Zentren umdisponiert, in denen bis zum 30. Oktober insgesamt 1182 Patienten behandelt wurden. Sie konnten sowohl das Ausbreiten des Bakteriums in verschiedene Bezirke von Arcahaie bestätigen, als auch die Bedingungen, die ich oben bei der Beschreibung des ersten Kontrollschwerpunkts in Mirebalais geschildert habe. Es bedarf keines medizinischen Wissens, um sich vorzustellen, dass diese 1182 Patienten in Port-au-Prince medizinische Hilfe gesucht hätten, wenn diese Cholera-Zentren nicht zur Verfügung gestanden hätten. Genau so wird die Epidemie weiter verbreitet: erkrankte Personen suchen Gesundheitszentren auf, und andere, noch nicht erkrankte, die sich in der Inkubationszeit befinden, halten sich von diesen Orten aus Angst fern. So hätten sich all diese Leute auf den Weg nach Port-au-Prince gemacht, und es gibt momentan nicht die Bedingungen, um solch einen Strom von Erkrankten zu koordinieren.
Die Hauptaufgabe besteht in der Gesundheitserziehung und einer sicheren Wasserversorgung für die Bevölkerung. Beide Aspekte sind schwer zu lösen; ersteres, weil es schwer ist, in der Bevölkerung über lange Zeit festgefahrene Gewohnheiten zu ändern, und zweiteres, weil es trotz vorhandener Mittel schwer ist, die notwendige Logistik und Organisation zu erzielen. Das Unterfangen geht weiter, die kubanische Ärztebrigade bereitet sich vor, um weiter zum Kampf gegen diese furchtbare Epidemie beizutragen.
Die Präsenz in den Gemeinden über die Gesundheitserziehung, die zusammen mit lokalen Kräften koordiniert wird, sowie über die Versorgungszentren für Patienten mit Cholera, heben die Wichtigkeit der Solidarität und des Internationalismus hervor. 51 Graduierte Ärzte der ELAM befinden sich heute an erster Front dieser harten Schlacht, Seite an Seite mit ihren kubanischen Brüdern und Professoren (als wenn sie eins wären), die anderen arbeiten weiter an verschiedenen Stellen im ganzen Land, viele von ihnen sind bereit, zur Front aufzubrechen, wenn es nötig wird.
Wie es scheint wird diese Krankheit mehrerer Jahre im Land bleiben, und es wird zu neuen Ausbrüchen kommen, wenn die Wasserquellen verschmutzt werden.
Gerade nähert sich ein Hurrikan, der laut Vorhersagen heute Haiti erreichen soll. Das wird die Situation ohne Zweifel verschlechtern und die Bedingungen für eine Ausbreitung der Krankheit in bis jetzt verschonte Orte begünstigen. Außerdem gibt es Regionen, in denen große Überschwemmungsgefahr besteht. Kuba ist seit 12 Jahren präsent und hat sich seit dem Erdbeben dem Wiederaufbau und der Stärkung des Gesundheitssystems verpflichtet. Kuba wird während der Choleraepidemie und nach dem Hurrikane Präsenz zeigen. Fragt man irgendeinen Bewohner diese Landes nach den kubanischen Ärzten, wird man in aufleuchtende Gesichter blicken.
Mit dem Stolz, ein Teil des vielseitigen kubanischen Internationalismus zu sein. Mit dem Stolz, Mitglied der kubanischen Ärztebrigade zu sein. Mit dem Stolz, Kind amerikanischer Erde zu sein, und meinem Vaterland, Lateinamerika, sowie meinen Landsleuten, den Kindern dieses Bodens, verpflichtet zu sein.
Dr. Emiliano Mariscal