Costa Rica / Politik

Religiöser Schock in Costa Rica

Mit Agitation gegen Homoehe und Abtreibung geht die evangelikale Rechte als Sieger aus der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen hervor

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Mitten in einer "spirituellen Schlacht": Fabricio Alvarado tritt auch als singender Prediger auf
Mitten in einer "spirituellen Schlacht": Fabricio Alvarado tritt auch als singender Prediger auf

Bis vor wenigen Wochen galt Fabricio Alvarado Muñoz als politischer Außenseiter ohne jegliche Aussicht, die Präsidentschaftswahlen in Costa Rica zu gewinnen. Vier Jahre lang vertrat der evangelikale Prediger als einziger Abgeordneter die rechtsevangelikalen Splitterpartei Restauración Nacional (RN) im Parlament, wo er gegen Homosexuellenrechte, Abtreibung und vermeintliche "Genderideologie" in den Bildungsplänen agitierte. Als Präsidentschaftskandidat gewann er am vergangenen Sonntag nun mit 24,9 Prozent der Stimmen den ersten Wahlgang und wird im April in der Stichwahl gegen den Kandidaten der sozialdemokratischen Regierungspartei PAC, Carlos Alvarado Quesada, der mit 21,6 Prozent den zweiten Platz belegte, antreten. Wochen zuvor noch sahen Meinungsumfragen die evangelikale Partei im niedrigen einstelligen Bereich. Das Ergebnis ist auch ein Aufbegehren der konservativen Teile der costa-ricanischen Bevölkerung gegen das Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der das Land im Dezember letzten Jahres aufgefordert hatte, die vollständige rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe zwischen Mann und Frau zu gewährleisten.

Homophobie schließt konfessionelle Gräben

Bereits die vorsichtige progressive Familien- und Sexualpolitik der Regierungspartei PAC hatte in christlich konservativen Kreisen für Unmut gesorgt. Das Vorhaben des Bildungsministeriums, einen neuen Sexualkundeunterricht an Schulen einzuführen, der über Verhütungsmethoden aufklären und auch verschiedene Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen thematisieren soll, führte bereits im vergangenen Jahr unter dem Slogan "Meine Kinder erziehe nur ich" zu Protesten gegen eine vermeintlich staatlich verordnete "Genderideologie". Dennoch schien das Thema im Wahlkampf zunächst nur eines unter vielen zu bleiben. Noch im Herbst 2017 verlauteten die Wahlforscher der Universität Costa Rica, die die Wählerschaft am meisten bewegenden Themen seien Arbeitslosigkeit und Korruption. Schlagartig änderte sich das mit dem Urteil des Gerichtshofs, auf welches das christlich fundamentalistische Spektrum mit groß angelegten Medienkampagnen und Mobilisierungen reagierte. Während homosexuelle Partnerschaften von einer Mehrheit der Costa-Ricaner akzeptiert werden, stößt eine rechtliche Gleichstellung mit der Ehe in dem Land, in dem der katholische Glaube als Staatsreligion in der Verfassung festgelegt ist, auf Ablehnung. Damit hatte die religiöse Rechte ihr Wahlkampfthema gefunden. Binnen weniger Tage gelang es ihr, das Thema Homoehe zum dominierenden Thema zu machen, zu dem sich jeder der dreizehn Präsidentschaftskandidaten eindeutig bekennen musste. In der costa-ricanischen Öffentlichkeit wurden die Wahlen geradezu als Referendum über die "Ehe für alle" verstanden.

Alvarado Muñoz wurde von einem Tag auf den anderen zum Wortführer der fundamentalistischen Bewegung. Mit dem Versprechen, dass Costa Rica im Falle eines Wahlsiegs aus dem Interamerikanischen Menschengerichtshof austreten werde und einer gegen eine vermeintliche "Genderdiktatur", Abtreibung und Homosexuellenrechte gerichteten Rhetorik gelang es ihm, nicht nur die 17 Prozent der Bevölkerung anzusprechen, die Mitglied in evangelikalen Gemeinden sind, sondern auch konservative Katholiken hinter sich zu vereinen. Bestanden bislang innerhalb der christlichen Rechten zwischen konservativen Katholiken und Evangelikalen nahezu unüberbrückbare konfessionelle Gräben, vereinte das Urteil nun die verschiedenen Strömungen in ihrer gemeinsamen Gegnerschaft gegen die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften. Innerhalb weniger Tage nach der Verlautbarung des Gerichtshofes im Januar 2018 verfünffachten sich die Umfragewerte des evangelikalen Predigers.

Die Evangelikale Bewegung ist insbesondere in ärmeren Regionen stark

Das Ergebnis der Evangelikalen muss auch als Resultat einer weitgreifenden politischen Desillusionierung und Enttäuschung mit der Regierungspartei PAC verstanden werden. 2014 hatte die progressiv sozialdemokratische Partei mit ihrem Kandidaten Luis Guillermo Solís die Wahlen gewonnen, eine politische Zäsur in dem Land, in dem sich seit den 1950er-Jahren die beiden Parteien PUSC (christlich-sozial) und PLN (konservative Sozialdemokratie) an der Macht abwechselten. Der Machtwechsel war in Folge einer großen Streikbewegung gegen die hohen Lebenshaltungskosten und Arbeitsbedingungen im Land erfolgt. Entsprechend groß war die Hoffnung, die die Bevölkerung in die neue sozialdemokratische Regierung setzte. Doch nach vier Jahren Regierungszeit ist die sozialpolitische Bilanz ernüchternd: Die Arbeitslosigkeit ist konstant geblieben, die Steuerreform im Parlament gescheitert und noch immer leben rund 20 Prozent der Bevölkerung des Landes in Armut.

Ersten Wahlanalysen zufolge sind es gerade die ärmsten Regionen des Landes, wie die an der Karibikküste gelegene Provinz Limón, in denen die evangelikalen Kirchen ihre Mitgliedschaft im letzten Jahrzehnt vervielfacht hat und die RN Ergebnisse bis zu 50 Prozent erzielte.

Mehrheit im Parlament gegen "Genderideologie", Abtreibung und Homoehe

Die enttäuschten Hoffnungen und ein Korruptionsskandal im Bausektor bedingten, dass der PAC Kandidat Alvarado Quesada in Wahlumfragen mitunter im einstelligen Bereich abschnitt. Allein vor dem Hintergrund des Szenarios einer evangelikalen Präsidentschaft konnte der Sozialdemokrat noch einmal seine Wählerschaft mobilisieren und in den zweiten Wahlgang einziehen. Viele Linke riefen zur Wahl des "kleineren Übels" auf, während links der Sozialdemokratie die öko-sozialistische Frente Amplio sowohl bei der Präsidentschafts- als auch bei der Parlamentswahl massiv Stimmen und acht von neun Abgeordneten verlor.

Selbst wenn im zweiten Wahlgang die Präsidentschaft des rechten Predigers verhindert werden würde, wären die Voraussetzungen für eine Regierung Alvarado Quesada äußerst ungünstig. Bei den Parlamentswahlen, die am selben Tag erfolgten, schnitt seine Partei nur an dritter Stelle weit hinter den beiden stärksten Fraktionen der PLN und der evangelikalen RN ab. Die konservativ-sozialdemokratische PLN war bereits im Wahlkampf weiter nach rechts gerückt und stimmte in die Rhetorik gegen die "Genderideologie" mit ein. Mit Ausnahme der PAC und der linken Frente Amplio haben zudem alle Parteien angesichts des Aufschwungs der fundamental christlichen Bewegung angekündigt, eine rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften nicht zu unterstützen. Ähnlich sieht die Stimmung unter den Parteien hinsichtlich der Legalisierung der Abtreibung aus. Der Spielraum für entsprechende Initiativen im Parlament ist entsprechend gering.