Honduras: Der Kampf des Copinh und der Frauen

Interview mit der Koordinatorin des Rates der Volks- und Indigenenorganisationen von Honduras, Bertha Zúñiga, Tochter von Berta Cáceres

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Bertha Zúñiga, die landesweite Koordinatorin von Copinh in Hionduras. Im Hintergrund ein Build von ihrer Mutter Berta Cáceres, die im März 2016 ermordet wurde
Bertha Zúñiga, die landesweite Koordinatorin von Copinh in Hionduras. Im Hintergrund ein Build von ihrer Mutter Berta Cáceres, die im März 2016 ermordet wurde

Bertha Zúniga ist die landesweite Koordinatorin einer der wichtigsten ländlichen Bewegungen Mittelamerikas. Ihr Leben ist untrennbar mit der Geschichte der Organisation verknüpft. Wenn sie über den Rat der Volks- und Indigenenorganisationen von Honduras (Consejo Cívico de Organizaciones Populares e Indígenas de Honduras, Copinh ) spricht, sagt sie "nosotras", im Femininum und Plural.

Wir erreichen die Zentrale von Copinh am Rande der Gemeinde La Esperanza, im Bundesstaat Intibucá, etwa vier Stunden von Tegucigalpa entfernt. Dort befindet sich die Bauerngemeinde, aus der Berthas Familie stammt und wo die Organisation entstand.

Die Situation politischer Gewalt in Honduras ist schwerwiegend, und an der Spitze einer politischen oder sozialen Bewegung zu sein bringt ernsthafte Gefahren mit sich. Außer dem Verbrechen an der bekanntesten Vertreterin von Copinh, Berta Cáceres (ihrer Mutter), gab es noch weitere Morde und Angriffe. Am 1. Mai 2012 wurde Santos Alberto Domínguez, ebenfalls Mitglied der Bewegung, im Alter von 24 Jahren von der Polizei ermordet.

Die Bedrohungen gehen seit dem Mord am 3. März 2016 an Bertha, die für ihren Einsatz für die Verteidigung von Landrechten international bekannt war, immer weiter; weniger als zwei Wochen später, am 15. März wurde Nelson García bei einer gewaltsamen Landräumung getötet; im April attackierte eine Stoßtruppe, vermutlich im Auftrag des Unternehmens Desarrollos Energéticos S.A., die Teilnehmer eines internationalen Treffens, bei dem Gerechtigkeit gefordert wurde; am 6. Juli wurde Lesbia Yaneth Urquía, kommunale Leiterin der Organisation tot aufgefunden; am 10. Oktober wurde erneut ein Attentat mit Schusswaffen auf Mebreño und seinen Kollegen García Sorto versucht, die die vorherigen Anschläge überlebt hatten. Auch Bertha wurde Opfer von Angriffen: im Juni 2017 schnitten bewaffnete Männer ihr den Weg ab. Trotzdem beschloss sie ‒ mit der Geschichte des Kampfes von Copinh, der vom Blut und dem Vermächtnis ihrer Mutter getränkt ist ‒ den Vorschlag der Organisation anzunehmen und mit ihren 26 Jahren die Gesamtkoordination zu übernehmen.

Wir sind in La Esperanza und eine Gruppe Frauen bereitet das Zweite Treffen der Schule der Lenca-Frauen im Widerstand für die natürliche und althergebrachte Gesundheitsversorgung vor. In der Zentrale ist der Bezug auf Berta Cáceres omnipräsent: in kleinen Graffitis oder großen Wandbildern, Bannern und einem kleinen Altar. Aber nicht nur in der Zentrale, ihr Name und die Forderung nach Gerechtigkeit nach ihrer Ermordung sind auf Mauern des Dorfes und sogar in der Hauptstadt zu sehen: Berta Cáceres ist ein Sinnbild für den Kampf im ganzen Land.

Den Workshop werden andere, ebenfalls junge Frauen organisieren. Sie bereiten vor, organisieren, geben Anweisungen. "Nosotras" ist der am häufigsten verwendete Ausdruck. Die Dynamik des Copinh scheint den bäuerlichen und indigenen Traditionen zu trotzen, die genauso machistisch sind wie der Rest der Gesellschaft.


Wenn du von Copinh sprichst, sagst du "nosotras"...

Ja, wir haben die Forderung der Rechte von Frauen von Anfang an zum Thema gemacht, denn unter den Unterdrückungen, die das Volk erlebt hat, gibt es viel patriarchalische Unterdrückung, viel Gewalt gegen Frauen, ihren Ausschluss von politischen Entscheidungen. Das hat uns schon immer beschäftigt. Offensichtlich ist das über die Jahre radikaler geworden und hat sich in Richtung eines antipatriarchalischen Kampfes vertieft. Wir sind eine gemischte Organisation aus Frauen, Männern und anderen möglichen sexuellen Identitäten, und auch deshalb war unser Kampf und unsere Arbeit immer eine Herausforderung. Das ist keine einfache Sache.

Frauen haben in den 25 Jahren eine wichtige Rolle im gesamten Organisationsprozess gespielt. Viele der radikalsten Kämpfe zur Verteidigung von Land werden von Frauen geführt, weil sie ihre Häuser nicht verlassen und nicht an andere Orte migrieren, oder nur sehr schwerlich, sie sind viel stärker mit dem Land verwurzelt. Daher auch diese Loyalität zur Organisation zur Bewahrung des Lebens und von allem. Wir versuchen mit größter Anstrengung, innerhalb der Organisation Gerechtigkeit gegenüber Frauen zu erreichen; wir haben Volksgerichte aus Frauen, um über die Gewalt der Männer zu richten und spezielle Versammlungen für Frauen, um die Organisation zu stärken und ihr mehr Kohärenz zu verleihen.

Meine Mutter war sehr radikal darin, diesen Prozess voranzubringen, zum Kampf der Frauen in ihren Gemeinden beizutragen, denn Autonomie ist ein fundamentales Recht und die Frauen machen diese Arbeit sehr gut und wir wollen, dass sie das weitermachen.

Hat es dir beim Kontakt mit anderen Organisationen schon mal Probleme bereitet, dass du als Leiterin eine Frau bist – und noch dazu jung?

Der Copinh hat sehr starke Frauen als Vertreterinnen gehabt, starke Anführerinnen mit großem Rückhalt. Es stimmt aber, das Thema der Frauen und ihrer Familien, oder ihres Privatlebens ist eines, das von der Öffentlichkeit sehr kritisch beäugt und hinterfragt wird. Ich glaube schon, dass alle Welt meint, mir – da ich noch sehr jung und noch dazu eine Frau bin – Dinge erklären zu müssen, als hätte ich keine Ahnung.... das erlebe ich oft.

Obwohl wir sehr anerkannte und respektierte Personen sind, wird das gegenüber älteren und erfahreneren Menschen immer eine Schwierigkeit darstellen. Aber: Wir sind in dieser Hinsicht sehr gut ausgebildet, wir lassen uns nicht erniedrigen oder geringschätzen, und uns auch nicht unser Wort oder unsere Meinung nehmen. Aber ja, es ist schwierig.

Das Gute an den Führungen des Copinh ist, dass sie immer als Referenz einer Basisorganisation und sehr kohärent geschaffen wurden, die sich nicht von älteren, oft benutzten Führungsrollen in Frage stellen ließen. Wir wollen damit den Anstoß für andere Arten von Beziehungen und Organisationen geben.

Unterdrückung, Widerstand, Formen des Kampfes

Als der Copinh 1993 gegründet wurde, ist in Mexiko in einem Kontext, der ähnlich wie in Honduras Bauern und Indigenen gegenüber sehr feindlich war, der Aufstand der EZLN vorbereitet worden, der ein Jahr später in Erscheinung trat. Wenn wir uns die geografische und zeitliche Nähe ansehen, stellt sich die Frage, ob ihr zu dieser Zeit nicht auch über radikalere Methoden des Kampfes nachgedacht habt.

Der Kontext in Mittelamerika hatte einige Besonderheiten, denn dort waren seit 1989 Friedensprozesse im Gang (erst in El Salvador, Jahre später in Guatemala). Es gab also bis dahin bereits Erfahrungen des bewaffneten Widerstands, die ihren Beitrag geleistet hatten, die allerdings als gescheitert betrachtet wurden, da sie ihre Ziele nicht erreicht haben. Einige der Führungspersonen von Copinh haben sich an der solidarischen Unterstützung des Widerstands in El Salvador aufgrund der gegebenen Nähe und der Kriegsflüchtlinge beteiligt. Ganz Mittelamerika war unter militärischer Kontrolle, aber es war mit all diesen aufständischen Bewegungen auch ein Epizentrum der Solidarität.

Die Entstehung des Copinh am 17. März 1993 kam zunächst aus einem eher umweltpolitischen Zusammenhang. Man hatte verstanden, dass das Kampfsubjekt in der Region die indigene Bevölkerung ist, die vom Staat ignoriert wird. Dies geschah vor allem im Rahmen der 500 Jahre Widerstand der indigenen Völker, das hatte auch viel damit zu tun.

Der Kampf von Copinh war immer ein ziviler und territorialer, aber er war trotzdem sehr stark und hat Unternehmen die Stirn geboten. Seit dem Putsch von 2009 wurden zum Beispiel jede Menge Konzessionen an Privatfirmen erteilt, alle Gesetze wurden für die Entäußerung von Land konzipiert. Aber es sind die indigenen und bäuerlichen Gemeinden, die verhindern, dass diese Projekte umgesetzt werden und deshalb sind die Projekte extraktivistischen Wirtschaftens und der Plünderung der Territorien so bedroht. Obwohl unser Kampf zivil ist, ist er heute der Stein im Schuh des Extraktivismus, des Putschismus und des gesamten antidemokratischen Projekts, das in Honduras aufgezwungen wird.

Nach dem Putsch verschlimmerte sich die Gewaltsituation gegenüber der Volksbewegung. Wie hat der Copinh auf diese neue Etappe reagiert?

Als der Putsch geschah, war Copinh eine der ersten Organisationen, die ihn verurteilten. Wir haben immer gesagt, dass der Putsch sich nicht gegen einen Präsidenten oder eine politische Partei richtet, sondern gegen das honduranische Volk, wie es sich dann auch ganz klar gezeigt hat. Infolgedessen hat sich der Copinh dem Widerstand auf der Straße angeschlossen, der mehrere Monate anhielt, sowie den darauf folgenden Bewegungen, aus denen danach die Nationale Front des Volkswiderstandes (Frente Nacional de Resistencia Popular) hervorging.

Ein Teil dieser Front entschied nach einigen Monaten auf der Straße, in die Politik zu gehen. Die Haltung des Copinh dazu war, dass es gut ist, einen politischen Arm zu schaffen, dass aber die ganze Kraft der sozialen Bewegung, die mehr als drei Monate durchgehend auf der Straße war, nicht auf eine parteipolitische Sache mit den gleichen Praktiken wie denen der traditionellen Parteien reduziert werden kann.

Unsere Koordinatorin wurde unter der Regierung von Juan Orlando Hernández (JOH) in enger Komplizenschaft mit Staatsfunktionären ermordet. Deshalb beteiligen wir uns an allen Räumen, um gegen die Diktatur zu kämpfen, dagegen, dass alles so weitergeht. Wir haben unsere kritische Haltung zur Führung, aber wir unterstützen die Bewegung auf den Straßen, wir haben uns viel Mühe gegeben, ein Teil davon zu sein.

Aus deinen Worten lässt sich eine kritische Haltung zum Wahlprozess heraushören.

Es war schon immer problematisch, alles auf Wahlen zu setzen, weil dieser Weg bekanntlich aufgrund des Ausmaßes an Korruption nicht sehr zuverlässig ist. Deswegen haben wir uns immer für die Stärkung territorialer Bewegungen, des Kampfes auf der Straße eingesetzt. Das ist eine große Herausforderung, denn die Menschen wollen etwas dagegen tun. Wir glauben, dass eine neue Führerschaft entstehen muss, dass ein Prozess wie vor dem Staatsstreich mit der Bewegung für die Neugründung von Honduras entwickelt werden muss, man muss in den Gemeinden fragen, was zu tun ist, um den Weg der Transformation des Landes zu schaffen.

Wie hat Copinh sich bei den jüngsten Wahlen positioniert?

Copinh hat keinen Wahlkampf gemacht, denn unsere Organisation kann nicht eine einzige politische Linie definieren, ihr gehören Leute aus allen Parteien an. Dennoch stellen wir die Wiederwahl und Juan Orlando Hernández in Frage, und dies unterstützte definitiv den einen oder anderen Oppositionskandidaten, aber nicht offen.

Expräsident Manuel Zelaya hat angeregt, aufständische Kommandos zu bilden. Werdet ihr euch als Teil dieses Plans mobilisieren?

Dieser Aufruf zur popularen Organisierung in kleineren Zellen ist nicht verkehrt, aber ich glaube nicht, dass das so in Gang kommt. Natürlich nehmen wir an den Mobilisierungen teil und kämpfen für die politischen Gefangenen, aber wir können uns nicht der Agenda einer politischen Partei unterordnen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir nicht alle unsere Kräfte einsetzen, um diesen Mann [JOH] loszuwerden, der Mafioso ist, ein Korrupter und der nicht noch einmal Präsident sein dürfte.

Wahlbetrug: ein Versuchslabor für ganz Lateinamerika

Auch wenn auf dem ganzen Kontinent Anlass zu Sorge über das Fehlen demokratischer Verhältnisse besteht, so scheint die Situation in Honduras mit am schlimmsten. Stimmen Sie den Parolen zu, die man auf einigen Wänden in der Hauptstadt sieht und die besagen, Honduras sei eine Diktatur?

Die Situation in Honduras muss von internationalem Interesse sein, das sagen wir schon lange, denn das Land ist ein Versuchslabor für Dinge, die über das rein Nationale hinausgehen. Hier gibt es eine massive Intervention der USA, die eine Rolle in jeder einzelnen Sache gespielt haben, die mit der Vertiefung der antidemokratischen Verhältnisse, dem Aufbau des Ausbeutungsmodells zu tun haben.

Während des Putsches haben wir gesagt, dass das ein Staatsstreich neuer Art war, und haben deswegen Alarm geschlagen. Danach in Paraguay und Brasilien war es ganz ähnlich. Mit dem Wahlbetrug jetzt wird wieder dasselbe passieren, deshalb müssen daraus Erfahrungen und Lehren für das restliche Lateinamerika gezogen werden. Damit wir erkennen, dass die Demokratie im Grunde genommen eine sehr zerbrechliche Sache und eine Fassade ist, denn sie kann letztlich durch alle möglichen Methoden und unter allen möglichen Losungen erschüttert werden.

Es ist sehr kompliziert. Ich persönlich glaube nicht, dass es eine Diktatur ist, ich glaube, dass Menschen, die eine Diktatur erlebt haben, wissen, dass dies eine noch viel schrecklichere Situation ist. Es ist ein Projekt mit diktatorischen Zügen, durch die Masse mobilisierter Militärs, durch die Unmöglichkeit, als Bevölkerung, als Indigene Entscheidungen durchzusetzen. Das Volk ist auf der Straße, Menschen werden umgebracht, es gibt Hausdurchsuchungen, eine große Anzahl Menschen musste wegen der politischen Situation aus dem Land fliehen; das alles ist sehr schwerwiegend. Und schwerwiegend ist das Schweigen der internationalen Gemeinschaft, vor allem der Länder des globalen Nordens, die alles, was hier passiert ist, bestätigt und gutgeheißen haben.

Unsere Haltung ist, gegen diese Todespolitik zu kämpfen und ihr die Stirn zu bieten, und so wird sie auch weiterhin sein.