Von Mittelamerika in den Kaukasus

Vor zehn Jahren erkannte Nicaragua die Unabhängigkeit der georgischen Separatistenrepubliken Abchasien und Südossetien an

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Nicaraguas Präsident Daniel Ortega mit Sergei Bagapsch (links im Bild), dem damaligen Präsident Abchasiens und Eduard Dschabejewitsch Kokoity (rechts), dem damaligen Präsidenten von Südossetien, bei einer Zusammenkunft im Juli 2010
Nicaraguas Präsident Daniel Ortega mit Sergei Bagapsch (links im Bild), dem damaligen Präsident Abchasiens und Eduard Dschabejewitsch Kokoity (rechts), dem damaligen Präsidenten von Südossetien, bei einer Zusammenkunft im Juli 2010

Nicaragua hat bereits seit über einem Jahrzehnt eine interessante Geschichte der diplomatischen Anerkennung von Staaten, die nicht allgemein anerkannt sind. Im Januar 2007 gab die nicaraguanische Regierung von Präsident Daniel Ortega (im Amt 1985–1990 und seit 2007) bekannt, die Beziehungen zur Westsahara wiederaufzunehmen. Im selben Jahr bekräftigte Ortega, dass das zentralamerikanische Land seine Beziehungen zur Republik China (Taiwan) aufrechterhalten will und die Volksrepublik China nicht anerkennen würde. Während im Fall Westsahara ideologische Gründe und alte Verbindungen zu einer Befreiungsbewegung ausschlaggebend gewesen sein dürften, könnten im Fall der Republik China finanzielle Gründe den Ausschlag gegeben haben. Beide Staaten unterhalten umfangreiche Beziehungen in den Bereichen Gesundheit, Handel, Landwirtschaft und sogar im Militärwesen.

Ganz anders läuft es bei den Beziehungen des zentralamerikanischen Landes in den Kaukasus. Am 5. September 2008 erkannte Nicaragua – als zweites Mitglied der Vereinten Nationen überhaupt – die Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien an. Zuvor hatte das von verschiedenen Nato-Staaten sowie Israel aufgerüstete Georgien unter dem nationalistischen Präsidenten Michail Saakaschwili versucht, das kleinere von beiden Gebieten – Südossetien – zu erobern. Die abchasische und die russische Armee intervenierten daraufhin und Moskau erkannte die Unabhängigkeit der beiden Republiken an. Nach der Russischen Föderation folgte Nicaragua als zweiter international allgemein anerkannter Staat.

Die Regierungen Georgiens und der USA reagierten schroff auf diesen diplomatischen Vorstoß Nicaraguas. US-Handelsminister Carlos Gutierrez (im Amt 2005–2009) sagte einen Besuch in dem zentralamerikanischen Land ab, woraufhin Ortega auch ein geplantes Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Bush nicht wahrnahm.1 Die georgische Regierung brach im November 2008 die diplomatischen Beziehungen zu Nicaragua ab.

Ebenfalls im November 2008 erklärte der nicaraguanische Außenminister Samuel Santos López (im Amt 2007–2017), dass die Anerkennung der beiden Kaukasusstaaten "fair und angemessen" gewesen sei und wiederum einen Monat später erklärte Präsident Ortega, dass er gerne nach Abchasien und Südossetien reisen würde. Der Besuch kam bis heute nicht zustande. Es wäre im Falle Abchasiens der dritte Besuch eines ausländischen Staatsoberhauptes nach dem russischen Präsidenten – im Falle Südossetiens sogar der zweite.

Im Juli 2010 reisten die damaligen abchasischen und südossetischen Präsidenten zu einem Staatsbesuch nach Managua. Die beiden Staatsoberhäupter nahmen an den Feierlichkeiten anlässlich des 31. Jahrestags der Sandinistischen Revolution teil. Einen Tag darauf unterzeichneten Vertreter Abchasiens und Nicaraguas Abkommen über Freundschaft und Zusammenarbeit, visafreies Reisen bis zu 90 Tage, Handelsbeziehungen, Schiffsverkehr und eine Zusammenarbeit der abchasischen Nationalbank und der nicaraguanischen Zentralbank. Für die beiden Kaukasusstaaten stellte sich der Staatsbesuch somit als voller Erfolg heraus: Beide Republiken schlossen diverse Verträge mit Nicaragua ab, die sie als gleichberechtigte Partner in den internationalen Beziehungen bestätigten. Der abchasisch-nicaraguanische Freundschaftsvertrag ähnelt Abkommen, welche die Regierung des Kaukasuslandes mit Russland, Südossetien und Venezuela abgeschlossen hat.2

Indem der abchasische Botschafter in Venezuela in Nicaragua nebenakkreditiert wurde und der nicaraguanische Vertreter in Russland für das kleine Kaukasusland eine Akkreditierung erhielt, nahmen beide Staaten nach einer insgesamt vierjährigen Übergangsphase im Jahr 2012 endgültig offizielle bilaterale Beziehungen auf.

Im Juli 2016 gab der damalige abchasische Außenminister Wjatscheslaw Tschirikba bekannt, dass sein Land eine Botschaft in Nicaragua eröffnen will. Ähnliche Äußerungen hatte es bereits im Jahr 2010 gegeben.3 Doch das ist ebenso bis heute nicht erfolgt. Außerdem erklärte Tschirikba, dass Abchasien und Nicaragua einen bedeutenden bilateralen Dialog eröffnet haben und in den Bereichen Tourismus und Landwirtschaft kooperieren könnten. So könne beispielsweise der Kaukasusstaat nicaraguanischen Kaffee, Rum und andere landwirtschaftliche Produkte importieren.4

Zur vierten Amtseinführung von Daniel Ortega im Januar 2017 hielt sich eine abchasische Delegation in Nicaragua auf und verband damit einen Arbeitsbesuch. Laut Veröffentlichungen der abchasischen Seite wurde die weiteren Entwicklung der bilateralen abchasisch-nicaraguanischen Zusammenarbeit erörtert.5 Was daraus genau für Konsequenzen folgten, wurde jedoch nicht publik.

Im März desselben Jahres unterzeichneten dann Vertreter des lateinamerikanischen Nachrichtensenders Telesur einen Kooperationsvertrag mit dem staatlichen abchasischen Telekommunikationskonzern. Dessen Fernsehsender Apsua TV ist der einzige in der gesamten Kaukasusrepublik zu empfangende. Telesur, an dem auch Nicaragua beteiligt ist, und der staatliche abchasische Telekommunikationskonzern tauschen seitdem Nachrichten miteinander aus.6

Zu den Weltfestspielen im Oktober 2017 im südrussischen Sotschi reiste der amtierende abchasische Präsident Raul Chadschimba an. Das Staatsoberhaupt traf sich dabei auch mit einer Jugenddelegation aus Nicaragua.7 Über diesen PR-Termin hinaus ergab sich jedoch nichts für die abchasisch-nicaraguanischen Beziehungen.

Alles in allem ist zu konstatieren, dass die Beziehungen zwischen der kaum anerkannten Kaukasusrepublik Abchasien und dem mittelamerikanischen Nicaragua weitgehend symbolisch geblieben sind. Die Regierung in Nicaragua hat mit der diplomatischen Anerkennung Abchasiens symbolisch die Beziehungen zu Moskau forciert und sich gegenüber dem politischen Establishment in Washington widerspenstig gezeigt. Über einige Besuche und Nebenakkreditierungen hinaus zeigt Nicaragua kein besonderes Engagement in der Pflege der Beziehungen zu Abchasien.

Der Kaukasusstaat wiederum hat lediglich eine Botschaft in Venezuela und trotz immer wieder angekündigter Pläne, eine diplomatische Vertretung in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua zu eröffnen, hat sich dieses Vorhaben bis heute nicht realisiert. Die abchasischen Regierungen seit 2008 versuchen immer wieder, die bilateralen Beziehungen mit Nicaragua auszubauen – doch bis auf symbolische Aktionen und die Telesur-Zusammenarbeit (die wahrscheinlich auch eher über Venezuela läuft) haben diese Bemühungen bis heute noch keine Früchte getragen.

Laut Experten der International Crisis Group dürfte ein wesentlicher Grund für die nicaraguanische Anerkennung der beiden Kaukasusrepubliken Abchasien und Südossetien gewesen sein, dass Russland mit Nicaragua zur gleichen Zeit größere Rüstungsabkommen und Verträge im Energiebereich geschlossen hat.8