Kolumbien: Palme der Hoffnung, Palme der Probleme

In den letzten zwei Jahrzehnten erlebte der Anbau von Ölpalmen in Kolumbien einen beispiellosen Boom. Heute ist Palmöl das zweitwichtigste Agrarexportgut

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In Parzellen wie Santa Fe bauten die Bauern früher Reis an. Nach der Vertreibung durch Paramilitärs wurden ihre Ländereien kommerzialisiert und in Ölpalmenplantagen umgewandelt
In Parzellen wie Santa Fe bauten die Bauern früher Reis an. Nach der Vertreibung durch Paramilitärs wurden ihre Ländereien kommerzialisiert und in Ölpalmenplantagen umgewandelt

Viele Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und abgelegene Regionen hofften mit der Ankunft der Ölpalme auf Entwicklung und ein besseres Leben. Viele dieser Hoffnungen wurden enttäuscht. Geld mit Palmöl verdienen heute vor allem Agrokonzerne. Teils auf Land, das unter fragwürdigen Verhältnissen den Besitzer wechselte. Unter dem Palmölboom leidet auch die Biodiversität. Ein Überblick über Sonnen- und Schattenseiten des Geschäfts mit der Palme.

Vor wenigen Jahrzehnten noch ein Nischenprodukt, werden Ölpalmen in Kolumbien mittlerweile auf über 500.000 Hektaren angebaut (2017). Die Jahresproduktion von Palmöl ist letztes Jahr auf über 1,6 Millionen Tonnen gestiegen. Etwa 50 Prozent davon werden exportiert, einerseits für die Lebensmittel und Kosmetikaproduktion, aber auch für die Produktion von Biodiesel in Europa. Nach Kaffee ist Palmöl heute das zweitwichtigste Agrarexportgut Kolumbiens. In Lateinamerika ist Kolumbien mit Abstand der größte Produzent von Palmöl, weltweit steht das Land nach Indonesien, Malaysia und Nigeria an vierter Stelle. Der Boom begann mit den Wirtschaftsliberalisierungen in den 1990er Jahren und nahm unter dem ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe nochmals deutlich zu. Im Jahr 2000 wurden etwa 156.000 Hektaren mit Ölpalmen bepflanzt.

Diesen Boom bezahlt Kolumbien aber mit einem hohen Preis. Viele Landgeschäfte der Ölpalmenfirmen wurden unter fragwürdigen Umständen während des bewaffneten Konflikts abgeschlossen. Auch kollektiver Landbesitz von indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften wurde gekauft, obwohl dies nach kolumbianischem Recht gar nicht möglich ist. Viele Firmen haben dabei in ihrem Streben nach Profitmaximierung jegliche Sorgfalt vermissen lassen. Neben Kleinbauern, Indigenen und Afrokolumbianern leidet vor allem die Natur unter den großflächigen Monokulturen mit Ölpalmen. Wie auch in Südostasien wurden riesige Waldflächen abgeholzt und Sümpfe trockengelegt, um Ölpalmenplantagen anzulegen. Dominiert der Palmölanbau in einer Region, leidet die Biodiversität darunter, lokale Arten werden aus ihrem Lebensraum verdrängt.

Den Palmölproduzenten scheint dies alles egal zu sein. Augenschein in Puerto Colombia im Departement Meta: die Palmölproduzenten kamen vor 15 Jahren in die Gemeinde und versprachen Arbeit und Reichtum. Heute arbeiten gerade mal 150 Personen aus Puerto Colombia im Palmölanbau und verdienen einen Hungerlohn. Die Palmölproduzenten zahlen aber keine Steuern, so dass die Schule zerfällt, die Straßen verlottern und niemand sich um Kinder und alte Leute kümmert. Ursprünglich bestanden Pläne, um 40.000 Hektaren in der Gegend mit Ölpalmen zu bepflanzen. Aber heute werden nur etwa 15.000 Hektaren bewirtschaftet. Die Arbeitskräfte kommen meistens von außen und die Gemeinde profitiert kaum vom Geschäft mit dem Palmöl.

Mit dem Ende des bewaffneten Konflikts zwischen den Farc und der kolumbianischen Regierung versprach letztere soziale und ökonomische Investitionen um die ländliche Entwicklung zu fördern. Punkt 1 des Friedensabkommens anerkannte die ungleiche Landverteilung sowie die Unterentwicklung der ländlichen Gegenden als Konfliktursachen. Um diese Ursachen zu beheben, sollte eine umfassende Landreform (reforma rural integral) durchgeführt werden. Heute, zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens hat die Regierung noch keine Schritte zu einer integralen Landreform unternommen.

Und auch die Landrückerstattungen an Zwangsvertriebene des bewaffneten Konflikts kommen nicht vom Fleck. Im April 2018 informierte die Landrückgabebehörde (Unidad de Restitución de Tierras, URT), dass mittlerweile 291.000 Hektaren öffentliches Land an 37.000 Kleinbauern, Indigene und Afrokolumbianer übergeben wurden. Bis jetzt haben jedoch erst 100.000 der über 7,4 Millionen Zwangsvertriebenen überhaupt einen Antrag bei der URT gestellt. Die Verantwortlichen der Zwangsvertreibungen und des Landraubs im Rahmen des bewaffneten Konflikts wurden bis heute nur selten vor Gericht gestellt. Viele bewirtschaften die unrechtmäßig erworbenen Ländereien weiterhin.

Selbst die URT sieht einen direkten Zusammenhang zwischen Zwangsvertreibungen und der Fruchtbarkeit der bewirtschafteten Böden in einer Region. Gemäß einer Studie der Universität Cartagena von 2008 besteht zudem ein direkter Zusammenhang zwischen Zwangsvertreibungen und dem Palmölanbau. Gemeinden, in denen Ölpalmen angebaut wurden, verzeichneten zwischen 2002 und 2009 doppelt so viele Zwangsvertreibungen als Gemeinden, in denen keine Ölpalmen angebaut wurden. Fedepalma, die Organisation der Palmölproduzenten, bestreitet diesen Zusammenhang. Dass der Präsident im September 2018 mit Andrés Augusto Castro Forero einen ehemaligen hochrangigen Angestellten von Fedepalma zum neuen Direktor der URT ernannt hat, ist äußerst problematisch. Castro Forero war von 2004 bis 2013 als Generalsekretär und Direktor für Planung und Entwicklung für Fedepalma tätig. Als neuer Direktor der URT wird er viele Landrückerstattungsprozesse unter sich haben, die Palmölunternehmen betreffen. Ein Schelm wer böses denkt.

2016 erließ die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos das Gesetz über die Sonderentwicklungszonen Zidres (Zonas de Interés de Desarrollo Rural, Económico y Social). Konnten zuvor nur landlose oder landarme Kleinbaurn staatliches Land erhalten, steht diese Möglichkeit nun auch kolumbianischen und multinationalen Agrokonzernen offen. Für Kleinbauern ist dies fatal: damit erhöht sich die Landkonzentration in den Händen weniger Großgrundbesitzer und Konzerne zusätzlich und der Landraub während des bewaffneten Konflikts wird nachträglich legitimiert. Im Kongress ist zudem ein neues Landgesetz (Ley de Tierras) anhängig, dass die Gesetzgebung über die Zidres auf ganz Kolumbien ausdehnen will. Fedepalma war maßgeblich an der Formulierung der Gesetzgebung über die Zidres beteiligt. Die bei Fedepalma angeschlossenen Palmölfirmen dürften zu den großen Profiteuren der Zidres und des neuen Landgesetzes gehören. Interessenspolitik in Reinkultur.

Ölpalmen werden heute in vielen Konfliktregionen Kolumbiens angebaut. Eine davon ist Tumaco. Hier werden bereits seit den 1960er Jahren Ölpalmen angebaut. Mitte der 1990er Jahre wurden auf dem Gebiet der Gemeinde Tumaco über 30.000 Hektaren mit Ölpalmen bepflanzt, damals entsprach dies rund 40 Prozent der Produktion Kolumbiens. Ungefähr die Hälfte davon wurde von zehn größeren Unternehmen angebaut, die andere Hälfte von kleinen und mittleren Produzenten mit weniger als 10 Hektaren pro Betrieb. Durch die hohen Erträge konnten Familien von einigen Hektaren Palmöl verhältnismäßig gut leben.

Der Niedergang der Ölpalme in Tumaco hängt nicht nur mit dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts in der Region zusammen. Zeitgleich rafften verschiedene Krankheiten die Ölpalmen hin. Heute werden in Tumaco noch etwa 15.000 Hektaren Ölpalmen angebaut. Übrig geblieben sind vor allem die großen Produzenten. Die Kleinbauern, zu 95 Prozent Afrokolumbianer, hatten sich oft für den Palmölanbau verschuldet und mussten aufgeben. Heute bauen viele von ihnen Koka an, auch um ihre Schulden zu bezahlen. Die Unternehmen hingegen erhielten staatliche Hilfen und Subventionen im Kampf gegen die Krankheit. Sie bauen heute vor allem hybride Sorten an, die weniger anfällig sind.

Wie kam die Ölpalme überhaupt nach Tumaco? In den 1960er und 1970er Jahren vergab der kolumbianische Staat sogenanntes Brachland (baldíos) großflächig an Unternehmen. Darauf bauten diese in der Gemeinde Tumaco vor allem Ölpalmen an. Gestützt auf die neue Verfassung von 1991 organisierten sich jedoch die indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften der Region und verlangten vom Staat Landtitel für die Gegenden, die sie und ihre Vorfahren seit langem bewohnen. Diese Gebiete überschnitten sich teilweise mit dem Besitz der Palmölprodzenten. So wurden den afrokolumbianischen Gemeinschaftsräten (consejos comunitarios) die Gebiete "Alto Mira y Frontera" sowie "Bajo Mira y Frontera" vom Staat 2006 respektive 2013 zwar zugesprochen. Das Palmölunternehmen Palmas de Tumaco z.B. wehrt sich jedoch bis heute, dem Gemeinschaftsrat von Bajo Mira 5.000 Hektaren und dem Gemeinschaftsrat von Alto Mira 800 Hektaren zurück zu geben.

Zusätzlich zu den zwischenmenschlichen Konflikten ist die Ölpalme in Tumaco auch eine Gefahr für lokale Produkte und die Biodiversität. In den 1990er und 2000er Jahren verdrängte die afrikanische Palme (Elaeis guineensis) in Tumaco mehr und mehr traditionelle Kulturen wie Kakao, Kochbanane und Chontaduro, da der Ertrag höher war. Verschiedene Krankheiten bereiteten dem Boom in den Jahren 2006 und 2007 aber ein jähes Ende. Verantwortlich für die rasche Ausbreitung sind vor allem die Monokulturen mit Ölpalmen. Die Pazifikregion Kolumbiens ist äußerst fruchtbar und artenreich. Durch das milde Klima und die im Überfluss vorhandene Feuchtigkeit vermehren sich aber auch Schädlinge sehr schnell. Die traditionellen Kulturen in der Region sind meistens an die Schädlinge angepasst, zudem werden sie oft in Mischkulturen bewirtschaftet. Die rasche Ausbreitung der Ölpalme war ein idealer Nährboden für die Schädlinge. Nachdem jedoch nur noch wenige Ölpalmen in Tumaco angebaut werden, greifen die Schädlinge vermehrt auch traditionelle Kulturen an. Dies auch weil ihre angestammten Wirtspflanzen oft den Ölpalmen weichen mussten und sie nun keine andere Nahrung mehr finden. Des Weiteren braucht die Ölpalme viele Düngemittel, die wiederum die Bestäuber von Kakao, Kochbanane und Chontaduro (und anderen Pflanzen) schädigen. Studien über mögliche Auswirkungen auf die Umwelt wurden bei der Einführung der afrikanischen Palme oder Ölpalme seinerzeit keine gemacht. Ein gravierender Fehler, wie sich heute zeigt. Dabei verfügt die Region um Tumaco dank ihrer Biodiversität über eine hohe Vielfalt an natürlichen Produkten, die sowohl die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen und sich auch für den Export eignen. Die aus dem Kakao von Tumaco produzierte Schokolade hat mehrfach internationale Preise für ihren Geschmack und ihre Qualität erhalten.

Auch in anderen Regionen stellt der Anbau von Ölpalmen in Monokulturen eine Gefahr für die Biodiversität dar. So ergaben Untersuchungen in der Orinoquía, dass die Populationen sämtlicher Säugetiere drastisch zurückgehen, sobald in einer Region mehr als 75 Prozent der Fläche mit Ölpalmen bepflanzt werden. Idealerweise besteht eine Region aus 55 Prozent natürlichen Lebensräumen (vor allem Wäldern) und maximal 45 Prozent Ölpalmenplantagen. Je nach Spezies sinkt die Populationsdichte bereits ab 45 Prozent Ölpalmen, wirklich problematisch wird es ab 75 Prozent, da ab diesem Schwellenwert die Populationen der meisten Säugetiere regelrecht kollabieren. Ein Lichtblick sind Projekte, teils unter der Beteiligung von Fedepalma, die den Anbau von Ölpalmen in Mischkulturen versuchen. Bei diesen geht es erstens darum, die Probleme von Monokulturen (Schädlingsbefall, Pestizidverbrauch, etc.) zu vermeiden und zweitens ökologische Korridore für Säugetiere freizuhalten, damit sich diese ihrem natürlichen Verhalten entsprechend bewegen können. Ohne diese Freiräume sterben ansonsten viele einheimische Säugetiere in den nächsten 20 Jahren in der Orinoquía aus.

Quellen: